Der erste Hippie

Lebende Mythen. Ein Denkmal feiert Geburtstag: Fidel Castro, linker Macho in Olivgrün, wird achtzig. Aber wer ist der „Comandante en Jefe“: Ein romantischer Held? Oder eher altersstarrsinniger Tyrann? Falter, Juli 2006 

„So oft, wie man mich schon totgesagt hat, wird es wahrscheinlich niemand glauben, wenn es dann soweit ist“, sagte Fidel Castro vor kurzem. Demnächst, am 13. August wird der „Comandane en Jefe“ Achtzig und, soviel ist sicher – er lebt noch. Es wird die große Party eines großen Mythos – des Mysteriums Castro.

Womöglich wird er sich wieder hinstellen, in seiner grünen Felduniform, mit seiner grünen Comandante-Kappe und seinem Bart, eine lange Rede halten und so tun, als könne er dem Zahn der Jahre trotzen – Darsteller seiner selbst, der das gleiche Stück gibt, wie seit nunmehr 50 Jahren: der virile Revolutionär, der halsstarrige, ewige David, der seit einem Lebensalter dem großen Goliath trotzt; der längstregierende Staatschef des 20. Jahrhunderts, der zehn übel wollende US-Präsidenten im Amt und fünf von ihnen buchstäblich überlebt hat. Und nicht wenige werden – offen oder eher klammheimlich – ihr Glas auf ihn heben, weil sie sich freuen, dass es so einen überhaupt noch gibt. Dass er ein Diktator ist, ein Machtmensch, der Weggefährten wegräumt und Kritiker ins Gefängnis wirft, sie, wenn er glaubt, es nützt ihm, vor die Erschießungspelotons stellen lässt – was soll’s. Petitessen. Schließlich ist Kuba ja eingeschnürt, Opfer jahrzehntelanger „Aggression des US-Imperialismus“, und da ist doch klar: Wo gehobelt wird, da fliegen Späne. Außerdem verdankt ihm Kuba einen anderen Entwicklungsweg, jenseits von US-Dominanz und korruptem Latino-Kapitalismus.

 

Aber wer ist Castro? Ein Held? Ein Tyrann? Ein Despot, aber ein freundlicher? Ein gefühlkalter Typ, der weiß, wie er die Leute um den Finger wickelt und, wenn’s Not tut, die Knochen bricht? Oder einfach nur eine historische Figur, die der Altersstarrsinn ins Liebenswert-Komische entrücken ließ? In jedem Fall: Mehr als „nur“ ein Diktator, einer, der von Beginn an an seinem Mythos strickte. Symptomatisch die Episode, dass er bei seiner ersten US-Reise, kurz nach gelungener Revolution 1959, eine Werbeagentur engagierte, die seine Auftritte durchorchestrierte. Castro selbst gab sich charmant, aß Hamburger und Hotdogs, und kultivierte das Bild des authentischen Helden. Rebel with a cause – wie aus einem Hemingway-Roman. Mehr als vierzig Jahre später berichtete der US-Autor Arthur Miller über ein nächtliches Gelage mit dem stundenlang monologisierenden Castro, dieser hätte, „wenn er kein revolutionärer Politiker geworden wäre, genauso gut ein Filmstar werden können“: Mit den großen Entertainern teile er die „totale Selbstbezogenheit“ und die „Gier nach Liebe und Zustimmung“.

 

Wie Castro an seinem Mysterium strickte, so lebt er seit jeher davon, eine Projektionsfläche zu sein. Man muss sich in die fünfziger Jahre zurück versetzen, um zu verstehen, welche Wirkung von den kubanischen Guerillerios ausging, die in einem Akt voluntaristischen Irrsinns in ihrer kaum seetüchtigen „Granma“ von Mexiko nach Kuba übersetzten, dort bei der Landung fast vollzählig aufgerieben wurden und dann in einem Buschkrieg die Truppen des Diktators Batista vertrieben. „Die bärtigen Kerle mit ihren kräftigen Oberkörpern waren damals die Sensation“, sagt Norberto Fuentes, einstiger Mitstreiter Castros, der später in Ungnade fiel und gerade eine fiktive „Autobiografie“ des kubanischen Präsidenten vorlegte. „Die kubanischen Guerilleros waren die ersten Hippies.“ Man kann auch sagen: Die ersten Rock’n’Roller der Politik. Sie antizipierten „den rebellischen Romantizismus der Sechziger“ (New York Times)

 

Der Krieg in der Sierra Maestra, literarisch ästhetisiert (etwa in Che Guevaras „Tagebuch aus dem Guerillakrieg“), war auch Metapher für den Ausbruch aus der verwalteten Welt, für das riskante Leben. Die Partisanen, im militärischen Sinn „Irreguläre“, waren es bald auch in einem Emphatischen: die, die sich um die falsche, alte Vernünftigkeit nicht scherten. Hochmoralische Figuren, die töten für das Gute. Paradigmatisch dafür war der Kult um Castros Mitstreiter Che Guevara, den Wolf Biermann als „Jesus Christus mit der Knarre“ besang. Dass Leichen den Weg der Krieger pflasterten, Verräter und solche, die dafür gehalten wurden, ohne viel Federlesens erschossen wurden, passte nicht in das Bild und wurde auch nicht wahrgenommen. Schließlich war Kuba das Versprechen auf einen besseren Sozialismus, bunter als der in Osteuropa – und es ist ja auch nicht so, dass das Versprechen überhaupt nicht gehalten hat. Kuba war auch: Sozialismus und Dauerfete unter tropischem Himmel.

 

Aber eben nicht nur: Rigide Ein-Parteien-Diktatur, sinnlose Verstaatlichungen, Gesinnungsspitzelei und ein romantischer Revolutionsheld, dessen Ego keinen Zweiten neben sich duldete, gehören auch ins Bild, ebenso ein Guerillatrupp-Machismo (von einer „Macho-Schickeria in Olivgrün“ sprach der deutsche Autor Gerd Koenen), der die Weicheier verachtet und die Härte idealisiert. Und die Revolution wurde nicht nur trotz dieser brutalen Seiten romantisiert, die Brutalität hat selbst ja eine Anziehungskraft: sie wird als Zeichen der Entschlossenheit verklärt, besonders von der westlichen Mittelstandsjugend, die ihre eigene Verzärteltheit als Manko erlebt; nicht ohne Faszination ist sie auch für Intellektuelle, die sich oft so machtlos vorkommen, wie das unlängst der Essayist Ian Buruma schrieb.

 

50 Jahre nach der Landung der „Granma“, 47 Jahre nach dem Sieg der Revolution, haben sich Castros Selbst-Mythologisierung und die äußeren Projektionen hoffnungslos ineinander verstrickt. Noch immer ist der Großgrundbesitzer-Sohn, Ex-Jesuitenschüler und Ex-Rechtsanwalt Castro ein rhetorischer Magier, mit einem Gespür für Bilder – man denke nur an die Begegnung mit Johannes Paul II., wie ein Greis den anderen stützte. Man kann ihn einen Illusionisten nennen. Aber auch einen, der „nie sagt, was er wirklich denkt“ (Fuentes).

 

Auch wenn man Castro heute für eine tragische Figur hält, wird damit letztendlich seine Größe gewürdigt – wer hätte etwa Breschnew eine „tragische Figur“ genannt? Nur taucht Castros Aura noch die düsteren Ecken des „karibischen Sozialismus“ in ein zu rosiges Licht. Schließlich verfaulen in Castros Kerkern 300 politische Gefangene – buchstäblich, denn die Zellen sind voller Exkremente und Ungeziefer. Die „Konterrevolutionäre“ sind meist Literaten oder Journalisten, die nicht einmal besonders radikale Kritiker des kubanischen Weges sind – die dessen Errungenschaften nicht leugnen, aber den Mangel an Meinungs- und Debattenfreiheit anprangern. Vertretern des Roten Kreuzes wird der Zugang zu den Gefängnissen verweigert, die Haftbedingungen der „Prisoneros de Conciencia“ (Gewissensgefangenen) sind laut Amnesty International „grausam, unmenschlich und erniedrigend“.

 

Doch selbst für die, die weiter Castro verehren, ist Kuba letztendlich keine realisierte Utopie, keine Hoffnung mehr – eher akzeptieren sie Castros Regime als kleineres Übel, dem man die Stange halten muss. Das ist es, was vom castristischen Ideal geblieben ist. Insofern ist Castro, der allen Feinden trotzte, am Ende doch ein Gescheiterter.

Ein Gedanke zu „Der erste Hippie“

  1. „Wo gehobelt wird, da fliegen Späne“ – und wieder einmal ein Dummkopf, der mit dem Totschlagargument „US-Dominanz“ die Castro-Diktatur zu rechtfertigen versucht.
    Widerlich, zynisch – ein Schlag ins Gesicht der dahindarbenden kubanischen Bevölkerung.
    Ihr selbstgefälligen, dahintheoretisierenden, aber völlig weltfremden Wohnzimmer-Kommunisten kotzt wohl nicht nur für mich, sondern immer mehr liberal gesinnte Menschen ebenso an wie die Einfaltspinsel aus dem rechten Eck.

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