Mädchen sind besser

In den Medien kommt die Migrantin meist nur als Opfer vor – zwangsverschleiert, zwangsverheiratet, weggesperrt in der Parallelgesellschaft. Dabei kämpfen sich oft die Türkenmädchen zielstrebig hoch, während die Buben versumpfen. Kein Wunder, denn Frauen stellen sich in Krisensituationen kräftig auf die Beine. Falter, 5. Februar 2008

 
Nachdem zwei Burschen mit dem, was man so gemeinhin „Migrationshintergrund“ nennt, in der Münchner U-Bahn einen Rentner fast totgeschlagen haben, hob nicht nur in Deutschland ein hektische Debatte über die Jugendkriminalität an – flugs schwappte sie, wenngleich auch weitgehend anlaßlos, auf Österreich über. Unter den Deutungen des Geschehens ist die populistische die Gängigste. Die Kriminalität wird unter „Ausländergewalt“ abgebucht. Dass das nur eine mögliche Form der Rationalisierung ist, zeigt sich, wenn man ein bisschen in die Internetforen militanter Nichtraucher guckt: hier wird vor allem darauf verwiesen, dass zwei Raucher einen Nichtraucher niedergetreten haben – schließlich hat der Rentner die Schläger ja zunächst aufgefordert, das Rauchverbot zu beachten. Eine dritte Deutung hob der „Spiegel“ auf sein Titelblatt. Demnach sei das Abdriften in Bandenkriminalität eine Art Krankheit junger Männer. Egal ob Moslem, Deutscher oder Schwarzer – die seien „die gefährlichste Spiezies der Welt“. Wo immer es zu viele testosteronvergiftete Jungmänner gibt, die „nichts Gescheites zu tun haben“, werden Kriege vom Zaun gebrochen, Genozide verübt oder einfach unschuldige Passanten totgeschlagen.
 
Wenn daran nur eine Prise Wahrheit ist, muss das im Umkehrschluss ja heißen: die Frauen, besonders die Mädchen, sind die besseren Menschen. Und tatsächlich gibt es Evidenzen für diese These. Vor allem in krisenhaften Lagen sind es eher die jungen Frauen, die sich auf die Beine stellen, während der Jungs versumpfen.
 
„Kein Job, keine Ausbildung, keine Frau“, sagt Reiner Klingholz, „das ist so ziemlich das Dümmste, was einem passieren kann.“ Der Sozialwissenschaftler Klingholz versteht es, ziemlich pointiert über demographische Daten zu reden. Er war einer der führenden Wissenschaftsjournalisten Deutschlands – erst bei der „Zeit“, dann bei „GEO“ – bevor er das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung gegründet hat. Vergangenes Jahr präsentierte Klingholz eine brisante Studie über die Bevölkerungsentwicklung Ostedeutschlands. Dass die Ex-DDR-Regionen an Einwohnern verlieren, wusste man bis dahin schon. Aber die meisten, die gehen, sind junge Frauen. Die haben mehr Energie als die Männer und sind auch zielstrebiger. 60 Prozent aller Gymnasiasten in Ostdeutschland sind junge Frauen. Die gehen in den Westen und finden sich Jobs – manchmal bessere, manchmal schlechtere. Zurück bleibt eine männliche Unterschicht, die nicht nur am Arbeits-, sondern auch am Partnermarkt chancenlos ist. In der Gruppe der 25- bis 30-jährigen kommen auf 100 junge Männer nur 85 Frauen. Klingholz: „Dieses Ausmaß ist europaweit einzigartig.“ Dass dies nicht zu einer Gewaltexplosion führt, verdankt man, so der Wissenschaftler, nur der generell dünnen Besiedlung. In Ballungsräumen wäre eine solche Konzentration zukunftsloser Männer eine Garantie für einen steilen Anstieg der Kriminalität.
 
Aber warum versagen die Jungs so überdurchschnittlich oft? Und warum klappt es bei den Mädchen so deutlich besser? „Mädchen sind besser in den Soft Skills, die immer wichtiger werden“, sagt Klingholz, während gerade Unterschichtsburschen sich noch immer auf die klassischen Malocherjobs orientieren – nur dass es von denen immer weniger gibt. Positive männliche Rollenbilder haben sie keine – die Väter sind meist auch arbeitslos. Und weil die Burschen oft renitenter sind als die Mädchen, bekommen sie auch mit den Lehrern (und vor allem den Lehrerinnen) sehr schnell ein Problem.
 
Bei den Migrantenfamilien in sozial krisenhaften Situationen ist das ziemlich ähnlich. Die Muster gleichen sich, auch wenn vordergründig alles anders scheint – all der Catchphrasen von Patriarchalismus und Frauenunterdrückung zum Trotz. „Im Westen sind die Migrantenmädchen besser in den Schulen als die Jungs“ (Klingholz). Auch hier sind es signifikant häufig die Mädchen, die sich durchbeißen. Das mag auch daran liegen, dass die Mädchen einfach mehr zu gewinnen haben. Die Türken-Buben werden oft im Bewusstsein erzogen, sie seien die Kings, egal was sie leisten. Die Mädchen wissen aber, sie bleiben ganz unten, wenn sie sich nicht anstrengen. „Die Jungs haben mehr Freiheiten von Anfang an. Und die Mädchen haben doppelt zu gewinnen“, sagt die Deutsch-Türkin Hilal Sezgin, die jüngst ein Porträt-Buch zum Thema herausgebracht hat. „Typisch Türkin“ heißt es, und es erzählt erstaunliche Entwicklungsgeschichten. Wobei sich Sezgin auch gegen ein neues Klischee-Bild wehrt – gegen das von den verlorenen Türkenjungs und den toughen Türkenmädchen. „Wenn ich mir diese Biographien ansehe, dann ist der Unterschied nicht, ob Mädchen oder Bub, sondern ob die Eltern den Sinn von Bildung kapiert haben oder nicht. Das ist die große Wasserscheide. Da gibt es rührende Geschichten vom Vater, der aus der Fabrik kam, der selbst noch nicht deutsch konnte, und abends mit den Töchtern Vokabel gepaukt hat. Wenn das so lief, dann hat es geklappt. Dann gab es in solchen Familien oft sogar eine fast schon wieder kritisierenswürdige Leistungsorientierung.“ Aber auch Lehrer können im Einzelfall die starke Figur sein, die die Kinder auf die richtige Spur setzen.
 
Eine Beobachtung, die auch die Sozialwissenschaft stützt. So resümiert die deutsche Soziologin Annette Treibel, die einschlägigen Daten zeigen auch bei Mädchen mit Migrationhintergrund die für den schulischen Bereich „generelle Gender-Relation: Sie sind besser als die Jungen“.
 
Eine überwiegende Mehrheit der muslimischen Mädchen – 59 Prozent – befürworten ein egalitäres Rollenbild, so ergab eine Studie in Österreich. Und eine aktuelle Erhebung über Migrantenkinder an den österreichischen Universitäten brachte ein bemerkenswertes Ergebnis: Nicht nur der Frauenanteil unter den Migranten ist höher als unter den „autochtonen“ Österreichern, es studieren auch mehr aus bildungsfernen Schichten. Kurzum: Junge Migrantinnen haben mehr Biss, sich nach oben zu kämpfen, sowohl im Vergleich mit Migranten-Jungs als auch im Vergleich mit anderen unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen.
 
Auf all diese erstaunlichen Fakten ist freilich der Blick ein wenig verstellt, weil in den letzten Jahren vor allem die „Migrantin als Opfer“ erschien – zwangverheiratet, zwangsverschleiert, weggesperrt in der Parallelgesellschaft. Dabei, so die türkischstämmige deutsche Erziehungswissenschafterin Havva Engin, gibt es ganz „aufregende Zahlen“. So gibt es in Deutschland 70.000 türkische Unternehmer – davon sind 25.000 Frauen.
 
Frauen sind trickreich, wenn es darum geht, sozial vorwärts zu kommen – das zeigt die Geschichte und viele aktuelle Exempel. Eines der amüsantesten Beispiele ist der gegenwärtige Vormarsch des Pfingstlertums, einer Abspaltung des puritanischen Protestantismus, in Lateinamerika. Die Konversions-Dynamik wird vor allem von Frauen getragen. Der Grund dafür: Pfingstler halten Selbstdisziplin hoch, verzichten auf Alkohol und Nikotin. Wenn die Frauen ihre Männer zum Pfingstlertum missionieren, dann ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die das karge Einkommen versaufen und verhuren.

Ein Gedanke zu „Mädchen sind besser“

  1. ein paar Gedanken dazu:
    liegt sicher nicht in den Genen. Aber offensichtlich
    gehen Frauen konstruktiver, in die Zukunft gerichteter
    mit Veränderungen um. Gilt für First Nations,
    Indianer, Inuit, Aborigines, Schwarze, Weiße – zieht
    sich durch Völker, Hautfarben, Nationen: Bei massiven
    Umbrüchen steigt das Aggressionspotential von Männern,
    während Frauen Ausbildungschancen nutzen, einen Job
    finden, Kinder versorgen. Derzeit besonders krass und
    symptomatisch bei den Inuit zu sehen: Mann als Jäger
    und Familienalleinversorger funtioniert heute nicht
    mehr. Arbeitslosigkeit, Alkoholsucht, Gewalt an Frauen
    und Kinder, Suizid: so zeichnet sich das dominierende
    Bild der Männer. Die Frauen – die den Wandel ebenfalls
    als von außen kommend, nämlich von der weißen
    Gesellschaft, erfahren haben – sind es, die eine
    Ausbildung abschließen, eine Arbeit finden, die
    Verantwortung über Kinder und Eltern wahrnehmen.
    Mir scheint, je patriarchaler die Struktur vorher war,
    desto schwieriger fällt Männern der Wandel.
    Das Alleinherrschertum abgeben zu müssen, macht
    offensichtlich Angst. Anstatt gemeinsam zu regieren,
    bugsiert er sich lieber ins Out und wird zum
    Wegelagerer.
    Ich habe den Eindruck, da herrscht fast Panik vor
    Wandel unter den Männern. Was den betroffenen Frauen
    allerdings auch nicht hilft.
    Berichterstattung über
    die Mädchen und Frauen allerdings würde ein positives
    Vorbild zeigen. Den Mädchen und Frauen Mut machen, sie
    bestärken, Männer zum Nachdenken zwingen. Das wäre
    wichtig. Die, die denken können, beginnen dann
    vielleicht Grundlegendes zu überdenken und konstruktiv
    zu handeln.
    In diesem Sinne: Danke für diesen Artikel!! 🙂
    liebe Grüße von son

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