„Dekadent, feige, materialistisch“

Ian Buruma, global operierender Star-Essayist, über den Hass auf den Westen, den revolutionären Radikalismus der amerikanischen Neokonservativen und den neuen Antisemitismusstreit.

 

Herr Buruma, eben haben Sie ihr Buch "Occidentalism", gemeinsam mit dem israelischen Philosophen Avishai Margalit herausgebracht. Darin fügen Sie den Islamismus in ein allgemeines Panorama des Hasses auf den Westen. Was sind die Gemeinsamkeiten des Okzidentalismus?

 

Buruma: Es gibt einen bestimmten Blick auf den Westen, der heute besonders vom islamistischen Radikalismus vertreten wird. Aber, so unsere Argumentation, das ist nichts speziell Islamisches. Dieser Blick hat eine Geschichte. Diese Auffassung hat europäische Wurzeln. Feindschaft gegen die Aufklärung, faschistische Ideen, die Auffassung, der Westen sei dekadent, feige, materialistisch.

 

Falter: Der Hass auf die Stadt, gegen die urbane Metropole ist ein Leitmotiv eines solchen Radikalismus.

 

Buruma: Die Idee der Stadt, die der Okzidentalismus hasst, ist die Idee von der Stadt als Ort individueller Freiheit, in der sich Menschen verschiedener Rassen und Länder mischen, Handelszentren, wo verschiedene Ideen sich sammeln. Was es in allen Spielarten des Okzidentalismus gibt, ist eine Idealisierung der Bauernschaft, einer Reinheit, der Verwurzellung in der Scholle – in Opposition zum Kosmopolitismus der Stadt.

 

Falter: …und der Hass gegen den Krämergeist, den die Stadt repräsentiert

 

Buruma: Der Händler wird dem Helden entgegengestellt. Der klassische Text stammt von Werner Sombardt, einem deutschen Denker der vorletzten Jahrhundertwende. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Erste Weltkrieg von den Deutschen als Krieg des heroischen deutschen Geistes gegen den französischen, britischen und amerikanischen Krämergeist. Es gibt frappante Parallelen, die uns helfen, den radikalen religiösen Extremismus zu verstehen. 

 

Falter: Ihre Argumentationslinie unterscheidet sich nur wenig von liberalen Falken in den USA wie etwa Paul Berman, der den Westen in einen Krieg gegen den "Islamofaschismus" führen will und auch den Irakkrieg unterstützte. Andererseits haben Sie diese Konsequenz vermieden, sie haben den Irakkrieg abgelehnt.

 

Buruma: Also, Paul Berman ist von den Neokonservativen kaum mehr zu unterscheiden. Und was sie verbindet, ist, dass sie selbst eine revolutionäre Position vertreten. Sie sehen Amerika als eine weltrevolutionäre Macht. Sie glauben, dass es die amerikanische Mission sei, die Welt zu verändern. Ich glaube nicht, dass das der beste Weg ist, die Demokratie und liberale Werte zu verteidigen. Natürlich sollte der Westen seine Werte verteidigen, aber nicht, indem er Kreuzzüge führt.

 

Falter: Sie selbst schreiben, man solle es nicht grundsätzlich ausschließen, Machtmonopole auch mit militärischer Gewalt zu brechen. Genau das ist doch im Irak geschehen.

 

Buruma: Ich glaube nicht, dass wir einen Krieg beginnen sollen, bloß weil ein Land eine Diktatur hat. Es braucht schon drängende Kriegsgründe: Etwa eine unmittelbare Bedrohung oder die Notwendigkeit, Massenmord oder Genozid zu stoppen. Beides gab es im Irak nicht.

 

(Falter: In den späten neunziger Jahren war es fast politischer Common Sense geworden, dass man Vorgängen wie in Bosnien, Kosovo, oder auch in Ruanda nicht tatenlos zusehen dürfe. Nach dem Irakdebakel dürfte das beim nächsten Mal wieder schwieriger werden.

 

Buruma: Das ist eine der schlimmen Konsequenzen des Irakkrieges. Wenn das nächste Mal eine Intervention berechtigt und notwendig sein wird, werden es die USA nicht nur schwieriger haben, internationale Allianzen zu bilden – es wird auch verdammt schwer, die Unterstützung der Amerikaner zu gewinnen.)

 

Falter: Sie werfen den Neokonservativen vor, sie seien ihrem trotzkistischen Mentalität treu geblieben. Hat das Konzept der permanenten Revolution gewissermaßen nur die Verpackung gewechselt?

 

Buruma: Ja, eindeutig. Was sie vertreten, hat mit dem traditionellen Konservativismus der amerikanischen Republikaner nichts zu tun. Die waren meist isolationistisch, auf Ordnung und Geschäft bedacht. Die Idee, revolutionäre Kriege zu führen ist ihnen sehr fremd. Dieses Denken wurde von Leuten eingeführt, die ursprünglich von der Linken kommen.

 

Falter: Andererseits ist dieser neokonservative Idealismus besser als die traditionelle konservative Realpolitik, deren Leitlinie ja im Umgang mit Diktatoren oft war: "Wenn er auch ein Monster ist, Hauptsache er ist unser Monster."

 

Buruma: Klar, der Westen darf nicht wieder in den Realismus a la Kissinger zurückfallen. Er darf nicht mit Diktatoren paktieren. Beispielsweise sollte der Westen China viel kritischer gegenüberstehen.

 

Falter: Sie sind nicht sehr hoffnungsfroh, was Demokratie und Freiheit in China angeht?

 

Buruma: Die Theorie war immer: Ökonomische Öffnung würde ein demokratisches Wunder nach sich ziehen. China ist das Gegenmodell, sie wollen es zum Gegenmodell machen. Und das Verstörende ist: Das wird allgemein bewundert. Die Kombination aus politischem Autoritarismus und wirtschaftlichem Liberalismus ist sehr instabil. Sie funktioniert nur, solange es wirtschaftlich aufwärts geht. Es ist eine Art von Bestechung der Mittelklasse. Das Versprechen lautet: Es wird Euch besser gehen, Ihr dürft auch lesen was Ihr wollt, aber Ihr dürft Euch nicht in die Politik einmengen. Aber was passiert, wenn die Wirtschaft kracht? Dann gibt es entweder Chaos oder es entsteht ein extremer Nationalismus – so wie in Deutschland 1914. 

 

Falter: Wenn sich junge Chinesen politisch äußern, dann finden wir das meist nicht sehr sympathisch: Großmachtssucht, Nationalismus grassieren. Wie gefährlich ist das?

 

Buruma: Es ist sicher eine Gefahr – dass sich der Nationalismus in Aggression nach außen übersetzt. Aber es gibt auch eine lange Tradition des Nationalismus, der sich gegen die Mächtigen richtet. Viele Revolten haben in China damit begonnen, dass den Herrschenden vorgehalten wurde, sie seien schwach, seien nicht genug  patriotisch. Die Regierung muss sich vor diesem Nationalismus auch in acht nehmen.

 

Falter: Lassen Sie uns noch einmal über die USA und Europa sprechen. Es gibt den Streit in Europa über den neuen Antisemitismus. Sie haben sich mehrmals mit diesem Themen beschäftigt. Einerseits haben Sie vor allem amerikanischen Juden vorgehalten, sie kultivieren die Opferrolle zur Identitätsstiftung – andererseits haben sie kritisch über falsche Zungenschläge der Israel-Kritik geschrieben. Gibt es da einen Zusammenhang?

 

Buruma: Zunächst gilt für amerikanische, aber auch für europäische Juden: für die sehr assimilierten Juden der Mittelklasse, für die Religion praktisch keine Rolle mehr spielt, ist die Erinnerung an den Holocaust Hauptquelle der kollektiven Identität. Das ist übrigens eine Tendenz bei allen Minderheiten in den USA, dass sie ihre Identität meist aus einem solchen Opferkult ziehen. Bei den Juden führt das dazu, dass sie manchmal Antisemiten wähnen, wo keine sind. Das hat Auswirkungen auf das amerikanisch-europäische Verhältnis, weil für die Amerikaner all diese bösen Dinge ja aus Europa gekommen sind: Rassismus, Antisemitismus, Faschismus. Darum übertreibt man den europäischen Antisemitismus. In Europa wiederum ist es auch für viele sogenannte vornehme Leute wieder durchaus okay, antisemitische Sprüche loszulassen. Sechzig Jahre nach Kriegsende sind die Tabus einfach nicht mehr so stark. Das ist vielleicht nicht gefährlich, aber unangenehm und merkbarer. Andererseits haben die Europäer ihr Schuldgefühl noch nicht verarbeitet. Und da ist es entlastend, Israel zu kritisieren. Nun prallen diese beiden Sentiments aufeinander: diese sehr amerikanische Identitätsstiftung aus der Betonung der Opferrolle, und die europäischen Schuldgefühle.

 

Falter: Auch die Kritik an den Neokonservativen wird bisweilen als versteckter Antisemitismus gedeutet, weil manche führende Anhänger dieser rechten Strömung jüdischer Herkunft sind….

 

Buruma:  Ich würde die Neokonservativen nicht rechts nennen. Sie sind Radikale, die einer universalistischen Idee anhängen, der Idee, Demokratie und Freiheit in der Welt zu verbreiten. Juden sind traditionell von der Idee universalistischer Rechte angezogen, weil das der Gegensatz zum Nationalismus ist, der für Minderheiten oft schlechte Auswirkungen hat. Minderheiten sind immer diejenigen, die erhoffen, universalistische Rechte würden ihre Lebenschancen verbessern. Es ist deshalb überhaupt kein Wunder, dass manche jüdische Intellektuelle davon angezogen sind – so wie es kein Wunder ist, dass sie vom traditionellen christlichen Konservativismus eher wenig angezogen sind. Das zu sagen ist überhaupt nicht antisemitisch. Sehr wohl antisemitisch ist aber, wenn man sagt, sie seien eine Lobbygruppe für Israel und unterstellt, sie wären das aufgrund jüdischer Solidarität.

 

(Falter: Sie kritisieren die Neokonservativen sehr hart dafür, dass sie im Bush-Amerika eine Allianz mit der christlich-fundamentalistischen Rechten eingegangen sind.

 

Buruma: Ja, aus opportunistischen Gründen, aus furchtbaren und gefährlichen opportunistischen Gründen haben sie diesen Pakt geschlossen. Um die Mehrheit für die Republikaner zu sichern, haben sich diese radikalen Liberalen mit Leuten zusammengetan, die alles andere als Liberale sind. )

 

Kasten:

 

Der Weltbürger

 

Ian Buruma, 53, ist einer der international meistbeachteten Essayisten und politischen Schriftsteller der Gegenwart. Einem globalen Publikum ist er  vor allem durch seine regelmäßigen Beiträge in der renommierten "New York Review of Books" bekannt. Seine Kritik an dem revolutionären Weltbefreiungseifer der Neokonservativen kann nachgelesen werden in "Revolution from above" (http://www.nybooks.com/articles/16211). Eben erschien sein Buch "Occidentalism. The West in the Eyes of Ist Enemies", gemeinsam verfasst mit dem israelischen Philosophen Avishai Margalit. Der Schlüsselessay daraus findet sich auf deutsch im Internet unter http://www.taz.de/pt/2002/04/06/a0234.nf/text. Buruma schreibt auch regelmäßig für die Zeitschrift "lettre". (Beispielsweise "Kotau vor dem Drachenthron" http://www.lettre.de/archiv/48_buruma.html). Ebenfalls im Netz zu finden ist sein hervorragender Essay "Olympiade des Leidens" (http://www.novo-magazin.de/39/novo3916.htm).

 

Buruma verkörpert gleichsam den Weltbürger, er ist das Kontrastprogramm zum Kampf der Kulturen. 1951 in Den Haag geboren, Sohn einer Engländerin und eines Holländers, die Großeltern deutsch-jüdischer Herkunft, lebte Buruma lange Jahre in Asien, zunächst in Japan, später in Hongkong. Südostasien, Japan, China, Indien sind ebenso häufige Themen seiner politischen Essayistik wie die politische Kultur Englands und der USA. Mehrere seiner Bücher sind auch auf Deutsch erschienen, darunter jüngst: Anglomania. Europas englischer Traum (Hanser, München, 2002) sowie Erbschaft der Schuld. Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan (Rowohlt, Reinbeck, 1996).

 

Ian Buruma weilte diese Woche auf Einladung der "Bruno-Kreisky-Stiftung" in Wien.

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