„Zu wenige Kriege“

William Kristol, Kopf der „Neokonservativen“ und intellektueller Vordenker der US-Außenpolitik, über den Export der Demokratie mit Waffengewalt, die Lehren des Irakkrieges, die Irankrise und seine Treue zu George W. Bush.  profil, Mai 2006

 

profil: Wenn Sie ein „Neocon“ genannt werden – ist das für Sie eine Beleidigung oder eine Ehre?

 

Kristol: Oh, das ist ganz sicher ein Ehrentitel!

 

profil: In Europa kennt man die Neokonservativen besonders wegen ihrer Plädoyers für eine aktivistische Interventionspolitik. Man nennt sie die „Kriegspartei“.

 

Kristol: Man sollte uns die „Freiheitspartei“ nennen. Wir müssen immer die Freiheit verteidigen. Und manchmal ist es notwendig, Gewalt einzusetzen, um die Freiheit zu verteidigen – besonders, um unterdrückte Völker von Diktatoren zu befreien. Es ist eben leider nicht so, dass die gesamte Welt nach dem Vorbild der „Europäischen Union“ modelliert ist, wo die Demokratie blüht und die Freiheiten garantiert sind.

 

profil: Das ist ja ein Standardargument gegen die pazifistischen Europäer, die immer auf friedliche Lösungen setzen. Was ist denn so schlimm daran, wenn man auf friedliche Lösungen setzt, auf Diplomatie statt Intervention?

 

Kristol: Aber gar nichts! Auch die USA betreiben ganz viel Diplomatie. Wir sind doch nicht gegen Diplomatie. Aber schlagen Sie doch nur die heutigen Zeitungen auf: Die EU sendet Truppen in den Kongo. Ist die EU jetzt auf Neocon-Kurs eingeschwenkt?

 

profil: EU-Staaten waren sogar ganz führend an der Intervention im Kosovo involviert.

 

Kristol: Richtig. Und war die Kosovo-Intervention von den Vereinten Nationen abgesegnet?

 

profil: Sie hatte immerhin das Einverständnis des UN-Generalsekretärs.

 

Kristol: Es war eine Intervention ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates und nur darauf kommt es an. Weiteres Beispiel: Wir haben den ethnischen Säuberungen in Bosnien-Herzegowina zu lange zugesehen, bevor wir militärische Gewalt einsetzten, um es zu beenden. Wir haben in Ruanda den Genozid nicht verhindert. Wäre es in all diesen Fällen nicht besser gewesen, entschiedener das Blutbad zu stoppen? Das Problem der Welt besteht doch nicht darin, dass die USA und die Neocons andauernd einen Krieg anzetteln, um Despoten und Kriegverbrecher an ihrem Tun zu hindern. Das Problem ist doch, dass wir, wenn schon, eher zu wenige solche Kriege führen – dass wir viel zu selten in der Lage sind, Genozide und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern.

 

profil: Sie sind immer sehr schnell dabei, den Krieg der freien Welt gegen Hitler zu beschwören – und vor dem Geist von München zu warnen, dem Versuch, Despoten mit Diplomatie zu begegenen. Aber es ist doch nicht jeder unsympathische Typ mit Hitler gleichzusetzen.

 

Kristol: Geschenkt. Nur: Das Problem heute ist doch nicht, dass zuviele Leute zu oft nach Interventionen rufen. Das Problem ist doch, dass viel zu viele Leute immer wieder gute Ausreden finden, damit wir nicht intervenieren müssen. Und das ist der Geist von München.

 

profil: Trotzdem: Es gibt doch oft gute Gründe, ein zweites Mal nachzudenken, bevor man die Army losschickt.

 

Kristol: Klar, ich bin doch kein Idiot! Mehr noch: In 85 Prozent aller politischen Fragen stimme ich wahrscheinlich sogar mit fast jeder europäischen Regierung überein…

 

profil: …in 90 Prozent aller Fälle, in denen eine Militärintervention zur Debatte steht, stimmen Sie mit jemand wie dem grünen deutschen Ex-Außenminister Joscka Fischer überein…

 

Kristol: Der ist ohnehin ein Neocon, der will es nur nicht zugeben!

 

profil: Es herrscht die allgemeine Ansicht, dass der Einfluss der Neocons dafür verantwortlich ist, dass die USA in den Krieg gegen den Irak zogen. Sind also Sie der Typ, der uns die Malaise im Irak eingebrockt hat?

 

Kristol: Das ist total falsch. Wir hatten den Irakkrieg 1990, die Sanktionen gegen das Regime danach – alles mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates. Saddam Hussein hat sich darum nicht geschert. Auch Bill Clinton hat 1998 den Irak bombardiert. Es wäre für jede US-Regierung, auch unter anderen Bedingungen, auch ohne den 11. September, irgendwann notwendig geworden, auf das Scheitern von Diplomatie mit militärischen Mitteln zu reagieren. Der Status quo war nicht aufrecht zu erhalten. Da brauchte es nicht den Einfluss der Neocons. So mächtig sind die Neocons nicht. Ehrlich gesagt: Ich würde mir wünschen, wir wären mächtiger.

 

profil: Steht der Irak heute besser da als unter Saddam?

 

Kristol: Sicherlich. Klar, es gibt Probleme, es gibt diese religiöse Gewalt zwischen den verschiedenen Volksgruppen. Wir haben auch Fehler gemacht: Die US-Führung hat eine viel zu kleine Besatzungsarmee ins Land geschickt. Aber wir können das unter Kontrolle bringen.

 

profil: Sie haben erwartet, als Befreier empfangen zu werden – jetzt versinkt der Irak im Bürgerkrieg.

 

Kristol: Nein, es ist kein Bürgerkrieg. Es gibt Aufständische, und es ist sehr schwer, ihrer Herr zu werden. Aber ein Bürgerkrieg ist etwas anderes. Ich denke, die große Mehrheit der Sunniten hat mittlerweile verstanden, dass sie nur gewinnen können, wenn sie beim Aufbau des neuen Irak mitmachen.

 

profil: Wenn der Irak heute in einer besseren Lage ist als unter Saddam – ist die Welt durch den Sturz des Diktators sicherer geworden oder nicht vielmehr unsicherer?

 

Kristol: Das ist, ich gebe es zu, schon schwerer zu sagen. Wenn wir jetzt nervös werden und unsere Truppen abziehen, kann es sein, dass wir ein großes Sicherheitsproblem bekommen.

 

profil: Das haben wir doch schon: Der Irak ist das Trainingscamp der Dschihadisten geworden.

 

Kristol: Exportiert der Irak den Terror? Gibt es heute mehr islamistischen Terrorismus als vor der Irak-Invasion? Das würde ich sehr bestreiten.

 

profil: Der Irak exportiert den Dschihadismus nicht, weil er die Dschihadisten aus aller Welt anzieht.

 

Kristol: Vielleicht ist gerade das gut.

 

profil: Weil wir sie alle an einem Platz haben?

 

Kristol: Wenn wir sie an diesem Platz dann besiegen, ist das eher ein Vorteil als ein Nachteil. Aber ich gebe es zu: Es ist ein schwieriger Moment. Es ist nicht abschließend entschieden, ob der Sturz Saddams die Anhänger einer liberalen Demokratie im Nahen Osten gestärkt hat oder nicht.

 

profil: Ist der Iran der neue Irak?

 

Kristol: Keine Situation ist mit einer anderen vergleichbar. Wir haben eine Chance auf eine diplomatische Lösung. Aber die diplomatische Lösung kann es nur geben, wenn es eine glaubhafte Drohung mit militärischer Gewalt gibt. Im Augenblick macht die iranische Führung, was sie will und schert sich nicht um die gutgemeinten Vermittlungsinitativen der Europäer.

 

profil: Wenn die Diplomatie scheitert, sollen die USA dann den Iran bombardieren?

 

Kristol: Die Gefahr, die von einem Iran mit Nuklearwaffen ausgeht, ist sehr viel größer als die möglichen Gefahren, die ein militärisches Vorgehen in sich birgt – wobei ich diese Gefahren gar nicht bestreiten will.

 

profil: Die Zustimmungsraten von George W. Bush sind auf 29 Prozent gesunken. Gehören Sie zu der kleinen Minderheit, die den US-Präsidenten immer noch gut findet?

 

Kristol: Ja. Er hat Fehler gemacht. Aber er hat in vielen Dingen die richtige Politik betrieben. Die Wirtschaft ist stark. Wir sind ein weltoffenes Land. Er steht grundsätzlich für eine gute Außenpolitik. Sind die USA heute in einem schlechteren Zustand als vor sechs Jahren? Wenn er so ein miserabler Präsident wäre, wie alle sagen, müsste das doch sichtbare Auswirkungen haben.

 

Interview: Robert Misik

 

 

Zur Person:

 

 

William Kristol, 53

 

Ist der intellektuelle Kopf der amerikanischen Neokonservativen. Kristol, Sohn des legendären amerikanischen Rechtsintellektuellen Irving Kristol, arbeitete unter der Reagan-Regierung als Stabschef des damaligen Bildungsministers und später unter der Regierung von George Bush als Stabschef von Vizepräsident Dan Quayle. Er ist Gründer und Chefredakteur der neokonservativen Magazins „The Weekly Standard“. Vergangenes Wochenende nahm Kristol auf Einladung des Wiener „Instituts für die Wissenschaften vom Menschen“ (IWM) an einer Konferenz über die Reform des Wohlfahrtsstaates teil.

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