Der dritte Mann

Frankreich. Aus dem Duell ist ein Dreikampf geworden. Der liberale Francois Bayrou bringt Segolene Royal und Nicolas Sarkozy in Bedrängnis. profil, 19. März 2007

 

Eigentlich haben Politiker, die alle Energie darauf verwenden, sich in der Mitte des Spektrums breit zu machen, nicht den besten Ruf. Schnell gelten sie als fade Mittelwegsgefährten, die Meinungen, welche vom Mainstream abweichen, opportunistisch vermeiden – ihrer Wahlchancen wegen. Sie gelten, auch wenn sie erfolgreich sind, als charakterlose Nullgruppler.

 

Doch bei Francois Bayrou ist das alles anders. Er ist, schrieb die Tageszeitung Liberation unlängst über ihn, ein Mann der Mitte, aber einer mit Charakter.

 

Der Chef der kleinen liberalen „Union pour la démocratie francaise“ (UDF) ist der Überraschungsaufsteiger im französischen Wahlkampf. Seine Minipartei stellt gerade 30 von mehr als 500 Abgeordneten der Nationalversammlung, Bayrou selbst kam bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen nicht einmal auf sieben Prozent der Stimmen – ein Quorum, das in etwa das Wählerpotential in der liberalen Nische zwischen den großen Blöcken beschreibt. Doch in den vergangenen Wochen kletterte Bayrou in den Umfragen immer weiter noch oben – zuletzt hatte ihn das Institut Ifop schon bei 23 Prozent. Damit liegt er gleichauf mit der sozialistischen Kandidatin Segolene Royal, den konservativen Favoriten Nicolas Sarkozy, dem 28 Prozent prognostiziert werden, hat er in Sichtweite. Mehr noch: Käme Bayrou in die Stichwahl, würde er, so die Demoskopen, sowohl Royal wie Sarkozy besiegen.

 

Erstmals seit der Präsidentschaft von Valery Giscard d’Estaing ist somit denkbar, dass ein Liberaler in Frankreich Staatspräsident wird. Das Paradoxe: Weil die Franzosen ihre Etablierten-Politik satt haben, hatten sich auch in den großen politischen Lagern Kandidaten durchgesetzt, die sich als Antipoden zum Pariser Klüngelwesen inszenierten: Royal punktete mit ihrer Weiblichkeit gegen die männliche SP-Riege, Sarkozy gab den hemdsärmligen, raubeinigen Aufsteiger. Aber der 56jährige Bauer, Pferdezüchter und Lehrer Bayrou ist der große Könner in diesem Metier. Er gibt den Politiker, der „anders“ ist, die ehrliche Haut unter all den Blendern und Gauklern, den, der für vernünftige Lösungen plädiert, während es den anderen nur um den Vorteil für ihre Partei zu tun ist. Sein Lieblingswort ist „authentisch“. Dabei ist er selbst schon lange dabei. Erst war er Verwaltungsbeamter im Landwirtschaftsministerium, in den achtziger Jahren Ministersekretär, dann Abgeordneter des Pyrenäen-Departements, in zwei Regierungen diente er als Minister. Aber in der Rolle des „Außenseiters von Innen“ ist der fast schüchterne Bayrou einfach glaubwürdiger als die beiden Favoriten.

 

Ein wenig ist Bayrous Galopp nach oben gewiss auch ein Medienphänomen. Die Storys über das Duell der Favoriten wurden nach ein paar Monaten etwas langweilig, so wurde „der Dritte Mann“, kaum, dass sich seine Werte etwas nach oben bewegten, zur großen Geschichte. Bayrou wird auch ein bisschen hoch geschrieben.

 

Doch das heißt noch lange nicht, dass sein Aufstieg nur eine virtuelle Medienente ist. Was Bayrou in seiner bescheidenen Art vorträgt, fällt auf fruchtbaren Boden: dass er kein großes Programm verspricht, scheint nicht als Visionslosigkeit, sondern als Ausweis seiner „Solidität“, dass er sich eine Regierung der „besten Köpfe von links und rechts“ wünscht, trifft sich mit den Aspirationen der Franzosen, die das Wechselspiel der großen Blöcke längst nicht mehr als ideologisches Ringen, sondern nur mehr als Hin und Her der Egoismen sehen. Bayrou ist, wenn man so will, auf eine stille Weise populistisch, ein Populist, dem man den Populismus nicht anmerkt.

 

Gut könne er sich eine „Große Koalition“ unter dem moderaten Sozialdemokraten Dominique Strauss-Kahn vorstellen, sagte er. Strategisch hat Bayrou die Konkurrenz schon gehörig aus dem Konzept gebracht. Weil Bayrou in der Mitte, bei aufgeklärten Bürgerlichen, moderaten Linken und hedonistischen Bobos wildert, sendet auch die Sozialistin Royal Werbesignale an diese Gruppe – was ihr Glaubwürdigkeit bei den Traditionslinken kostet. Nicolas Sarkozy wiederum flirtet heftig mit den Wählern am rechten Rand, weil die Mitte so sehr umkämpft ist. Nervös warnen sie vor einer Wahl Bayrous – ein Präsident, der nur eine Mini-Partei hinter sich habe, könne nie und nimmer eine stabile Regierung bilden.

 

Doch wenn es Bayrou gelänge, im ersten Wahlgang am 22. April an Royal oder Sarkozy vorbeizuziehen, wäre der Außenseiter mit einem Mal Favorit. Denn dann hätte er nicht nur die Stimmen der Mitte-Wähler, sondern mit einem Mal auch die Anhänger des ausgeschiedenen Kandidaten auf seiner Seite. Vor allem Sarkozy, der als Scharfmacher auf der Linken kaum Freunde hat, würde Bayrou in einer Stichwahl wohl spielend abhängen. Zumal selbst der hemdsärmlige Sarkozy es in Sachen Volkstümlichkeit mit Bayrou nicht aufnehmen kann. „Ich bin der einzige unter den aussichtsreichen Kandidaten, der eine Kuh melken und einen Traktor fahren kann“, sagt Bayrou, der immerhin ein Diplom in klassischer Literatur in der Tasche hat.

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