Jenseits von Gut und Schlecht

Die Welt ist schlecht, zeigt Klaus Werner-Lobo. Die Globalisierung
macht sie besser, beweist Jagdish Bhagwati. Beide haben Recht und
Unrecht zugleich. Falter, 15. Oktober 2008

Die Welt ist schlecht. Wir wussten das
schon. Klaus Werner-Lobo, der Wiener Autor und Globalisierungskritiker,
erinnert uns wieder einmal daran. Dabei erfahren wir viel Bekanntes,
aber auch ein paar neue verstörende Details. So mokiert er sich
darüber, dass Bill Gates, einer der reichsten Männer der Welt, und
Warren Buffet, der reichste Mann der Welt, gefeiert werden, weil sie so
viel Gutes tun. Schließlich haben sie ihr Vermögen in eine Stiftung
eingebracht, die Hunger, Unterentwicklung und Massensterben in der
Dritten Welt bekämpft. Tatsächlich fließen nur die Gewinne der Stiftung
in Hilfsprojekte. Diese Gewinne werden aber mit klassischen
Investitionen erzielt. So ist das Stiftungskapital beispielsweise in
Aktien von Pharmafirmen investiert, die ihre Patente aggressiv
verteidigen – die Stiftungsgewinne werden für medizinische Projekte,
etwa zur Aidsbekämpfung in Afrika, verwendet. Das Stiftungskapital ist
also in „Konzerne investiert, die viele der Probleme, die die Stiftung
lösen will, in Wahrheit verschlimmern“.
 
Klaus Werner-Lobo, der mit seinem
„Schwarzbuch Markenfirmen“ bereits einen Bestseller landete, zeigt uns
abermals: Wenn wir uns Klamotten kaufen (bei H&M beispielsweise),
wenn wir unser Auto volltanken, uns ein neues Handy zulegen, unser Geld
zur Bank tragen oder in eine Banane beißen – wir machen uns Mitschuldig
an Ausbeutung, Kinderarbeit, wir finanzieren Bürgerkriege.
 
Die Besprechung eines solchen Buches,
es ist das Dilemma des Rezensenten, hat immer etwas leicht
Unangemessenes. Was Klaus Werner anklagt, ist tatsächlich Skandalös.
Andererseits: Das meiste hat man schon einmal gehört. Und: Ein wenig
unterkomplex ist seine Darstellung schon. Die lässt sich in etwa so
zusammen fassen: Die großen Konzerne und Multis haben die Welt geklaut.
Und das hat für alle negative Auswirkungen. Die Globalisierung führt
dazu, dass in der Ersten Welt die Jobs verloren gehen und in den
Sweat-Shops der Dritten Welt die Menschen zu Hungerlöhnen arbeiten
müssen.
 
Ganz so einfach ist die Sache natürlich
nicht, aber Werner-Loboss Buch ist auch kein ökonomisches Sachbuch. Und
der Autor auch kein Professor. Er ist ein Aktivist und ein
Vortragskünstler, ein Anarcho-Clown mit hohen
Entertainement-Qualitäten. Der Hanser-Verlag hat sein Buch mit dem
„Jugendbuch“-Mascherl versehen, was den Autor nicht freut, aber es ist
schon recht so: Sollten Sie einen Sohn, eine Tochter, eine Nichte oder
einen Neffen haben, die so 13, 14 oder 15 Jahre alt sind: Kaufen Sie
ihnen dieses Buch.
 
Natürlich könnte man gegen die
empörenden Fakten, die Werner präsentiert, den einen oder anderen
Einwand formulieren. So zeigt auch er die erschütternde Rangliste der
Top-100 der „größten Wirtschaftsmächte“, auf der sich beinahe so viele
Staaten finden wie Konzerne. Botschaft: Wal-Mart kann Österreich an die
Wand spielen. Freilich: Das Bruttoinlandsprodukt von Staaten ist eine
völlig andere Referenzgröße als der Umsatz von Firmen. Das BIP misst
alle Reichtümer, die ein Land produziert. Eine Firma dagegen, die
Rohstoffe und Basisprodukte um 99 Dollar einkauft, sie
weiterverarbeitet und um 100 Dollar weiter verkauft, hat einen hohen
Umsatz, muss aber nicht sonderlich reich sein. Also: BIP und Umsatz zu
vergleichen, ist etwa so, als würde man sagen, ich ähnle einem
Sumo-Ringer, nur weil ich 185 Zentimeter groß bin, was in etwa dem
Gewicht des Japaners entsprechen dürfte.
 
Genug der Mäkelei: Klaus Werner-Lobo
referiert genügend empörende Ungerechtigkeiten und er zeigt oft sehr
anschaulich, wie sie zustande kommen.
 
Als Gegenbuch der Saison kann man ja
Jagdish Bhagwatis engagiertes Wirtschaftsbuch „Verteidigung der
Globalisierung“ zur Hand nehmen. Das ist natürlich von entschieden
anderem Charakter. Bhagwati war einer der führenden Ökonomen Indiens,
arbeitete unter verschiedenen Regierungen am Wirtschaftsprogramm des
Landes mit, beriet später die Welthandelsorganisation und die UN und
unterrichtet heute an der Columbia-Universität in den USA. Bhagwatis
Kritik der Globalisierungskritik lässt sich so zusammenfassen: Die
Globalisierung macht die Armen reicher. Und vom weltweiten Handel
profitieren alle.
 
Wer sich ein bisschen auskennt mit dem
komplizierten Ort, den man so „die Erde“ nennt, der weiß, Bhagwati hat
nicht unrecht: das Einkommen von dreißig, vierzig oder hundert Euro,
das eine Näherin in einer Fabrik in Bangladesh oder China erzielt, ist
nicht viel Geld. Aber es ist sehr viel mehr, als sie bisher vor kurzem
verdienen konnte. Und dieses Geld bedeutet Freiheit: Sie kann es sich
erstmals leisten, aus ungewollten Ehen auszubrechen, sie kann ihr Dorf
verlassen und in die Stadt ziehen.
 
Wir finden, sie wird ausgebeutet. Sie
findet, sie habe erstmals eine Chance im Leben. Das gleiche gilt für
Kinderarbeit: Ja, die gibt es in diesen Ländern. Aber mit zunehmender
Entwicklung wächst das Familieneinkommen, es wächst auch die Nachfrage
nach qualifizierteren Arbeitskräften: Die Kinderarbeit werde also
weniger. Und auch die Ungleichheiten, die in den vergangenen zwanzig
Jahren in den reichen Ländern dramatisch gewachsen sind, seien, so
Bhagwati, nicht Folge „der Globalisierung“, sondern des technologischen
Wandels. Der sei dafür verantwortlich, dass schlecht qualifizierte
Arbeitnehmer um immer weniger Jobs konkurrieren.
 
Das ist schon alles richtig. Und doch
auch falsch. Denn Bhagwati definiert sich die „Globalisierung“, wie er
sie braucht. Weltweiter Handel und wachsende globale Arbeitsteilung
sind für ihn Teil der „Globalisierung“, die international vernetzten
Finanzmärkte, deren zerstörerische Wirkung auch Bhagwati eloquent und
kenntnisreich anprangert, nimmt er aber in die Rechnung nicht auf.
 
Da kann man die Globalisierung
natürlich leicht verteidigen, wenn man alles, was schlecht an ihr ist,
aus der Bilanz ausscheidet. So gesehen unterscheidet sich der Gelehrte
Bhagwati weniger vom aktivistischen Polit-Clown Klaus Werner-Lobo, als
man beim ersten Blick vermuten würde.
 
Klaus Werner-Lobo: Uns gehört die Welt! Macht und Machenschaften der Multis. Hanser-Verlag, 2008, 278 Seiten, 17,40
 
Jagdish Bhagwati: Verteidigung der Globalisierung. Pantheon-Verlag, 2008, 524 Seiten, 17,50.-

Ein Gedanke zu „Jenseits von Gut und Schlecht“

  1. Besten Dank für die umfangreiche Besprechung, freut mich! Zum Glück habe ich Recht und Unrecht zugleich. Aber nicht nur ich, deshalb hier meine kurze Replik:
    Danke für die ehrenvolle Bezeichnung als “Polit-Clown”, als der ich mich in der Tradition von Hofnarren wie Charlie Chaplin oder Leo Bassi gerne sehe. Dennoch: Die Welt ist gar nicht so schlecht, wie mir unterstellt wird, in “Uns gehört die Welt!” zu behaupten. Zumindest dann nicht, wenn wir sie mitgestalten und mitreden, wozu das Buch seine Leser ermächtigen will. Wenn sich laut UNO die Hälfte der Menschheit ein Prozent der Weltvermögen teilen und von weniger als zwei Euro am Tag leben muss, geht es nicht darum, sich “mitschuldig an Ausbeutung, Kinderarbeit” und der Finanzierung von Bürgerkriegen zu fühlen, sondern um Selbstvertrauen, Information, solidarisches Handeln und Zivilcourage gegen die herrschende “Geiz-ist-geil”-Ethik. Experten wie Robert Misik, die das meiste davon “schon einmal gehört” haben, würden sich wundern, wie viele Menschen von den Zusammenhängen zwischen globaler Wirtschaftspolitik und ihrem persönlichem Alltag – Arbeitslosigkeit, Migrationskonflikte, Diskriminierung etc. – noch nie gehört haben. Und vielleicht auch deswegen ihren Protest und ihre Hilflosigkeit an rechtspopulistische Parteien delegieren. Gerade deshalb sehe ich sprachliche “Vereinfachung” auch als aufklärerische Notwendigkeit gegen Demokratie- und Politikverdrossenheit nicht nur bei Jugendlichen. Der Vergleich zwischen Länder-BIPs und Konzernumsätzen stammt übrigens vom angesehenen Washingtoner Institute for Policy Studies und ist nur einer von vielen Indikatoren der Machtverhältnisse im Zeitalter von “mehr privat, weniger Staat”, das sich in diesen Tagen mehr denn je selbst diskreditiert.
    Herzliche Grüße, Klaus

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