Die Wutprobe

Banker und Manager schlägt der Volkszorn entgegen. Die Wut der Schlechtweggekommenen ist ein produktiver, aber höchst gefährlicher Affekt. Eine Geschichte und Anatomie eines Gefühls. Falter 8. April, taz 9. April 2009

 

So ganz nach anarchistischen Umstürzlern klangen die Parolen nicht, die vergangene Woche durch die Londoner City schallten: „Wir brauchen einen sauberen Kapitalismus“, lautete eine. Am Ende legte die Menge eine Filiale der Royal Bank of Scottland in Trümmer. Deren früherer Chef, Fred Goodwin, der König der Abzocker, gilt längst als das hässliche Gesicht der Finanzkrise. Nachdem er sich mit einer Rente von 760.000 Euro in den Ruhestand zurückzog, haben Unbekannte seine Villa und seine Limousine entglast.

 

Brave Bürger bringen derweil in ihren Vorgärten handgeschriebene Poster an, wie etwa den: „Hängt die Banker, bis sie tot sind“.

 

Langsam macht sich Angst breit: In London wurde im Finanzdistrikt vergangene Woche die Kleiderordnung aufgehoben – die Broker und Kassenbeamten kamen in Jeans und T-Shirt zur Arbeit, Aktenkoffer wurden durch ausgebeulte Sporttaschen ersetzt. Motto: Nur nicht auffallen. Die Führung des amerikanischen Versicherungsriesen AIG empfahl ihren Mitarbeitern davor schon, keine Taschen, T-Shirts oder Anstecknadeln mit dem Firmenlogo zu tragen. Nachdem bekannt wurde, dass AIG-Manager sich auch noch aus den staatlichen Rettungsmilliarden hunderte Millionen als Boni abgezweigt haben, organisierten Protestler Autobusfahrten in die Vorstädte zu den prächtigen Villen der Manager. Botschaft: Ihr sollt Euch auch daheim nicht mehr sicher fühlen. Selbst des Antikapitalismus unverdächtige Blätter wie das deutsche Handelsblatt schreiben salopp Sätze wie diese: „Eigentlich wäre es ganz einfach: jeden Tag einen Banker einbuchten, bis der Rest Vernunft annimmt“. Nur leider sei „Hängt ihn höher“ in Sachen Finanzkrise „keine Option“. US-Vizepräsident Joe Biden dagegen bekundete, er „würde diese Jungs sofort in den Bau stecken. Sie haben immer noch die gleiche Mentalität, die uns hier hineingeritten hat.“

 

Aber auch Chefs, deren Firmen in Bedrängnis geraten, sind nicht mehr sicher. In Frankreich wurde das Chef-Einsperren schon zu einem regelrechten Volkssport. So wurden vier Manager des Baumaschinenherstellers Caterpillar eine Nacht lang als Geiseln gehalten, bis sie zusagten, über geplante Stellenstreichungen noch einmal zu verhandeln. Ähnlich erging es Managern von Sony und der Pharmafirma 3M. Vergleichweise glimpflich kam noch die Führung des Reifenherstellers Continental davon: Sie wurde nach irakischer Mode mit Schuhen beworfen.

 

Die Wut ist wieder zurück, dieser eruptive, oft planlose Affekt, den man gerne „Volkszorn“ nennt. Was ist das eigentlich? Ein Gefühl, ein frei flottierendes Ressentiment? In der Geschichte war dieser Zorn immer ein politisch sehr wirksamer Affekt, aber er ist natürlich auch ein sehr fragwürdiger. Die Ausbrüche des Ressentiments der Schlechtweggekommenen fragen nicht nach politischer Nützlichkeit, die Wut ist nicht weitsichtig. Einerseits. Andererseits hätte es in der Geschichte kaum Fortschritte gegeben, wenn den Übervorteilten nicht gelegentlich der Kragen geplatzt wäre – und die Oben daraufhin die Angst vor der „Laternisierung“ gepackt hätte, wie man das in Revolutionszeiten nannte, also die Furcht, dass das Luxusleben sehr schnell an einer Straßenlaterne sein Ende finden könnte. Der „gerechte Zorn“ ist so alt, wie das politische Denken selbst. Mit „heiligem Zorn“ wandten sich die biblischen Propheten gegen die Mächtigen ihrer Tage. „Die Leichen der Menschen sollen liegen wie Dung auf dem Felde und wie Garben hinter dem Schnitter, die niemand sammelt“, empörte sich Jeremia. Der Gott selbst, der Gericht halten würde, wurde als „zorniger Gott“ imaginiert. Und auch Jesus ist nicht nur ein putziges Krippenkind: Der steht mit heiligem Zorn im Tempel, stürzt die Tische um und wirft die Händler und Geldwechsler hinaus. Wenn man so will, eine frühgeschichtliche Randale gegen die Ponzischema des Finanzkapitalismus. Jedenfalls: Wie es der Zorn in die Liste der sieben Todsünden bringen konnte, ist so gesehen höchst erklärungswürdig.

 

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat der Rolle des Zorns in der Geschichte unlängst ein inspiriertes Buch gewidmet: „Zorn und Zeit“. Der Zorn begleitet uns durch die Zeiten. Mal schlägt er in Revolten um, dann auch wieder in Hass. Er kann demokratische Aufstände gegen Potentaten befeuern, aber auch ethnische Genozide und junge Muslime, die sich auf belebten Plätzen in die Luft sprengen. „Als Furor alten Stils passt er überhaupt nicht mehr in die urbane Welt“, proklamiert Sloterdijk, aber es ließe sich nachweisen, „wie sich der Zorn von seiner diffusen Anfangsgestalt zu höheren Organisationsgraden entwickeln kann.“ Die Zornpotentiale „durchlaufen die Metamorphose von der blinden Verausgabung im Hier und Jetzt bis zum hellsichtig geplanten weltgeschichtlichen Projekt einer Revolution zugunsten der Erniedrigten und Beleidigten“. Sozialistische und kommunistische Parteien der vergangenen 150 Jahre, aber auch Gewerkschaften, waren für Sloterdijk etwas, das er „Zornbanken“ nennt: Organisationen, die den Zorn der Einzelnen, der ansonsten planlos aufflammen müsste, horten und in politische Projekte investieren.

 

Wohl auch deshalb ist der „Volkszorn“ nicht nur bei jenen schlecht angesehen, die ihn zu fürchten hätten, er wurde auch bei den politischen Parteien der Linken längst nicht immer geschätzt. Er ist schließlich spontan und politisch „unbewußt“, stets auch von Rattenfängern instrumentalisierbar. Und nicht immer leicht von dem unterscheidbar, was man die „niedrigsten Instinkte“ nennt.  

 

Verzärtelte Denker haben das Eruptive, Exzessive des Zorns immer mit einer gewissen Faszination betrachtet, schließlich ist die Wut ja eine „echtes“ Leidenschaft und hat, ähnlich der kopflosen Liebe, den Glanz des Authentischen.

 

Aber das „Gesunde“ am Zorn ist von seinen Pathologien meist nicht leicht zu trennen. Der Zorn ist persönlich, selbst wenn er sich gegen „das System“ richtet, wendet er sich gegen Einzelne, die das System repräsentieren. Schon Karl Marx war das nicht immer recht – diese Einzelne seien doch „Charaktermasken“, meinte er. Dass den Zorn der Plebejer oft auch die Maschinen zu spüren bekamen, die ihre Arbeit überflüssig machten, fanden die fortschrittsfreundlichen Theoretiker der Arbeiterbewegung auch nicht gut: Maschinenstürmerei wurde als Akt kopfloser Wut verdammt.

 

Zu den fragwürdigsten Eigenheiten des Zorns zählt: Er ist, wie man heute sagen würde, nicht „gender-neutral“. Der Zorn ist ein Männergefühl. Von Achilles bis Zidane ist das öffentliche Zornigsein etwas, was man gerne „echten Männern“ zubilligt – Frauen weniger. Wenn Männer ausflippen, sind sie „zornige junge Männer“, manchmal auch „zornige alte Männer“. Wenn Frauen ausflippen, dann sind sie hysterisch. In der modernen Popkultur schließlich ist der Zorn selbst eingehegt worden, als gepflegtes schickes Gefühl, das der Postpunk am Catwalk ausstellt. Zorn als Styling – Rage against the Machine.

 

Mit der französischen Revolution wurde der Zorn polittheoretisch geadelt. Der Zorn wurde als demokratisches Gefühl interpretiert: der Wut des Volkes gebühre Respekt, so die These. Als die Jakobiner ihren Widersachern und den Königstreuen ihr „sie mögen zittern“ entgegenschleuderten, endete das aber in einem Blutbad. Freilich, es gab auch die freundlicheren Fälle, in denen der Zorn ins Spielerische verdampfte. Wie heute die Protestler den AIG-Managern in ihren Vorstadtvillen machten schon in der europäischen Revolution von 1848 die heißspornigen Umstürzler den Obrigkeiten ihre Aufwartung: Sie quälten sie mit „Katzenmusik“, mit ohrenbetäubenden Lärm vor ihren Schlafzimmerfenstern. „Verstummten die Hölleninstrumente, so folgte ein zermürbendes Miauen, Kreischen, Quaken und Schnalzen, aber auch Hundegeheul durfte nicht fehlen“, berichtete ein junger Revolutionär nach einem solchen Lärm-Spektakel vor dem Palais des Grafen Ficquelmont. Weniger freundlich klang das rund hundert Jahre später, als Frantz Fanon, Vordenker der algerischen Revolution, seinen Lobgesang auf die revolutionäre Gegengewalt losließ. „Der Kolonisierte identifiziert seinen Feind und wirft die ganze, bis zum äußersten gereizte Kraft seines Hasses und seiner Wut in die Waagschale. In dieser Situation geht der Schuss von alleine los, denn die Nerven sind überreizt.“

 

Häufiger vielleicht noch ist die diffuse Zornigkeit. Selbst „Sklavenaufstände“ waren nicht immer offen politische Akte, wie der amerikanische Autor Marc Ames in seinem Buch: „Going Postal. Rage, Murder and Rebellion in America“ feststellt. In den allermeisten Fällen waren sie, so Ames, „willkürliche Gewalt: die Plantage niederbrennen, den Besitzer vergiften, eins seiner Kinder umbringen.“ Auch der Furor jugendlicher Amokläufer, wie zuletzt der in Winnenden, ist für Ames deshalb „fehlgeleitet“, aber doch „politisch“ – Folge von Mobbing, empfundener Chancenlosigkeit, Respektlosigkeit, fortwährenden Kränkungen, die blinde Wut derer, die zu Losern und Versagern gestempelt werden.

 

Zorn ist unterkomplex. Deshalb ist die sprachlose Zornigkeit derer, die zum „kleinen Mann“ kleingemacht sind, auch der Humus aller Populismen. Für die Boulevardmedien ist das Zornschüren nichts weiter als eine Geschäftsidee. Zorn ohne Idee sucht sich darum die falschen Adressaten. Insofern ist der Furor, der heute den Bankern entgegen schlägt, noch regelrecht zielgenau. „Die Leute mögen wenig von Collateral Debt Obligations verstehen, sie wissen aber immerhin, wer die Welt in die Rezession gestürzt hat und dabei auch noch obszön reich geworden ist“, formuliert der amerikanische Historiker Michael Kazin in einem Essay mit dem schönen Titel: „Eine kleine Geschichte des amerikanischen Zorns.“

 

Zorn ist weiter verbreitet, als man in normalen Zeiten glauben mag. Auch der „gerechte Zorn“ ist nicht immer sympathisch. Bleiben die Zornpotentiale unrepräsentiert, machen sie die Luft nicht besser. Brechen sie sich Bahn, nehme man sich in Acht. „Auch der Zorn über das Unrecht / macht die Stimme heiser“, schrieb Bertolt Brecht.

Ein Gedanke zu „Die Wutprobe“

  1. Zum Thema Zorn ist männlich möchte ich nur ein Zitat aus Schillers Glocke bringen, die ja wohl das wichtigste Ereignis seiner Zeit beschreibt:
    […]
    Freiheit und Gleichheit! hört man schallen;
    Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr,
    Die Straßen füllen sich, die Hallen,
    Und Würgerbanden ziehn umher.
    Da werden Weiber zu Hyänen
    Und treiben mit Entsetzen Scherz:
    […]

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