Mehr Gleichheit!

Der US-Starkökonom Paul Krugman hofft, dass nach dem Debakel der Neokonservativen ein neues progressives Zeitalter anbricht. taz, Jänner 2008

 
Es hat sich, längst über den Kreis eingefleischter Marktwirtschafts-Dogmatiker hinaus, die Ansicht durchgesetzt, die Ökonomie sei etwas, was ohnehin seine eigenen Betriebsgeheimnisse habe; dass Wachstum, technologischer und sozialer Wandel, Einkommenskurven und all dieses Zeug von einer Reihe von Faktoren abhängen, aber kaum von der Politik. Politik könne da und dort abfedern, am besten sei aber, sie versuche, so wenig Unheil als möglich anzurichten. Noch der Erfolg der neoliberalen Doktrin wird aus dieser Perspektive eher als Symptom und Resultat ökonomischen und sozialen Wandels aufgefasst, als umgekehrt, der ökonomische Wandel als Resultat der neoliberalen Doktrin. Paul Krugman, einer der brillantesten und eloquentesten Ökonomen unserer Zeit, plädiert jetzt in seinem neuen Buch mit viel Verve für einen Perspektivenwechsel. It’s politics, stupid!, so könnte man das Motto seiner Streitschrift zusammenfassen. „Nach Bush“, heißt Krugsmans Buch und der Untertitel lautet: „Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten.“
 
Krugman wirft sich ins Zeug, um einen neuen „New Deal“ für Amerika zu begründen, und seine Hoffnung ruht darauf, dass die Demokraten wieder politischer werden und „Liberalism“ ein Ehrenwort, keine Spottvokabel mehr. Aber Krugmans Buch ist auch eine Wirtschaftsgeschichte Amerikas und zeichnet nach wie, ja, „Klassenkampf“ heutzutage läuft. Und das macht sein Buch auf für Leser spannend, die sich nicht primär für den Kampf zwischen Progressiven und Konservativen in den USA interessieren.
 
In der modernen amerikanischen Geschichte gab es, so Krugman, „zwei große Bögen – einen wirtschaftlichen Bogen von großer Ungleichheit zu relativer Gleichheit und zurück“ zu mehr Ungleichheit. Der Common Sense ging mit leisem Determinismus davon aus, dass der Raubtierkapitalismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit wachsendem Reifegrad nach Stabilisierung verlangte und eine homogenisierte, fordistische Arbeiterklasse hervorbrachte. Institutionen des Wohlfahrtsstaats, wie sie im New Deal unter Präsident Roosevelt eingeführt wurden, waren gewissermaßen eine „natürliche“ Folge. Somit wurde die Gesellschaft egalitärer. Dass sie ab den siebziger Jahren wieder ungleicher wurde wird ihrerseits primär der Verwandlung des formierten Kapitalismus in eine fluidere, digitalisierte, dezentrierte Ökonomie zugeschrieben. Er selbst, schreibt Krugman, habe dieser Ansicht angehangen. Aber alle Fakten und Evidenzen sprechen dagegen, sagt er nun: „Mittelschichtgesellschaften entstehen nicht von selbst mit der Reifung einer Volkswirtschaft, sondern müssen durch politisches Handeln geschaffen werden.“ Es war nicht die „kapitalistische Entwicklung“, es waren Liberale, die es durch entschlossenes Handeln und indem sie die konservativen Kräfte besiegt haben schafften, „die Ungleichheit der Einkommen erheblich zu verringern, mit fast ausschließlich positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt.“ An diesen Männern und Frauen sollte sich „die Liberalen von heute ein Beispiel nehmen, wenn sie lernen wollen, was politische Führung zu bewirken vermag“.
 
Dass das egalitäre Amerika seit den siebziger Jahren zerstört wurde, geht seinerseits, so Krugman, auf eine ideologische Strategie zurück, die die Strömung der „Neokonservativen“ seit den sechziger Jahren verfolgte. Doch jetzt gäbe es eine Chance, dass die lange, säkulare Tendenz wieder in die andere Richtung geht. Weil die Neokonservativen abgewirtschaftet haben.
 
Aber soll es überhaupt in eine andere Richtung gehen? Ist mehr Ungleichheit nicht der Preis, der für Innovation und Fortschritt zu bezahlen ist? Krugman, gemeinsam mit dem Nobelpreisträger Joseph Stieglitz wohl der einflussreichste Keynesianer unserer Zeit, unterstreicht mit Überzeugungskraft, dass egalitärere Gesellschaften nicht nur gerechter, sondern auch leistungsfähiger sind als ungleichere. Die Zeit, in der auch in den USA ein wohlfahrsstaalicher Konsens herrschte, war nicht nur durch die Entstehung eines breiten, stabilen Mittelstandes gekennzeichnet, sondern auch durch bisher unbekannte Wohlstandsgewinne. Allerdings, so Krugman, wurden die Reichen wirklich ärmer, während die Unter- und Mittelschichten gewannen. Wenn aber die große Mehrheit der Amerikaner vom New Deal profitierte, wie konnte es dann gelingen, den wohlfahrtsstaatlichen Konsens zu zerbrechen? Krugmans lapidare, aber überzeugend dargelegte Antwort: wegen der Zwietracht zwischen den Rassen. Der New-Deal-Koalition ist zerbrochen, weil sich die Demokraten auf die Seite der Bürgerrechtsbewegung gestellt haben, was auch ärmere weiße Amerikaner in den Südstaaten dazu brachte, für die Republikaner zu stimmen – und damit gegen ihre ökonomischen Interessen. Die Frontleute der Neokonservativen haben die „getrübten Rassenbeziehungen“ weidlich ausgenützt, indem sie gegen die „Welfare Queens“ hetzten – da musste gar nicht dazu gesagt werden, dass damit schwarze Alleinerzieherinnen gemeint waren, die vermeintlich auf Kosten der Allgemeinheit leben. Gelingt es, den Eindruck zu erwecken, die Profiteure des Sozialstaates seien die ethnisch Anderen, dann wird das Band des sozialpolitischen Konsenses mürbe.
 
Wegen dem Rassismus ist der Aufbau eines voll entwickelten Sozialstaats in den USA auch stecken geblieben – vor allem an einer allgemeinen Krankenversicherung mangelt es, weshalb Krugman sich auch für eine Gesundheitsreform stark macht.
 
Krugmans Buch ist ein bemerkenswertes Plädoyer für eine Gesellschaft, in der alle einigermaßen gleiche Lebenschancen haben und gegen die The-Winner-Takes-It-All-Mentalität, die sich in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt hat. Wahrscheinlich gibt es kaum einen Ökonomen auf der Welt, der mit so viel Sachverstand und schriftstellerischen Witz zugleich die Sache des Egalitarismus zu vertreten vermag. Krugman, Autor einer regelmäßigen Kolumne in der New York Times, gilt nicht zu unrecht als der „Superstar“ der Keynesianer. Dass er die Dinge manchmal etwas vereinfacht, kann man ihm nicht vorhalten. Er ist Akteur in einer Konfliktkonstellation und die Neokonservativen haben vorgemacht, wie man ideologische Kämpfe gewinnt.
 
Paul Krugman: Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten. Campus Verlag, 2008. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. 320 Seiten, 24,90.- Euro (Österreich: 25,60.-)
 
 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.