„Sind Sie ein Antisemit, Herr Bové?“

José Bové über seinen Kampf gegen das industrielle Agrarmodell, den Spaß beim Mc-Donalds-Zertrümmern und die zweifelhafte Ehre, als linker Antisemit zu gelten. 

  

Sie kämpfen gegen Agrarmultis, gegen Gentechnik und Handel mit Lebensmitteln – soviel "Antiglobalisierung" macht selbst viele Linke skeptisch. Bekämpfen Sie den Fortschritt?

 

Vor wenigen Tagen wurde in einem UN-Bericht festgestellt, dass wir, wenn die Dinge so weitergehen, in zehn, zwanzig Jahren ein großes Problem haben werden, die Menschen zu ernähren – besonders in den südlichen Ländern. Die Technisierung der Landwirtschaft hat keine Zukunft. Erstmals in der Geschichte der Menschheit führt "Fortschritt" nicht zu "Fortschritt", sondern zu einer Verschlechterung.

 

Beispielsweise?

 

Die Industrialisierung der Landwirtschaft führt zu einer Explosion des Wasserbedarfs. Der Einsatz von Pestiziden führt zu immer mehr Problemen. Die Umweltverschmutzung nimmt zu. Die Produktpalette verengt sich, es überleben nur mehr ein paar Sorten. Und mit der Industrialisierung der Landwirtschaft unter den Bedingungen der Globalisierung dramatisiert sich das Hungerproblem. Das ist absurd: Industrielle Landwirtschaft ernährt die Leute nicht. Das Absurdeste: Die Mehrheit der Menschen, die unter Hunger leiden, sind Bauern. Da läuft doch etwas total falsch.

 

Okay, es gibt Ungerechtigkeit. Könnte die nicht bekämpft werden, indem wir die Märkte der entwickelten Länder den unterentwickelten Ländern öffnen?

 

Die Bauern in der Dritten Welt wollen doch gar nicht auf dem offenen Weltmarkt verkaufen. Sie wollen mit ihren Produkten ihre Familie ernähren, ihre Nachbarschaft. Unter den Bedingungen der WTO sind ihre Länder aber verpflichtet, ihre Märkte für Dumping-Produkte zu öffnen. Das zerstört ihre Lebensgrundlage. Der Preis verfällt.

 

Aber doch nicht prinzipiell wegen des Handels – sondern weil wir subventionierte Produkte auf die Weltmärkte bringen.

 

Darum fordern wir ein Ende des subventionierten Exportes. Wir sollen die Landwirtschaft in Europa schon unterstützen. Aber es ist unfair, die Landwirtschaft zu subventionieren und gleichzeitig die Überproduktion zu exportieren.

 

Europas Bauern leben aber ganz gut davon, oder?

 

Wir exportieren gerade einmal fünf Prozent der Produktion. Es wäre ganz leicht, darauf zu verzichten. Das würde keinen Bauern ruinieren.

 

Noch einmal: Mit Globalisierung hat das doch nichts zu tun, sondern vor allem mit einer falschen Politik, der EU beispielsweise.

 

Die WTO hat damit nichts zu tun – außer, dass ihre Regeln die Öffnung der Märkte vorschreiben. Dabei kommen nur zehn Prozent der landwirtschaftlichen Produkte in den interkontinentalen Handeln. Dieser zehn Prozent wegen ändern wir die Regeln für die restlichen neunzig Prozent. Das ist verrückt. Deswegen sagen wir: halten wir die Landwirtschaft aus dem WTO-Regelwerk raus! Freihandel ist nichts für die Landwirtschaft.

 

Die Konsumenten in Europa werden die höheren Preise aber nicht so gerne bezahlen. Außerdem würden sie gerne weiter Bananen essen und Kaffee trinken.

 

Wir exportieren Fleisch nach Afrika, dessen Preis die Hälfte der Produktionskosten beträgt. Ist das eine vernünftige Preispolitik? Oder ist das schon eher ein Handelskrieg? Außerdem stimmt es nicht, dass die Preise für die Konsumenten sinken, wenn die Preise für die Produzenten sinken. Die Differenz sacken sich doch die großen Handelsfirmen ein.

 

Die Konsumenten im Westen müssen ihr Konsumverhalten nicht ändern?

 

Es sind doch dieAgrarmultis, die auf das Konsumverhalten einwirken. Die Menschen hatten doch nie ein Bedürfnis gehabt, im Jänner Erdbären zu essen. Sie waren nicht daran gewohnt, immer alles haben zu können. Worin besteht denn genau der Vorteil der Konsumenten, wenn sie nicht mehr die gewohnten Nahrungsmittel aus der Region beziehen sondern exotisches Zeug aus der Südsee? Zudem: Wenn sie realistische Preise bezahlen müssten, die wirklichen Transportkosten – die angerichteten Umweltschäden inklusive – würden sie diese Produkte sicher nicht mehr kaufen.

 

Faire Preise würden uns Bananen- und Kaffee-Konsum also abgewöhnen?

 

Das habe ich nicht gesagt: Es gibt ein paar Produkte aus tropischen Gegenden, die wir hier bei uns nicht anbauen können. Das Problem ist, dass die Menschen, die den Kaffee, den Kakao anbauen, den Preis nicht bestimmen und auch nur einen kleinen Teil dessen erhalten, was die Konsumenten bezahlen. Da geht es nicht um Konsumverzicht, sondern um Fair Trade. Wir brauchen internationale Regulierung, damit die Preisgestaltung nicht in den Händen der Multis liegt.

 

Eine reformierte WTO? Also doch ein mehr an Globalisierung?

 

Wie wir das nennen, ist mir egal. Wir benötigen eine faire Preisgestaltung auf internationaler Ebene und die Möglichkeit der Länder, sich vor Dumping zu schützen. Die einzige Möglichkeit der südlichen Länder, ihre Märkte zu schützen, sind hohe Importzölle. Die WTO-Regeln verbieten ihnen das aber.

 

Das hätte ich gerne etwas präziser: Bevorzugen Sie internationale Regulierung oder den Rückfall in nationalstaatliche Lösungen?

 

Beides brauchen wir. Auch wenn wir eine faire, reale Preisgestaltung haben, können Bauern in einigen Ländern Probleme bekommen. Der Schutz dieser Bauern ist wichtiger als offene Märkte. In manchen Ländern stellen sie 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung. Wohin sollen sie denn gehen, wenn sie ihre Landwirtschaften verlieren? In die großen Städte? In China haben schon 250 bis 300 Millionen Bauern ihren Lebensunterhalt verloren.

 

China, mit seinem rasanten Wachstum an industriellen Arbeitsplätzen und prosperierenden Städten ist vielleicht kein so gutes Beispiel…

 

Es gibt nicht 500 Millionen Arbeitsplätze für arbeitslose Bauern. Kein Mensch weiß, wie wir Städte für 100 Millionen Menschen bauen können. Das produziert soziale Probleme, demokratische Probleme, für die wir keine Lösung haben.

 

Das nennt man sozialen Wandel. Das hatten wir in Europa auch.

 

Das Niveau ist schon etwas anders. In Europa zog sich die Industrialisierung über hundertfünfzig Jahre. In der Dritten Welt erleben wir gerade einen schockhaften Wandel innerhalb von wenigen, vielleicht zehn bis zwanzig Jahren.

 

Sie werden sich wahrscheinlich wundern, dass das Wort McDonalds bisher nicht fiel. Ich nehme an, das ist üblicherweise die erste Frage. Sie wurden ja als McDonalds-Zertrümmerer berühmt. Was haben Sie gegen McDonalds?

 

Jeder redet darüber, weil es ein symbolischer Akt war. Ein Symbol, das illustriert, wie die Dinge funktionieren. Ein Symbol für den Kampf zwischen lokaler Produktion und industrieller Produktion. Die USA haben Strafzölle über unsere lokalen Produkte verhängt, weil Europa Hormonfleisch nicht auf den Markt lassen wollte. Eines dieser Produkte war der Käse, den wir in unserer Region produzieren. Darum haben wir diesen McDonalds zerlegt, das war eine große Party.

 

Viele Leute haben die Symbolik so verstanden: Der Typ will nicht, dass Ihr bei McDonalds esst, er will Euch zwingen, französischen Käse zu essen.

 

Man hat mich ins Gefängnis gesteckt und vor Gericht gestellt. Die amerikanischen Bauerngewerkschaft hat mir eine Solidaritätsadresse geschickt. Sie haben gesagt, sein Kampf ist nicht nur für die französischen Bauern sondern für alle Bauern. Das war wichtig: Jeder konnte sehen, es geht nicht um Frankreich gegen USA, sondern gegen das Modell der industriellen Landwirtschaft.

 

Antiamerikaner sind sie also keiner. Wie ist das aber mit den Juden? Vor drei Jahren sind sie Yassir Arafat beigesprungen, wie der von der israelischen Armee belagert wurde. Warum muss sich ein europäischer Globalisierungskritiker in einen solchen komplizierten Konflikt derart auf eine Seite stellen?

 

Wir waren, als Delegation der internationalen Bauernbewegung Via Campesina, zufällig in diesem Moment vor Ort – wir waren zum Kampftag der palästinenischen Bauern eingeladen. In diesem Augenblick ist die israelische Armee auf Ramallah vorgerückt. Arafat, der gewählte Präsident der Palästinenser, war in Bedrängnis. Darum sind wir zu Arafat gegangen. Wir haben gesagt: Diese Aggression ist gegen alle UN-Beschlüsse. Israel hat ein Recht, zu existieren. Aber auch das palästinensische Volk hat ein Lebensrecht.

 

Die israelische Regierung hat gesagt: Arafat ist ein Hindernis für den Frieden. Heute sieht’s so aus als hätte sie recht gehabt.

 

Ich kann mir in einem Friedensprozess mein Gegenüber nicht aussuchen.

 

Ich kann von dem, mit dem ich über Frieden verhandle, schon verlangen, dass er Selbstmordattentate zu verhindern versucht.

 

Selbstmordattentate gegen Zivilisten sind inakzeptabel. Das habe ich auch in Palästina gesagt. Selbstmordattentate sind politisch dumm und ethisch kriminell, total verrückt. Da waren wir ganz klar. Aber die Besatzung eines anderen Landes ist auch ein Verbrechen.

 

Sie haben auch gesagt, der Mossad führt antisemitische Anschläge in Frankreich vielleicht selbst aus. Seither haben Sie die zweifelhafte Ehre, als linker Antisemit zu gelten.

 

Ich habe das nicht so gesagt. Ich habe gesagt, dass so etwas in den fünfziger Jahre vorgekommen ist. Darum sollen wir sehr vorsichtig sein, vorschnell irgend jemanden die Verantwortung für antisemitische Akte zuzuschieben. Es war ein Fehler, das in einem Moment zu sagen, in dem sich jüdische Menschen wirklich gefürchtet haben. Jüdische Franzosen hatten Angst auf die Straße zu gehen, Angst um ihre Familie. Ich hätte das in diesem Moment nicht sagen sollen.

 

Ich kann mir eigentlich keinen Moment vorstellen, in dem es besser passen würde, zu sagen, die Juden führen antisemitische Anschläge in Wirklichkeit selbst aus.

 

Habe ich doch nicht gesagt! Ich habe gemeint: Es gibt das jüdische Volk, das Ziel antisemitischer Ressentiments, sogar von Übergriffen ist. Und es gibt einen Staat mit einer Regierung, die in bestimmten Phasen ihrer Existenz ein Interesse daran haben, den Antisemitismus zu dramatisieren. Das habe ich gesagt, aber es ist offenbar nicht möglich, dass das sachlich aufgenommen wird. Wenn das nicht möglich ist, soll man so etwas besser nicht sagen. Darum tut es mir leid, dass ich das gesagt habe.

 

 

José Bové, Frontmann der rebellischen französischen Bauerngewerkschaft Confederation Paysanne, ist eine der schillerndsten Celebrities, aber auch eine der umstrittensten Figuren der internationalen No-Global-Szene. Berühmt wurde der Käsemacher, als er 1999 mit Mitstreitern eine McDonalds-Filiale zertrümmerte. Der amerikanische Multi ist für ihn Symbol für industrielles "malbouffe" – "übles Essen". Mehrere Wochen verbrachte Bové wegen seiner militanten Aktionen im Gefängnis. Immer wieder nimmt er an Zerstörungaktionen von Gensaat-Fabriken teil. Bové ist ein internationalistischer Aktivist, aber mit einem Schuss ins Nationale: Protektionistischen Maßnahmen ist er nicht grundsätzlich abgeneigt, und er ist auch der Held französischer Lokalpatrioten. In den letzten Jahren wurde er für seine harschen antiisraelischen Wortmeldungen kritisiert – manchen gilt er darum als Paradebeispiel einen "linken Antisemitismus". Vergangene Woche war Bové in Wien, um Aktionen der "IG-Milch", eines Zusammenschlusses von Milchbauern, und des alternativen "Agrarbündnisses" zu unterstützen, die für faire Preise und gegen die Monopolisten der NÖM streiten.

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