Wer wird König?

Frankreich. Kommenden Sonntag geht die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen über die Bühne. Hier ist zugefasst, was sie über diesen entscheidenden Urnengang wissen müssen. profil, 16. April 2007

 

 Einzigartige Machtfülle

 

Seit Monaten schon wird in der Regierung nicht mehr richtig regiert, weil der Premierminister Dominique de Villepin und Innenminister Nicolas Sarkozy lange um die Präsidentschaftskandidatur rivalisierten, und auch die Opposition ist seit mehr als einem Jahr mit sich beschäftigt – schließlich setzte sich Segolene Royal erst in einem Hauen und Stechen in der Sozialistischen Partei als Kandidatin durch.

Doch die politische Hängepartie ist bald zu Ende. Kommenden Sonntag geht die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen über die Bühne, am 6. Mai wird dann die Stichwahl zwischen den beiden Erstplazierten die End-Entscheidung bringen.

Dass sich das politische Leben Frankreichs derart auf die Wahl des Staatsoberhauptes konzentriert, hängt nicht zuletzt mit der beispiellosen Machtfülle zusammen, über die der Pariser Staatspräsident verfügt. Der Präsident ist eine Art Monarch auf Zeit.

Er ernennt den Premier und die Minister und kann sie auch wieder entlassen, er kann sogar ganz problemlos die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ansetzen. Er ist Oberbefehlshaber der Armee, bestimmt die Außenpolitik, setzt die Präfekten ein, die die Departements regieren.

Das einzige, worauf er achten muss, sind die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung – denn die kann eine Regierung durch ein Misstrauensvotum stürzten.

Die Verfassung der V. Republik wurde auf Betreiben von Ex-Präsident Charles de Gaulle derart auf den starken Mann im Staat zugeschnitten. Doch mittlerweile ist auch in Frankreich Common Sense, dass es für das politische Leben nicht gut ist, wenn die gesamte politische Klasse zu einem Mächtigen hochschielt, wenn ihm die Ministerrunde sklavisch ausgeliefert ist und von ihm abhängige Emissäre bis in die hinterste Provinz durchregieren. Linkskandidatin Royal hat deshalb eine „Dezentralisierung“ versprochen, Zentrumskandidat Bayrou will das Parlament stärken. Die Amtszeit des Präsidenten wurde bereits von sieben auf fünf Jahre reduziert.

 

 

Die Favoriten

 

Nicolas Sarkozy, 52

Der Chef der gaullistischen „Union pour un mouvement populaire“ (UMP) ist der Kandidat der Konservativen. Zuletzt amtierte der Sohn ungarischer Einwanderer als Innenminister.

 

Segolene Royal, 53

Die SP-Kandidatin wurde in einer Urabstimmung unter den Parteimitgliedern gekürt. Pikant: Sie ist die Lebensgefährtin von SP-Chef Francois Hollande.

 

 

Francois Bayrou, 55

Der Chef der kleinen liberalen UDF-Partei ist der Shooting-Star des Wahlkampfes. Bei den letzten Wahlen holte er nur 6,8 Prozent, jetzt liegt er in Umfragen bei 19 Prozent.

 

 

Ein seltsamer Wahlkampf

 

Dieser Wahlkampf war ein Symptom dafür, wie sehr die Franzosen die Pariser Eliten-Politik satt haben. Denn alle Kandidaten präsentierten sich als „Anders“ – als Antipoden zum abgehobenen Klüngelwesen und Patronagesystem. Nicolas Sarkozy gab sich als volkstümlich-zupackender Kraftmensch mit einem Schuss Populismus – ganz anders als man das vom aristokratischen Habitus der konservativen Eliten bisher gewohnt war. Seine Rivalin Segolene Royal inszenierte sich als Outcast in der Sozialistischen Partei, setzte auf weibliche Attribute, um sich von den männlichen Parteigranden abzusetzen. Dass die Kandidaten der Etablierten versprachen, es müsse alles anders werden, begünstigte auch den Aufstieg des Landwirts und Liberalen-Chefs Francois Bayrou. Der Mann der Mitte verkörpert das „Anders-Sein“ einfach noch einen Schuss besser. Am Ende gab es einen regelrechten Wettlauf, wer am glaubwürdigsten „Anders“ ist. „La rupture, c’est moi“ – „der Bruch mit dem Bestehenden, das bin ich“ – insistierte Bayrou in einem Interview.

 

 

Schreckgespenst Le Pen

 

Wieder einmal könnte Jean-Marie Le Pen, der Führer des rechtsradikalen Front National, für eine Überraschung sorgen. In Umfragen liegt Le Pen mittlerweile bei 14 Prozent – und damit schon besser, als in den letzten Umfragen vor den Wahlen 2002. Damals holte Le Pen im Endeffekt sogar knapp 17 Prozent, hängte SP-Kandidat Lionel Jospin ab und zog als Zweiter in die Stichwahl gegen Jacques Chirac ein. Völlig ausgeschlossen ist nicht, dass ihm das auch diesmal gelingt. Für Linke und Liberale ist das das Schreckensszenario: Dass sie in der Stichwahl zwischen dem populistischen Konservativen Sarkozy und dem Rechtsradikalen Le Pen auswählen müssen.

 

 

„Sexismus“

 

Jeder Präsidentschaftskandidat wird auf Herz und Nieren getestet, ob er in entscheidenden Fragen auch sattelfest ist. Aber Segolene Royal, die erste Frau mit realistischer Aussicht auf das Pariser Präsidentenamt, wurde besonders oft als inkompetent vorzuführen versucht. Interviews mit ihr gerieten zu regelrechten Tests, und angesehene Kultursoziologen befassten sich eingehend mit ihren Röcken und Kostümen, fragten, ob sie jetzt auf mütterlich mache. „Als Frau hat man es doppelt schwer“, sagte sie zuletzt. Schließlich würde niemand Überlegungen zum grauen Dreiteiler eines männlichen Machtmenschen anstellen. Zuletzt protestierte eine Initiative mit dem Namen „Eine-Million-Frauen-sind-genervt“ gegen das, was sie als „Sexismus“ und „Demütigung“ der Kandidatin empfanden. Unter den prominenten Unterstützern ist etwa Schauspielerin Catherine Deneuve.

 

 

Angstthema „nationale Identität“

 

Lange hatte der Wahlkampf keine zentralen Themen. So wurden der SP-Kandidatin Segolene Royal ein paar Schnitzer vorgehalten oder Enthüllungen über ihre Vermögensverhältnisse an die Presse gespielt. Nicolas Sarkozy wiederum sorgte zuletzt für Aufregung, als er erklärte, „Pädophilie“ sei „angeboren“. Vergangene Woche ließ ein Wochenblatt mit der Enthüllung aufhorchen, Sarkozy habe Noch-Präsident Jacques Chirac, dem Korruptionsverfahren drohen, Straffreiheit angeboten – im Austausch für einen Wahlaufruf. Inhaltlich, so das Urteil von Experten, sei die Linke aber in den letzten Wahlkampfwochen in der Themensetzung ins Hintertreffen geraten. Innere Sicherheit, Migration, „nationale Identität“ seien zu den Hauptthemen geworden, und das nütze den Rechten. Die Favoriten haben jedenfalls beim Kampf um jede Wählerstimme einen abenteuerlichen Zick-Zack-Kurs gefahren. Um Arbeiterstimmen zu ergattern, gab Sarkozy Bekenntnisse zum Sozialstaat ab, während Royal die Patriotin markierte: Jeder Franzose solle die Trikolore daheim haben und Frankreichs Sportler sollen gefälligst innbrünstig die Nationalhymne – die Marsaillaise –  singen, forderte sie.

 

 

Linke Splitterbomben

 

Traditionell treten unorthodoxe Linke, Linksradikale und Grüne in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen mit eigenen Kandidaten an. So auch diesmal, obwohl vor fünf Jahren die linken Splitterpolitiker dem SP-Kandidaten Lionel Jospin derart viele Stimmen kosteten, dass als Resultat der Rechtsradikale Le Pen in die Stichwahl einzog. Auch diesmal nehmen die Linken dieses Risiko in Kauf. Olivier Besancenot, dem jungen Kandidaten der trotzkistischen „Ligue Communiste Revolutionaire“ werden bis zu fünf Prozent prognostiziert, KP-Kandidatin Marie-George Buffet drei. Neben zwei weiteren Trotzkisten treten auch die Grüne Ex-Ministerin Dominique Voynet und der Bauer José Bové an, einer der Stars der Globalisierungskritiker. Beide dürften rund ein bis zwei Prozent der Stimmen ergattern.

 

 

„Mein Einzug in den zweiten Wahlgang wäre ein Elektroschock, ein stiller Elektroschock, aber ein entscheidender Elektroschock“

Francois Bayrou

 

„Ich habe die UMP vor fünf Jahren ins Leben gerufen. Die UMP hat Nicolas Sarkozy als Chef gewählt. Also unterstütze ich Nicolas Sarkozy“

Noch-Präsident Jacques Chirac formuliert seinen Wahlaufruf ostentativ distanziert

 

„Die Kandidaten sind wie Flipperkugeln, die scheinbar willkürlich umherschießen“

Aus einem Leserbrief des konservativen „Le Figaro“

 

„Ich wähle Royal, damit die Rechten verlieren“

Etienne Balibar, linksradikaler Star-Philosoph

 

„Er ist feinfühliger als die Mehrheit der Politiker … Er zankt sich für seine Ideen."

André Glucksmann, neokonservativer Star-Philosoph, erklärt, warum er Nicolas Sarkozy wählt

 

www.sexycentriste.com

Jugendliche Unterstützer begründen schon im Namen ihrer Homepage, warum sie Mitte-Kandidat Bayrou toll finden.

 

„Was muss ihrer Meinung nach getan werden?“ – „Wir müssen die Revolution machen“

Aus einer Debatte zwischen Mitte-Kandidat Bayrou und Trotzkistenführer Besancenot

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