Der gefährlichste Platz der Welt

In der Geschichte hat sich schon oft erwiesen: Es ist leicht, Afghanistan zu erobern, aber schwer, wieder lebend heraus zu kommen. profil, 7. April 07

 

 

In Afghanistan haben sich schon viele Eroberer die Zähne ausgebissen. In Lexikas firmiert das Land als „der gefährlichste Platz der Welt“, und oft ist zu lesen, es sei „leicht zu erobern, aber unmöglich zu kontrollieren“. Die unzähligen Feldzüge fernerer und näherer Imperien, die in Afghanistan einmarschierten, findet man in militärhistorischen Abhandlungen, die üblicherweise Titel tragen wie den folgenden: „Die größten Fehlschläge der Militärgeschichte.“

 

Der letzte Eroberer, der den Einmarsch am Hindukusch noch einigermaßen unbeschadet überstand, war Alexander der Große 329 vor Christus. Im 19. Jahrhundert schließlich wurde Afghanistan geradezu zu einem Synonym für einen Landstrich, der imperiale Ambitionen mit Demütigungen quittiert. Dass es leicht ist, nach Afghanistan hinein, aber beinahe unmöglich, wieder heraus zu kommen, musste die britische Imperialarmee erstmals im Jahr 1838 erfahren. Damals tobte das erste „Great Game“, der Kampf der Imperien um Einflusszonen. Das persische Reich war noch intakt, das britische Weltreich strebte seinen Zenit zu, und Russland rivalisierte mit den Briten. Afghanistan lag zwischen dem östlichen Vorposten des britischen Reiches und den südlichen Ausläufern des russischen. Das Land lag, wie das ein weiser Afghane einmal ausdrückte, „wie ein Ziegenbock zwischen zwei Löwen oder wie ein Weizenkorn zwischen zwei Mühlsteinen“.

 

So marschierte eine britisch-indische Interventionsarmee in Afghanistan ein – begleitet von 38.000 Köchen, Friseuren, Wasserträgern, Teekochern, Pillendrehern, nicht zu vergessen die Offiziersgattinnen. Erst wurde Kandahar genommen, dann Kabul. Doch was gut begann, endete als „unglücklichster aller britischen Feldzüge“, wie ihn der Autor Claus Christian Malzahn in seinem Buch „Die Signatur des Krieges“ nannte. Angeführt wurde die Armee von General Mountstuart Elphinstone, den ein Kollege später als „inkompetentesten Soldaten, der in diesen Rang überhaupt zu finden war“ bezeichnen sollte. Elphinstone, den Friedrich Engels als „völlig hilflosen alten Manne“ charakterisierte, machte alles falsch. Er behielt viel zu wenige Soldaten in Kabul, und als die afghanischen Klans gegen sein Heer rüsteten, bemerkte er es nicht einmal. Als ihn die Stammesheere in die Zange nahmen, blieb ihm nichts als die Kapitulation. Er sagte zu, sofort abzuziehen – mitten im Winter. Sein Heer stampfte mitsamt Trägern und Offiziersgattinnen über schneebedeckte Pässe, geriet immer wieder in Hinterhalte. Von der stolzen Interventionsarmee des mächtigsten Imperiums seiner Zeit überlebte nur ein einziger (!) Mann – ein Militärarzt, der sich in einer Hütte versteckt hielt. Theodor Fontane inspirierte das Fiasko zu einem Gedicht, dessen Schlussverse so lauten:

 

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,

Vernichtet ist das ganze Heer,

Mit dreizehntausend der Zug begann,

Einer kam heim aus Afghanistan.

 

Zwei Jahre später verwandelte ein Rachefeldzug der Briten Kabul in eine Trümmerwüste, aber in ein längerfristiges militärisches Abenteuer stürzte sich das Imperium erst wieder vierzig Jahre später – im „zweiten britisch-afghanischen Krieg“ 1878 bis 1880. London setzte einen Marionettenkönig ein und versuchte die Bündnispolitik des Landes zu kontrollieren, ohne die Last einer regelrechten Besatzung tragen zu müssen. Eine lange Abfolge von Aufständen war das Resultat, die 1919 im „dritten anglo-afghanischen Krieg“ kulminierten – einem Befreiungskrieg der Afghanen, an dessen Ende die Briten Afghanistan als souveränen Staat akzeptieren mussten.

 

Nach der langen Herrschaft des Königs Zahir Shah wandte sich Afghanistan in den siebziger Jahren der Sowjetunion zu. 1979 lud der neue starke Mann, Präsident Babrak Karmal, die Sowjetunion zur Intervention ein. Die Rote Armee sollte den Einmarsch nicht überleben. 15.000 sowjetische Soldaten starben in den folgenden 11 Jahren, 50.000 wurden verwundet – auf der Gegenseite gab es schätzungsweise eine Million tote Afghanen. Die Verluste kosteten der Sowjetunion die letzte Legitimität, der Untergang des roten Imperiums ist auch Folge der afghanischen Katastrophe gewesen.

 

Die Widerständigkeit gegen ausländische Besatzer hat sich tief in die afghanische Mythologie eingeschrieben. Die Afghanen nützen sie zur nationalen Erbauung. Dabei ist freilich die stete Abfolge von Eroberungen und Abwehrkämpfen einer der Gründe dafür, warum das ethnisch zerklüftete Land am Hindukusch mit dreißig Völkern und ebenso vielen Sprachen nie zu einer Nation mit stabilen Institutionen zusammenwachsen konnte. Dafür, dass es sich nie erobern ließ, hat Afghanistan einen hohen Preis gezahlt.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.