Georgienkomplott 2.0

Haben US-Neokons in Georgien gezündelt, um John McCain einen Vorteil zu verschaffen? Falter, 10. September 2008

Die Welt ist voller Verschwörungstheorien und eine ist obskurer als die andere. Ganz oben im Ranking der All-Time-Best: Dass die Nasa die Mondlandung in einem Fernsehstudio inszeniert hat. Dass am 11. September 2001 der Mossad die Flugzeuge in die Twin-Tower und in den Pentagon lenkte, um die Welt gegen den Islam aufzubringen. Dass die CIA John F. Kennedy aus den Weg räumte. Oder die Mafia. Oder beide zusammen. Dass die Juden die Welt beherrschen. Zur Verschwörungstheorie gehört übrigens auch eine spezifische Art von informellem „Medium“ – sie wird schließlich als die Wahrheit dargestellt, die vom offiziellen Meinungsdiktat unterdrückt wird. Früher kursierte sie gerne auf simpel hektographierten Flugschriften.
 
Die neuste Verschwörungstheorie zieht seit einigen Wochen Kreise und sie hat schon einen prominenten Anhänger. Er habe den Verdacht, sagte Russlands Präsident Vladimir Putin, dass jemand in den USA den Georgienkrieg vom Zaun gebrochen hat, „um einem der Kandidaten im Kampf um das Amt des US-Präsidenten einen Vorteil zu verschaffen“. Der Georgien-Krieg als feine Intrige, damit der republikanische Kandidat John McCain, mit Hilfe einer kleinen Weltkrise, sich als kriegsgestählter Oberbefehlshaber in spe präsentieren kann? Die These gewinnt an Fahrt, auch weil es heute mit dem Internet ein Medium gibt, das Gegenmedium und Leitmedium zugleich ist.
 
Freilich, das schönste an Verschwörungstheorien ist, dass sie im Einzelfall sogar stimmen können. Und in diesem Fall ist das durchaus im Bereich des Möglichen.
 
Zu den Fakten: Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili hat, auch wenn er sein Land als unschuldiges Opfer präsentiert, das abtrünnige Südossetien überraschend angegriffen – und damit auch die dort stationierten russischen Truppen. Gewiss, Russland hat davor imperialen Druck ausgeübt, hat provoziert. Aber seit dem Abschluss eines Waffenstillstandes 1992 und der Stationierung von Friedenstruppen in der umstrittenen Provinz ist Russland mit einem offiziellen Mandat im Südossetien, die OSZE hat Beobachter im Land. Ein Angriff auf diese Truppen ist und bleibt ein völkerrechtswidriger Angriff – unabhängig von den Umständen.
 
Schon von daher stellt sich die Frage: Wieso beschließt der Präsident eines kleinen, militärisch unterlegenen Landes, die Truppen einer waffenstrotzenden Großmacht anzugreifen? Entweder er ist ein Idiot. Oder er fühlt sich von einer anderen großen Macht ermutigt.
 
Saakaschwili ist in den USA gut „connected“. Er hat an der Columbia-Universität in New York studiert. Und seine engsten Verbündeten in den USA sind neokonservative Außenpolitiker, die eine führende Rolle im McCain-Wahlkampf spielen, und enge Mitarbeiter von US-Vizepräsident Dick Cheney. Joseph R. Wood, einer der erfahrensten Berater Cheneys, war in Tiflis, kurz bevor die georgische Armee losschlug. Der deutsche „Spiegel“ mutmaßt, Cheney habe in Georgien „gezündelt, um dem republikanischen Kandidaten für das Amt des Präsidenten einen Gefallen zu tun“.
 
Eine der fragwürdigsten Figuren in dem Drama ist der Washingtoner Lobbyist Randy Scheunemann. Er ist Außenpolitik-Experte im engsten Beraterteam um John McCain. Davor vertrat er mit seiner Lobby-Firma offiziell Georgien – antichambrierte bei Senatoren, im Außenministerium, warb im Auftrag seines Freundes Saakaschwili für eine Nato-Aufnahme Georgiens. 49 Mal allein bei seinem späteren Chef John McCain. Dafür erhielt er knapp 1 Million Dollar Honorar. Die Auftragslage legt Interessenskollission nahe. Zudem ist Scheuneman, einstmals Chef des „Comittee fort he Liberation of Iraq“, eine Zentralfigur im Neokon-Orbit. „Der Georgienkrieg – ein neokonservatives Wahlkomplott?“ fragt jetzt das traditionsreiche linke US-Wochenblatt „The Nation“. Das Magazin „Time“ wendet dagegen ein: „Die Frage, wieso Georgien einen derart selbstmörderischen Krieg vom Zaun brach, ist unbeantwortet – aber die besondere Rolle der USA droht doch etwas übertrieben zu werden.“
 
130 militärische „Ausbildner“ aus den USA hielten sich in Georgien zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs auf. Georgien, das auch ein erhebliches Truppenkontingent im Irak stellt, hat sich in den vergangenen Jahren praktisch zum Satellitenstaat der USA entwickelt. Laut russischen Quellen hätten die USA sogar 800 georgische Soldaten extra aus dem Irak eingeflogen – weil Georgien mangels Transportkapazitäten dazu nicht in der Lage war.
 
Gewiss ist nicht viel, bis auf eines: Komplott-Theorien, die früher lange unterhalb der Wahrnehmungsschwellen blieben, kursieren heute erst in Blogs, dann in renommierten Blogs wie etwa „Huffington Post“ oder „Daily Kos“. Spätestens dann sind auch etablierte Medien gezwungen, nachzuziehen. Noch eines ist auffällig: In einer globalisierten Öffentlichkeit prallen konkurrierende Verschwörungstheorien in Echtzeit aufeinander. Die „Wahrheit“ Russlands ist eine diametral andere als die „Wahrheit“ Georgiens. Und grundsätzlich gilt ohnehin: Verschwörungstheorien gelten nur solange als solche, bis sie bewiesen sind.

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