„Die USA sind besiegbar“

Benjamin Barber, Politikprofessor und Bestseller-Autor, über das Erwachen der Demokraten, die düsteren Aussichten im Irak und das fundamentale Ressentiment gegen westlichen Kommerz und Amerikanisierung. 

 

Sie haben vor den Risiken eines unilateralen Abenteuertums im Irak gewarnt. Heute erweist sich Tag für Tag, wie richtig solche Warnungen waren. Haben Sie damit gerechnet, dass ihnen die Realität so schnell und so blutig recht geben wird?

 

Barber: Meine Prämisse war, dass Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein Vize Paul Wolfowitz, Vizepräsident Richard Cheney und Präsident George W. Bush eben nicht das Lager der "Realisten" repräsentieren. Die Realisten werden in der Regel von der Realität bestätigt. Früher einmal waren die Krieger die Realisten. Aber heute kann keine Nation ihr Schicksal definieren ohne die Kooperation mit anderen, in einer Epoche der Interdependenz sind die Unilateralisten die Idealisten und die Multilateralisten die Realisten.

 

Das Buch:

Benjamin Barber: Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt. München, Beck-Verlag, 2003. 276 Seiten.

Euros

Veloce: 89190.

 

 

 

Die US-Okkupation holt sich eine sichtbar blutige Nase im Irak. Ändert das etwas an der Stimmung in der US-Öffentlichkeit und der politischen Klasse?

 

Barber: Die graduelle Veränderung ist signifikant. Wir brauchen nur die Zustimmungsraten für George W. Bush nehmen. Er hatte im Frühjahr 70 Prozent der Amerikaner hinter sich, heute ist die Rate auf unter 47 Prozent gefallen und wir können geradezu vorausberechnen wie der Wert mit jedem toten US-Soldaten weiter fällt. Es hat seit dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen doppelt soviele Tote gegeben wie im Krieg selbst. Es ist sehr schwierig zu behaupten, dass wir mit der Befreiung des Irak erfolgreich waren, wenn die Menschen, die wir befreit haben, nicht aufhören, uns umzubringen oder wegschauen, wenn andere auf uns schießen. Wir haben Opposition von den Sunniten erwartet, aber wir haben keinen Widerstand aus den Reihen der Schiiten erwartet, und ganz offensichtlich sind es mehr und mehr die Schiiten, die ins militant anti-amerikanische Lager wechseln.

 

Wacht jetzt das liberale Lager in Amerika endlich auf?

 

Barber: Ich meine, man unterschätzt die Auswirkungen dessen, was ich "Imperium der Angst" nenne. Diese Politik der Angst hatte eine ganz ungeheure paralysierende Wirkung, auf die US-Öffentlichkeit und auch auf die demokratischen Parteiführer. Immerhin war das amerikanische Heimatland zuletzt 1812 von den Briten in einer kriegerischen Auseinandersetzung direkt getroffen worden. Deshalb hat der 11. September etwas ganz Fundamentales in der amerikanischen Psyche verändert und hat damit die Möglichkeit geschaffen, diese Panik zu benützen, eine Möglichkeit, die die Bush-Regierung ergriff. Die Regierung hatte doch im Grunde zwei Möglichkeiten: Erstens, den Amerikanern zu helfen, ihre Angst zu überwinden. Zweitens, auf eine Strategie der Angst und Hysterie zu setzen. Die Regierung hat sich für letzteres entschieden und damit paradoxerweise das Spiel der Terroristen gespielt. Die Opposition war in dieser Lage von diesem Klima der Angst angesteckt und gab dem Präsidenten eine Carte Blanche. Das hielt zwei Jahre vor, bestimmte zwei Kriege, die Gesetzgebung – nehmen wir nur den Patriot Act -, die öffentliche Debatte. Jetzt dämmert den Leuten, dass Amerika nicht sicherer geworden ist, dass Osama bin Laden ungerührt, Saddam untergetaucht, Bagdad voll mit Terroristen ist. Diese Kriege waren ein Rekrutierungsmittel für Terroristen. Während des vergangenen Sommers nun hat sich diese Wolke der Angst gehoben. Und in dieser Phase hat die Kandidatur von Howard Dean, jenen demokratischen Präsidentschaftskandidaten, der schon früh Kritik gewagt hatte, plötzlich Momentum gewonnen. Er hat 15 Millionen Dollar gesammelt, hat 500.000 Unterstützer im Internet mobilisiert. Er kam von Außen und hat die etablierten demokratischen Insider – Gephard, Kerry, Lieberman – an den Rand gedrängt. Die Amerikaner haben genug von dieser Regierung und sie haben auch genug von dem liberalen Establishment, das bei der Politik der Angst mitgemacht hat.

 

Bleiben wir kurz beim Namedropping. Dean haben sie erwähnt, Wesley Clark hat zuletzt für Aufsehen gesorgt, manche prophezeien, dass Hillary Clinton doch noch ins Rennen steigt, vielleicht dann mit Clark als Kandidat für die Vizepräsidentschaft. Was ist Ihre Prognose?

 

Barber: Zunächst: Es gibt kaum einen vorstellbaren Weg, dass Hillary Clinton ins Rennen einsteigt. Sie baut erst ihre Repudation im Senat auf, sie wird von sehr vielen Leuten sehr negativ gesehen, wenngleich auch von ebenso vielen sehr positiv, aber sie polarisiert noch zu sehr. Das weiss sie und sie weiss, dass es für sie sehr viel sinnvoller ist, bis 2008 zu warten. Wesley Clark ist eine interessante Figur und, wie Dean, einer der von außerhalb des politischen Establisments interveniert. Überhaupt ist die US-Politik der vergangenen Jahre eine Outsider-Politik. Clinton war ein Outsider, Bush stilisierte sich als Outsider aus Texas "gegen Washington", Arnold Schwarzenegger triumphierte jüngst als Outsider und die Frontrunner heute, Dean und Clark, sind Outsider…

 

…Anti-Establishment-Kandidaten…

 

Barber: Ja, weil die Protagonisten des Establishment bewiesen haben, dass sie Heuchler sind, sich um ihre Versprechen nicht scheren, Repräsentanten des Filzes sind – Enron, Halliburton etc. Wenn ein Demokrat gewinnt, dann wird das ein Outsider sein, keine Figur des Washingtoner Polit-Establishment.

 

Sie haben von dem Virus der Angst gesprochen. Amerika hat sich zudem in der Welt Feinde gemacht. Kann sich all das durch einen simplen Regierungswechsel eigentlich in Wohlgefallen auflösen?

 

Barber: Ich denke doch. Denn das, was diese Regierung macht, konterkariert alles, wofür Amerika historisch steht. Und es richtet sich auch gegen die Realitäten einer interdependenten Welt. Wir müssen uns der mulilateralen Traditionen wieder besinnen, nicht aus Altruismus, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Keine Nation, wie mächtig auch immer, kann irgendetwas erreichen, wenn sie auf sich selbst gestellt ist. Das gilt für den Kampf gegen den Terrorismus ebenso wie für den gegen Aids. Amerika wird auf diesen bewährten Pfad zurückkehren.

 

Aber Amerika hat sich auch unter Clinton schon von diesem Pfad wegbewegt. Die Probleme mit dem Internationalen Strafgerichtshof, mit internationalen Umweltschutzabkommen gibt es ja nicht erst seit Bush‘ Amtsantritt.

 

Barber: Ja, aber erinnern Sie sich, am Ende hat Clinton Kyoto unterschrieben, am Ende hat Clinton gesagt, wir würden das Abkommen über den Strafgerichtshof unterschreiben. Natürlich ist Amerika die mächtigste Nation der Welt und wünscht, dass internationale Abkommen diese singuläre Rolle anerkennen. Die Welt kann nicht regelmäßig darum bitten, dass Amerika den Weltpolizisten spielt, und dann damit drohen, die US-Soldaten vor ein internationales Tribunal zu zerren. Das heißt, Amerika hat schon das Recht, bei Verträgen auf Verhandlungen und Nachverhandlungen zu drängen, das hat aber noch nichts mit Unilateralismus zu tun. Natürlich wird auch kein demokratischer Präsident jemals sagen, "Hey, ich unterschreibe, was ihr wollt…"

 

Welche Bedeutung für den unilateralen Schwenk hat denn die militärische Übermacht der USA? Verleitet der Umstand, dass man eine Militärmacht zur Verfügung hat, der niemand widerstehen kann, nicht automatisch dazu, diese zu benützen?

 

Barber: Das Problem ist nur, dass wir die militärische Macht nach Standards des 20. Jahrhunderts messen. Natürlich gibt es keine nationale Armee, keine Air-Force, keine Navy, die sich der US-Übermacht entgegenstellen kann. Das blöde ist nur, dass unsere Feinde keine nationalen Armeen sind, sondern diese Schattenkrieger der NGOs mit bösen Absichten, die uns mit assymetrischen Mitteln entgegentreten. Man sieht das gerade im Irak: Für die irakische Armee haben die US-Truppen gerade ein paar Tage gebraucht, aber gegen die assymetrischen Guerillaangriffe finden sie kein Mittel. In einer solchen Epoche, wo es nicht Nation gegen Nation heißt, sondern Nation gegen al-Qaida oder Armee gegen Einzelkämpfer, wiegt die US-Übermacht gar nichts. Langfristig kann ein Netz von Schattenkriegern die USA besiegen.

 

Zurück zum Unilaterialismus. Sie sagten, diese Regierung konterkariert alles, wofür die USA historisch stehen. Nun gibt es tatsächlich die gute Tradition, mindestens seit dem 1. Weltkrieg, die Welt mit Verträgen zu führen, durch multilaterale Arrangements. Es gibt aber doch auch einen zweiten historischen Strang, diese Idee vom amerikanischen Exzeptionalismus, von "God owns Country". Wie stark wiegt das denn noch?

 

Barber: Stark, sehr stark. Das erklärt, warum Bush nicht als totale Anomalie betrachtet wird. Die Vorstellung von Amerika als "Neues Eden", von der "City on the Hill", diese religiöse Übercodierung hilft Bush. Wenn er davon redet, es sei "unsere Mission", die Welt zu befreien, dann ist das etwas, das auf Erinnerungsspuren zurückgreift, was die Amerikaner schon mobilisiert. Das hat es erschwert, die Fehler dieser Strategie herauszustreichen.

 

Lassen Sie mich zum Schluß noch auf das zentrale Thema ihrer Arbeit kommen, die Konstellation Jihad vs. McWorld, ihre These, dass kapitalistische Globalisierung, Kommerzialisierung und Amerikanisierung fundamentalistische und identitäre Gegenreaktionen provozieren. Steht das hinter dem terroristischen Zorn, oder nicht doch viel simpler die Empörung über imperiale Machtpolitik der USA? Osama bin Laden schert sich doch nicht viel um US-Lifestyle, doch sehr viel um die Unterstützung, die die USA korrupten und despotischen arabischen Regimes zukommen lassen.

 

Barber: Okay, aber wir müssen zwischen den Terroristen, die von Ideologie getrieben sind, und der Bevölkerung unterscheiden, in der sie wie aufgehoben sind. Die Terroristen sind gewissermaßen ein Krebsgeschwür an einem ungesunden politischen Körper. Die Menschen, die sie auf den Straßen feiern, fühlen sich bedroht vom Westen. Sie sehen aggressiven, materialistischen westlichen Säkularismus, insbesondere in seiner amerikanisiserten Form, als eine Bedrohung ihrer Werte, ihrer Kultur, ihrer Religion. Das gilt übrigens auch für hunderttausende religiöse Fundamentalisten in den USA selbst. Natürlich ist in all dem eine große, tiefe Ambivalenz. Eine Mutter in Teheran oder Kairo hat zwei große Ängste: dass ihr Sohn nie einen guten Job bekommt, nie Anschluss an die westliche Zivilisation, die globalen Märkte findet. Die andere Sorge: dass ihr Kind genau diesen Anschluss findet, verwestlicht wird, seine traditionellen Werte verliert. Und welche von beiden Varianten eintritt, sie ist immer ein Grund für Zorn auf den Westen, auf Amerika.

 

 

Benjamin Barber, Professor an der University of Maryland, ist einer der angesehensten Politikwissenschaftler der USA. Er war im innenpolitischen Beraterstab Präsident Bill Clintons. Seit dem Erfolg seines Buches "Jihad vs. McWorld", das Mitte der neunziger Jahre in 15 Sprachen übersetzt wurde, ist er auf auf der internationalen Bühne eine fixe Größe. Dieser Tage erschien im Münchener Beck-Verlag sein Buch "Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt".

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