Bei den alten Buben

Reportage. Diese Woche traf sich zwei Dutzend ehemalige Staatspräsidenten und Premierminister in Wien, um die Probleme der Welt zu diskutieren. Dabei wirkten sie ziemlich modern. Falter, 23. Mai 07

 

 

Es gibt Klubs, da kommt man nur rein, wenn man etwas ist. Steht man an der Spitze eines Unternehmens, oder einer Regierung, zumindest eines Ministeriums, dann findet man schnell Aufnahme in erlesenen Gesellschaften: Bei den Bilderbergern, beim World Economic Forum. Je höher das Amt, das einer hat, desto begeisterter wird er empfangen.

 

Und dann gibt’s die Klubs, in die kommt man nur, wenn man nichts mehr ist. Die sind für die O.B.s rerseriviert (spell: „Obis“), wie sie der frühere japanische Premierminister Takeo Fukuda einmal nannte – für die „Old Boys“. Ein dieses „Old-Boys“-Netzwerke hat sich vergangene Woche in Wien getroffen, der „Inter Action Council“, ein Zusammenschluss ehemaliger Premierminister und Präsidenten. Die Namen der Teilnehmer lesen sich wie ein Who is Who der Weltpolitik – bei dem einen oder anderen könnte man auch sagen: der Weltgeschichte: Helmut Schmidt aus Deutschland, der Russe Yewgeni Primakow, Andrés Pastrana aus Kolumbien, Richard von Weizsäcker, der frühere deutsche Präsident, Walter Mondale, unter Jimmy Carter Vizepräsident der USA.

 

Übrigens gibt es bei diesen Klubs quasi inverse Exklusivitätsregeln. Wirst Du wieder was, musst Du wieder raus. Man geht dann während der Regierungszeit auf Karenz. Oskar Arias Sanchez, einstiger – aber seit zwei Jahren wieder amtierender – Präsident von Costa Rica, ist so ein Fall, und Israels Mehrmals-Premier Shimon Peres (gegenwärtig stellvertretender Ministerpräsident). Die dürfen erst wieder teilnehmen, wenn sie das Amt daheim los sind.

 

So begrüßten die gesammelten Eminenzen bei ihrem Wiener Treffen auch einen alten Weggefährten: Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo, Staatschef von 1976-1979, dann Mitbegründer des Interaktionsrats, jetzt wieder Präsident – aber nur mehr für kurze Zeit. Weil er bald wieder dazugehört zum Kreis der Ehemaligen, war er diesmal schon wieder mit dabei. Er kam im bunten, wallenden Traditionsgewand der Nigerianer, an der Spitze einer imposanten Delegation. Die einen in beeindruckendem grün-schwarzen Karo, andere in einem blitzenden Hellblau.

 

Im Grunde ist der Zweck solcher Organisationen leicht erklärt: Staatenlenker, die abgetreten, aber noch immer einflussreich sind, sollen sich, der Zwänge des Alltagsgeschäfts, aber auch der nationalen Interessenspolitik ledig, zum offenen, informellen Dialog treffen. Man kann, im besten Fall, Pfade freischlagen zur Lösung von Problemen, die dann die aktuellen Staatenlenker zu begehbaren Wegen machen können. Oder man kann im Dialog bleiben, wenn eine Ebene darüber schon Gesprächsverweigerung herrscht. Oder man kann sich verabreden, konzertiert ein, zwei wichtige Ideen zu lancieren: ein bisschen  Gesprächsforum, ein bisschen Think-Tank, ein bisschen Pressuregroup. Und ein bisschen natürlich auch Reisebüro, damit man im Kontakt bleibt.

 

Und rüstig. Den Auftakt – und auch gleich den Höhepunkt – machte Helmut Schmidt, Deutschlands Altkanzler, ebenso legendärer wie unterkühlter Weltanalytiker. „Zur Lage der Welt“, war der Titel seines Vortrags und das war eher noch Understatement. Da ging es in einem rasanten Tour d’ Horizont von den G-8 bis zu den Hedgefonds, vom Unilateralismus zu der Atomwaffengefahr. Schmidt, der alte „Staatsmann“ in einem emphatischen Sinn, ist der Meinung, nur Staaten können für Ordnung im Weltchaos sorgen. Da der Kreis der G-8-Staaten aber viel zu eng gezogen ist, braucht es neue Mitglieder – „es ist unmöglich, die Weltwirtschaft zu managen ohne China, ohne Indien, ohne Brasilien.“ Eine Führungscrew, ein „G-15“ schwebt ihm vor, „vielleicht noch plus Saudi Arabien, plus Nigeria, plus Südafrika“.

 

89 Jahre ist Schmidt mittlerweile und seine geistige Präsenz steht in scharfem Kontrast zu seiner zunehmenden körperlichen Gebrechlichkeit – aber gerade dieser Kontrast gibt seinen Einlassungen zusätzliche Wucht. Schließlich müht sich da einer seine Appelle, seine Forderungen buchstäblich ab von einem Körper, der seine Dienste versagt. Schmidt, der nicht nur ein scharfer Denker, sondern auch ein begnadeter Spötter ist, teilt gerne in alle Richtungen aus. Die Unordnung der Welt, so seine Überzeugung, könne nur bekämpft werden, wenn man das alte Völkerrecht wieder zur Geltung bringt. Menschenrechtsbellizismus, humanitäre Interventionen, Einmischung in innere Angelegenheiten zweifelhafter Regimes – das sind für Schmidt alles Übel, die umso schwerer wiegen, als sie mit dieser seltsam auftrumpfenden Selbstgewissheit daherkommen, die sich mal eher gutmenschlich, mal eher militant liberal gibt. „Das Prinzip der Nichteinmischung ist beinahe vollkommen vergessen – und das im Namen der Humanität“, sagt er – man spürt, dabei schüttelt es ihn nahezu. „Der Idealismus nimmt proportional zur Distanz von Problemen zu“, formuliert Schmidt spitz. Das alte Credo aller Realpolitiker: Idealismus ist schädlich. Ganz falsch ist das ja nicht.

 

Das ist natürlich Schmidt, und nicht jeder der Emeriti würde das so formulieren. Ein wenig klingt das auch wie ein Plädoyer für ein Primat der Ordnung, wie man es heute kaum mehr hört und das deshalb auch ein wenig altmodisch wirkt, nach: ‚Staaten haben Interessen und über Interessen kann man verhandeln’. Aber dass man das sofort als altmodisch qualifiziert, zeigt auch, wie sehr die Diplomatie in Verruf geraten ist. Was wirft man der Diplomatie denn heute nicht alles vor? Dass sie endlos Detailprobleme wälzt, ohne die grundlegenden Ursachen der Probleme aus der Welt zu schaffen. Letztendlich konnte sich auch die Haudrauf-Rhetorik des „Krieges gegen den Terror“ nur durchsetzen, weil das Diplomatische, das Reden, der Dialog zwischen Konfliktparteien systematisch delegitimiert worden ist, im Extremfall in den Verruf des blauäugigen Kapitulantentums vor den „Feinden der Freiheit“ kam. Es hat sich schließlich ja ein Denken durchgesetzt: Wenn es in einem Land oder einer Region ein Problem gibt, dann muss man dort einmarschieren, die Bösen wegräumen, und schon wird alles gut. Manchmal geht das ja gut aus. Aber sehr oft geht das schlecht aus. Dann sind die Bösen weg, aber die Katastrophe ist da.

 

Vielleicht sollte man dem Dialogisieren also eine Lanze brechen. Vielleicht sind die Big Old Men, die die Gesprächsfäden nicht abreißen lassen, sondern neue knüpfen wollen, gar nicht altmodisch, sondern ganz modern. Womöglich kommt das ja wieder: Dass man Probleme jahrelang hin- und herwälzt, bis sie kleiner und kleiner werden, wie Sandstein, wenn man ihn nur lange genug dreht und wendet.

 

Dialog war denn das große Wort: Dialog der Kulturen, Dialog der Religionen. Dazu hatten sich die ehemaligen Staats- und Regierungschefs unter Vorsitz von Österreichs Ex-Kanzler Franz Vranitzky Repräsentanten der Weltreligionen geladen: Den schiitischen Philosophen Abdolkarim Soroush aus Teheran beispielsweise, oder Hans Küng, den berühmten Tübinger Theologen, dem Papst Johannes Pauls II. die Lehrbefugnis entzogen hat. „Weltethos“ ist Küngs Lebensprojekt: dass die großen Religionen nicht gegeneinander stehen müssen, sondern sich auf ein paar ethische Grundprinzipien einigen können – „Du sollst nicht töten“, beispielsweise. Oder „Barmherzigkeit“. Nichts lehnt Küng so leidenschaftlich ab wie die These, dass die großen monotheistischen Religionen ein inhärentes Aggressionspotential haben, ihres Ausschließlichkeitsanspruches wegen.

 

Gewiss, zu solchen Tagungen kommen nur Menschen, die sich im wesentlichen einig sind. Am Dialog nimmt nur teil, wer zum Dialog bereit ist. Die Selbstmordattentäter wird der Dialog einstiger Staatsführer nicht sonderlich beeindrucken. Aber schon in solchen prinzipiell wohlgesinnten Kreisen gibt es eine Kluft der Kulturen. Wenn vom Nahost-Konflikt die Rede ist, erzählt sich jede Seite ihre eigene Geschichte. Da hat der Westen sein Narrativ. Und die muslimische Welt hat ihr Narrativ. Bei der ersten Geschichte ist viel vom Terror die Rede. Bei der zweiten viel von der stetigen Demütigung, die die arabische Welt erfährt.

 

Ohnehin ist es gelegentlich auch amüsant zu beobachten, wie „Kulturen“ auch den Politkerhabitus prägen. Ingvar Carlson, einstiger schwedischer Premier, der aus einer der egalitärsten Kulturen der Welt stammt, behandelt Chauffeure nicht anders als Präsidenten.  Nigerias Obasanjo kommt dagegen mit einer Delegation in Brigadestärke, mit der man zur Not auch den nächsten Bürgerkrieg gewinnen könnte. Und wer aus einer Commonwealth-Nation stammt, den sieht man die Britishness von weitem an.

 

Neben all dem sind solche Konferenzen natürlich genau so, wie man sich das vorstellt – eingezwängt zwischen feierlichen Zeremonien der Nahrungsaufnahme. Zum Mittagessen lädt der Kanzler, wobei die Rede Alfred Gusenbauers kurz aus fällt: „Ich habe ein ethisches Prinzip: Man soll Essen ausgeben, wenn es versprochen ist.“

 

Abends geht es dann zum Festdinner im Kreisky-Forum. Der Zufall will es, dass der australische Ex-Premier Malcolm Fraser und die hiesige Organisationsmeisterin des Interaktionsrates, Marica Buranich, Geburtstag haben. Soviele Ex-Staats- und Regierungschefs haben wohl selten noch „Happy-Birthday“ gesungen. Die Stimmung ist gut, man hat noch viel vor. Kanadas Ex-Premier Jean Chrétien erinnert in seinem Geburtstagstoast an einen legendären britischen Premierminister: „Erinnere Dich, Gladstone feierte mit 82 ein Comeback.“

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