Warum wurden Schwedens Sozialdemokraten abgewählt, Herr Palme?

Der Trend- und Sozialforscher Joakim Palme, Sohn des legendären schwedischen Ministerpräsidenten Olaf Palme, erklärt, warum die Sozialdemokraten die Reichstagswahlen verloren haben. Profil, 25. September 2006

 

 

 

Hat Sie das Ergebnis der Parlamentswahlen überrascht?

 

Palme: Nein, nicht wirklich. Es wäre überraschend gewesen, wenn es andersrum gekommen wäre.

 

Warum wurde die sozialdemokratische Regierung denn abgewählt?

 

Palme: Der Hauptgrund ist natürlich, dass die Regierung Göran Perssons seit 12 Jahren regiert hat. Für eine Regierung, die so lange amtiert, ist es immer extrem schwierig, an der Macht zu bleiben. Da baut sich dann fast automatisch eine Wechselstimmung auf.

 

Hatten die Leute Persson einfach satt?

 

Palme:Er war in einer sehr starken Position, er hat fast wie ein autoritärer Landesvater agiert. Das hat vielen nicht gefallen. Aber natürlich erklärt das nicht alles. Bloß Verdruss über Persson allein, das hätte wohl nicht gereicht.

 

Die Regierung war doch eigentlich ganz erfolgreich.

 

Palme: Sehr sogar. Die Wirtschaft läuft extrem gut, es gibt hervorragende Wachstumsraten, die Staatsfinanzen sind in einem guten Zustand – es gibt sogar einen Budgetüberschuss. Auch die sozialpolitischen Programme funktionieren. Was die Opposition aber sehr geschickt genützt hat, war die Arbeitsmarktsituation. Damit wurde die Sozialdemokratie auf einem für sie entscheidenden Feld herausgefordert. Trotz des hohen Wachstums ist die Arbeitslosenrate in den vergangenen Jahren bei sechs Prozent geblieben.

 

Also haben auch die vielgerühmten schwedischen Sozialdemokraten kein Mittel gegen die Langzeitarbeitslosigkeit gefunden?

 

Palme: Ja und nein. Viele der Arbeitslosen sind Immigranten, die in den vergangenen Jahren nach Schweden gekommen sind. Sie verfügen nicht über die hohe Qualifikation, die den Grossteil der schwedischen Arbeitskräfte charakterisiert. Darüberhinaus haben viele Menschen Episoden von Arbeitslosigkeit erlebt – also ein paar Wochen oder Monate ohne Job. Strukturelle Langzeitarbeitslosigkeit, wie etwa in Frankreich oder Deutschland, gibt es in Schweden weniger.

 

Und dennoch wurde die Regierung abgestraft?

 

Palme: Den schwedischen Wählern hat eben auch unser Arbeitslosigkeitsproblem schon gereicht. Schließlich zahlen auch jene, die nicht von Arbeitslosigkeit betroffen sind, einen Preis – sie finanzieren ja die Unterstützung für die Arbeitslosen. Die Wähler treffen ihre Entscheidung schließlich nicht so, dass sie die Lage in Schweden mit der Lage in Frankreich oder Deutschland vergleichen. Die schwedischen Wähler sind anderes gewohnt und haben deshalb auch andere Ansprüche – manchmal vielleicht auch unrealistische. Die Opposition hat das geschickt ausgenützt.

 

Indem sie sich als die bessere Sozialdemokratie präsentiert hat?

 

Palme: Das war letztlich das Entscheidende – dass die Konservativen in die Mitte gerückt sind, dass sie auf eine quasi-sozialdemokratische Pro-Wohlfahrtsstaat-Position eingeschwenkt sind. Sie haben ihre neoliberalen Programme einfach aufgegeben. Das hat es der sozialdemokratischen Parteiführung schwer gemacht, die Konservativen anzugreifen.

 

Manche vergleichen diese Strategie mit der von Tony Blair, der „New Labour“ scharf nach rechts geführt hat, um die Konservativen besiegen zu können. Haben die schwedischen „Neuen Moderaten“ die Kurve gewissermaßen in die andere Richtung genommen?

 

Palme: Na klar. Die Konservativen haben nicht nur die Strateige, sondern auch den Stil Blairs kopiert. Sie haben sich als die frischen, neuen Konservativen präsentiert, die die Vergangenheit hinter sich gelassen haben. Sie haben sich das einfach aus dem Strategiebuch der Blair-Leute abgeschaut.

 

Vielleicht haben die Schweden aber doch 75 Jahre sozialdemokratische Hochsteuerpolitik satt.

 

Palme: Nein, die Konservativen haben doch gerade gewonnen, weil sie ihren Kampf gegen diese Politik aufgegeben haben. Die neuen Konservativen sind Realisten, sie wissen, wie Schweden tickt. Sie haben sich geöffnet, auch gegenüber Wählerschichten, die sie bisher nie ansprechen konnten.

 

Heißt das, alles bleibt eigentlich beim Alten?

 

Palme: Natürlich haben die Konservativen auch konkrete Vorschläge, die das schwedische Wohlfahrtssystem in eine andere Richtung lenken. Das schwedische Wohlfahrtssystem ist so organisiert, dass die Mittelklasse sehr stark davon profitiert. Die Konservativen wollen hier sparen und die Investitionen auf die Bedürftigen konzentrieren. Damit wird aus dem Wohlfahrtssystem aber tendenziell ein System der Armenfürsorge. Sie wollen einen Niedriglohnsektor fördern. Die Arbeitskosten sollen sinken. 

 

Der designierte neue Premierminister Fredrik Reinfeldt – ist er der schwedische Blair?

 

Palme: Er ist extrem geschickt. Er war ja zunächst in Opposition in seiner eigenen Partei und hat seine Karriere sehr klug geplant – schließlich hat er die alte neoliberale Führung zur Seite gedrängt. Es ist ihm gelungen, das Profil seine Partei grundsätzlich zu verändern. Er hat auch die anderen Mitte-Rechts-Parteien sehr effizient in seine „sozialkonservative“ Strategie eingebunden. Strategisch war er also extrem erfolgreich. Ob er deswegen ein guter Regierungschef wird, ist nicht so klar.

 

Wieso die Skepsis?

 

Es ist schon mehrmals vorgekommen, dass er konkrete Politikvorschläge gemacht und sie, wenn es Widerstand gab, einfach wieder zurückgezogen hat. Seine konkrete praktische Politik schien oft also etwas undurchdacht. Es ist somit unsicher, ob er genauso gut im Führen einer Regierung ist, wie er in der strategischen Positionierung als Oppositionsführer war.

 

Herr Palme, ist es nicht fast ironisch, dass ausgerechnet in einer Zeit, wo viele in Europa das „skandinavische Modell“ lobpreisen, die schwedische Sozialdemokratie abgewählt wird?

 

Palme: Ja, das ist ein Treppenwitz der Geschichte. Absolut.

 

Wäre das nicht geschehen, wenn die populäre Außenministerin Ann Lindh nicht ermordet worden wäre?

 

Palme: Viele sagen das. Aber das ist natürlich eine sehr hypothetische Frage. Klar ist: Wäre sie nicht ermordet worden, hätte Persson wohl schon vor zwei, drei Jahren das Amt des Ministerpräsidenten an sie übergeben. Dann wäre die Sozialdemokratie mit einem frischen Gesicht in die Wahlen gegangen. Ob das auch bedeutet hätte: mit neuem Schwung? Ich bin da nicht so sicher.

 

Zweimal wurde die Sozialdemokratie in Schweden in den vergangenen siebzig Jahren abgewählt – ihr Vater wurde in den späten siebziger Jahren für sechs Jahre auf die Oppositionsbank verbannt, in den frühen neunziger Jahren war die Partei auch drei Jahre in Opposition. Wird die konservative Regierung auch diesmal nur eine Episode bleiben?

 

Palme: In den siebziger Jahren und den neunziger Jahren kamen die Konservativen mitten in einer schweren Rezession an die Macht – das hat ihnen das Regieren nicht gerade erleichtert. Jetzt haben sie eine deutlich bessere Ausgangsposition.

 

Auch wenn man in unseren Breiten das Gefühl hat, die Schweden seien gewissermaßen genetisch sozialdemokratisch, kann es diesmal länger dauern?

 

Palme: Bisher war es gleichsam das Schicksal Schwedens, sozialdemokratisch zu sein. Aber die Zeiten ändern sich. Auch für die schwedische Sozialdemokratie gibt es keine Garantie dafür, dass sie sich schnell wieder fängt.

 

Interview: Robert Misik

 

Zur Person

 

JOAKIM PALME, 1958 als ältester Sohn des 1986 ermordeten schwedischen Premierministers Olaf Palme geboren, ist einer der führenden Sozialpolitik-Experten seines Landes. Er ist Direktor des Instituts für Zukunftsstudien und Professor an der Universität in Stockholm. Von 1999 bis 2001 war er Vorsitzender der Wohlfahrtskommission der schwedischen Regierung.

 

Kasten II

 

Schwedens Wende-Wahl

 

Erst zum dritten Mal nach 1932 wurde die schwedische Sozialdemokratie bei den Reichstagswahlen in die Opposition verbannt. Die Mitte-Rechts-Allianz des Herausforderers Fredrik Reinfeldt kam auf insgesamt 48,1 Prozent der Stimmen. Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei gemeinsam nur auf 46,2 Prozent. Wahlsieger Reinfeldt von den „Neuen Moderaten“ wird gemeinsam mit Zentrumspartei, Liberalen und Christdemokraten eine Regierung bilden. Göran Persson, Chef der Sozialdemokraten, reichte seinen Rücktritt ein.

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