Die bösen Guten

Bernard Kouchner, einst Gründer der „Ärzte ohne Grenzen“, jetzt Außenminister in Paris, gibt den Scharfmacher gegenüber dem Iran. Was sind die Mechanismen, die Gutmenschen zu Bösmenschen machen? Falter, 31. Oktober 2007

 

 

Unlängst sorgte der französische Außenminister Bernard Kouchner für einige Aufregung, weil er in alle Welt hinaus posaunte, man müsse sich in Sachen Iran „auf das Schlimmste vorbereiten“, nämlich auf „den Krieg“. Und das war ja nicht als Warnung gedacht, um die Menschen aufzurütteln – nein, man kann ziemlich sicher annehmen, dass Kouchner auch diesen Krieg eloquent rechtfertigen würde, wenn es denn zu ihm käme. Wie schon beim Irakkrieg. Deshalb muss sich Kouchner seit seinen etwas unbedachten Äußerungen in Sachen Iran einiges anhören. Dass er sein Ministerium „wie eine NGO“ führe, ist noch der freundlichste Vorwurf. Händeringend erklärt Kouchner fast schon Tag für Tag: „Ich bin kein Kriegshetzer, ich bin ein Friedenshetzer.“

 

Das Interessante daran ist natürlich nicht einfach die Tatsache, dass Paris seit dem Einzug Nicolas Sarkozys ins Präsidentenamt drauf und dran ist in einer scharfen politischen Kehre zum neuen engsten Verbündeten der Bush-Regierung in Europa zu werden („Pudel“ Blair ist ja in Rente), sondern dass das einer wie Kouchner dirigiert. Seine Doktorarbeit hat er seinem Medizinerkollegen Che Guevara gewidmet, der Einsatz als Arzt in Biafra war sein Schlüsselerlebnis. 1971 gründete er die „Ärzte ohne Grenzen“, später beriet er Francois Mitterrand, reiste mit ihm in einer spektakulären Aktion nach Sarajewo. Kouchner ist gewissermaßen der „Erfinder“ des Konzepts der „humanitären Intervention“ oder des „Menschenrechtsbellizismus“: Wo Menschenrechte grob verletzt werden, gar Genozide drohen, dann muss man dort einmarschieren, das Gemetzel stoppen und, wenn möglich, die Mörder fangen, Diktatoren stürzen. Kouchner war seit je einer der Wortführer jener linken und exlinken Denker, die den zivilisatorischen Fortschritt wenn nötig auch von der US-Army verbreiten lassen wollten.

 

Ein solches Konzept hat ja etwas für sich. Es gibt Werte, die man nicht aufgeben darf, nur um den falschen „Frieden“ zu wahren. Und es gab auch ein paar Interventionen dieser Art in den vergangenen zwanzig Jahren, die sich bei allem Für und Wider positiv bilanzieren lassen: der Golfkrieg, mit dem Saddam Husseins Armee aus Kuweit rausgeworfen wurde, die Intervention in Bosnien-Herzegowina, der Einmarsch im Kosovo und der Sturz der Taliban in Afghanistan.

 

Aber die Gefahr des humanitären Interventionismus ist ein moralischer Rigorismus und eine Art von Machbarkeitswahn von der Art: wenn wo Unrecht herrscht, dann müssen westliche Soldaten dort nur einmarschieren, die Bösen wegräumen, die Opfer befreien, die Guten in die Regierungsämter einsetzen und schon ist alles rosarot. Das Problem ist, dass das nicht immer so klappt. Dass gute Vorsätze das eine sind, gute Resultate sich aber nicht so leicht erzwingen lassen.

 

Michael Ignatieff hat im Sommer über dieses Thema einen langen Essay geschrieben. Ignatieff ist heute die Nummer Zwei bei den kanadischen Liberalen und wäre heute Außenminister in Ottawa, wenn seine Partei die Wahlen nicht verloren hätte. Vor seinem spektakulären Wechsel in die Politik war Ignatieff ein linksliberaler Politikprofessor, der sich in Harvard mit der Frage herumgeschlagen hat, wie die Menschenrechte in der internationalen Politik durchgesetzt werden können. Seine Arbeiten sind seit langem schon von einem tragischen Sound durchzogen – dass man in der Politik zwischen Übeln wählen muss. Vor vier Jahren unterstützte auch er den Irakkrieg, weil er der Meinung war, dass der Sturz des Bagdader Blutsäufers eine gute Sache ist. Als ich ihn vor ein paar Jahren für ein Falter-Interview im Radiokultur-Cafe traf, sagte er, man müsse sich, gerade wenn man die Freiheit verteidige, eben auch mal „die Finger schmutzig machen“.

 

Jetzt hat er im Magazin der „New York Times“ ein großes Mea Culpa veröffentlicht. Ja, er habe 2003, als er den Irakkrieg unterstützte, falsch gelegen, schrieb er da, er werde sich künftig „weniger von den Leidenschaften“, von „meinen Emotionen“ leiten lassen. Vor allem aber meint er nach zwei Jahren in der Politik, dass die Anforderungen an Politiker derart andere sind als die an einen Denker, dass die intellektuelle Urteilskraft in der Politik einigermaßen nutzlos sei. In der Politik zählt weniger die Frage „richtig“ – „falsch“, sondern ob etwas funktioniert. Der Intellektuelle reüssiert mit Ideen, muss originell sein – für verantwortliche Politik schade das nur. Kurzum: Die Anreizsysteme seien einfach vollkommen andere.

 

Einfach gesagt: Wäre ja schön gewesen, wenn der Irak demokratisiert worden wäre mit Waffengewalt. Da das aber nicht gelang und viele Befreite ihre Befreiung nicht überlebten ist das nicht nur ein Rückschlag in der Praxis, dadurch wird die gesamte Grundlage der moralischen Rhetorik desavouiert.

 

Von der Moralisierung der Diskurse ist es oft nur ein kurzer Weg zur Selbstgerechtigkeit. Wo das große Gute beabsichtigt ist, spielt das Schlechte im Detail keine Rolle – wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Und der Manichäismus: Gut steht gegen Böse, Liberalismus gegen Faschismus, Freiheit gegen Islamofaschismus – der Jargon hat viele Spielarten. Der Gute ist immer im Recht, die Kriegstreiber sind immer die anderen. Im Zusammenhang mit dem Iran baut sich das jetzt wieder auf. Das heißt nicht, dass militärisches Handeln immer falsch ist. Würde man diesen Schluss ziehen, säßen die Diktatoren und Völkermörder sicherer und das kann sich niemand wünschen.

 

Aber die Guten müssen verdammt aufpassen. Wer sich zu sicher ist, auf der guten Seite zu sein, kann leicht zum Bösen werden.

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