„Eine Supermacht, der man mit Angst begegnet“

Richard Rorty über die bestürzende Neurorientierung der Bush-Regierung, die Unfähigkeit des demokratischen Establisments und die Hoffnung, dass George W. Bush 2004 abgewählt wird.

 

Herr Rorty, dem Krieg, in dem wir stehen, fehlt das Mandat durch den UN-Weltsicherheitsrat. War es ein Fehler von Frankreich, Deutschland und Russland, dass sie die Militäraktion nicht doch in letzter Minute autorisert haben?

 

Rorty: Nein, das war kein Fehler. Diese Länder haben ihre Entscheidung getroffen, sie hatten politische Gründe, vielleicht waren sie auch von ökonomischen Gründen beeinflußt aber am Ende ist unbestreitbar: die grundsätzlichen Argumente gegen das Konzept eines Präventionskrieges sind so stark, dass es sich eigentlich ausgeschlossen hat, doch noch mit den USA zu marschieren.

 

Wie tief geht die Spaltung zwischen dem "alten Europa" auf der einen Seite, den USA (sowie Großbritannien und Spanien) auf der anderen?

 

Rorty: Die Bush-Regierung repräsentiert eine bestürzende Neurorientierung in der US-Außenpolitik. Diese unilaterale Arroganz, mit der Präsident Bush agiert, bedroht fünfzig Jahre harter Arbeit vorangegangener Präsidenten. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA, was immer sie auch verbrochen haben mögen, doch dazu beigetragen, ein funktionierendes Regelwerk des internationalen Rechtes zu entwickeln. Darum soll man um Gottes Willen nicht den gegenwärtigen Präsidenten mit den USA indentifizieren. Mit etwas Glück wird er schon nächstes Jahr – 2004 – abgewählt werden, und dann werden die USA wieder zu ihrer erprobten Politik zurückkehren. Aber es war ein großer Schaden, dass Tony Blair und Jose Maria Aznar sich auf die Seite Bush‘ gestellt hatten. Wäre Europa geschlossen gegen den US-Unilateralismus gestanden, hätte Washington wahrscheinlich nachgeben müssen.

 

Zbigniew Brzezinski, der ehemalige Nationale Sicherheitsberater der USA, sieht Ihr Land schon "isolierter denn je in der modernen Ära"…

 

Rorty: Ja, dass ist ein treffender Kommentar. Aber wie gesagt, mit Glück ist das nur eine zeitlich begrenzte Isolation.

 

Sie meinen also nicht, dass die transatlantische Konfrontation dauernde Folgen haben wird?

 

Rorty: Das hängt wirklich davon ab, ob die Wahlen im Jahr 2004 zu einer zweiten Bush-Periode führen oder nicht; und ob die republikanische Mehrheit im Kongress bestätigt wird. Wenn das so sein sollte, und wenn der Krieg im Irak so schlecht laufen sollte, wie ich befürchte, dann wird diese Konfrontation endlos so weitergehen. Andererseits, wenn der Irakkrieg zu einem triumphalen Erfolg werden sollte – wenn es wenige Tote gäbe und wir in, sagen wir, einem Jahr eine funktionierende demokratische Regierung in Bagdad haben sollten -, dann werden die europäischen Politiker ganz hektisch versuchen, auf Bush‘  Wagen aufzuspringen und gerne ihre Anweisungen von ihm entgegennehmen.  

 

Aber Sie glauben nicht, dass er Krieg kurz und erfolgreich verlaufen wird?

 

Rorty: Ich hoffe es, ehrlich, aber ich bezweifle es wirklich.

 

War es eigentlich eine unerwartete Erfahrung für die Amerikaner, zu sehen, daß viele alliierte Regierungen und eine große Zahl von Menschen in Westeuropa die ungeheure Macht der USA als Hauptproblem der internationalen Arena sehen – und nicht die Massenvernichtungswaffen des Irak?

 

Rorty: Also, da sollte man dann doch die Proportionen wahren. Es gibt viel größere Probleme als die amerikanische Arroganz. Nehmen wir nur an, Nordkorea verkauft nukleare Sprengköpfe an den globalen Bestbieter innerhalb der nächsten paar Jahre. Europa nimmt immer von vornherein an, die USA werden das schon irgendwie verhindern. Aber wie sollen das die USA machen. Die Europäer sind immer noch viel zu oft dazu entschlossen, nichts zu tun, wenn nicht Amerika handelt – und schnell bereit, Amerika die Schuld zu geben, wenn die Dinge falsch laufen. Aber wann präsentieren sie schon Alternativen? Wenn die EU irgendwann beginnen möchte, eine in sich geschlossene Außenpolitik zu betreiben, dann wäre das Problem Nordkorea eine wahrhaftig ideale Gelegenheit, damit zu beginnen.

 

Sie meinen also, die Europäer übertreiben, wenn sie die USA als den Hegemon sehen, der eingegrenzt werden muß?

 

Rorty: Wenn gute amerikanische Präsidenten im Amt sind, dann ist das amerikanische Imperium eine gute Sache – dann wird die Pax Americana von allen begeistert akzeptiert. Wenn schlechte Präsidenten an der Macht sind, wie gegenwärtig, dann macht das amerikanische Imperium einen beängstigenden Eindruck. Daran erkennt man, dass Imperien als solche niemals gut oder schlecht per se sind (das galt schon für das der Römer). Es ist ein Instrument, das für positive oder auch für negative Zwecke verwendet werden kann. Es gab einen großen Unterschied zwischen Marcus Aurelius und Commodus, und es gibt einen großen Unterschied zwischen Bill Clinton und George W. Bush.

 

Herr Rorty, in Europa verdichtet sich der Eindruck, in Washington herrscht eine rechte, neokonservative Bande. Ist das eine übertriebene Interpretation? Und wieso ist die Opposition aus dem demokratischen Establishment so schwach?

 

Rorty: Diese Interpretation ist leider absolut richtig. Und ich würde wirklich gerne verstehen, wie die Demokratische Partei eine so schwache und ineffektive Opposition werden konnte. Ich kann dieses Phänomen beim besten Willen nicht erklären. Ich hoffe, dass irgendwann ein Führer dieser Partei auftauchen wird, der die Courage hat, das Richtige auszusprechen.

 

Was erwarten Sie nun in der nächsten Zeit. Wird das diplomatische Fiasko George W. Bush schaden?

 

Rorty: Also, ich bin mir sicher, Bush würde sich wünschen, er hätte die UNO nie um Unterstützung gefragt. Aber ich denke auch, es schmerzt ihn auch nicht sehr, dass ihm das mißglückt ist. Die eine Häfte der Amerikaner denkt, dass die UN-Legitimation wichtig ist – die andere Hälfte denkt das Gegenteil. Das ist die Hälfte, die Bush gewählt hat. Er wird daher wenige Stimmen verlieren, durch die Sackgasse, in die er politisch geraten ist. Wenn der Krieg aber schlecht laufen sollte, wenn tausende amerikanische Soldaten getötet werden, wird er viele Unterstützer verlieren.

 

Und die globale Architektur als ganze? Manche Denker in Europa glauben, wir erleben schon den Anfang vom Ende der konkurrenzlosen Supermacht USA…

 

Rorty: Wie gesagt: Wenn der Krieg schlecht läuft, dann wird auch das gesamte Weltsystem umgestürzt. Die USA werden ihren Fehler nicht zugeben, sondern sie werden dann noch trotziger und aggressiver werden. Der Rest der Welt wird wiederum vollends das Vertrauen in die Führungskraft der USA verlieren. Die USA werden weiter die unangefochtene Supermacht sein, aber eine, der mit Angst oder zumindest mit Mißtrauen begegnet wird. Allerdings, wie auch schon angedeutet, könnte ein Präsident von der Art Al Gores die USA wieder zurück auf den Boden des multilateralen Rechtes führen. Ein solche Präsident könnten dann den Irak-Krieg durchaus als Verirrung behandeln, als eine Art Wahn, aus dem das Land dann gesundet hervorgeht. Er könnte sich sicher nicht erlauben, offen diesen Krieg zu einem Fehler zu erklären, doch er könnte auf subtile Weise genau diese Botschaft aussenden.  

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.