Prophet der Innovation

Joseph A. Schumpter war ein großer Ökonom, ein schräger Typ, ein Gelehrter von Weltruhm, der stets am Rande des Scheiterns war. Thomas K. McCraw hat eine packende Biographie geschrieben. Falter, 3. Juni 2009

 

Es gab eine Zeit, da galt Joseph Schumpeter als bedeutendster lebender Ökonom. Allerdings erst, nachdem John Maynard Keynes tot war. Und da hatte auch Schumpeter nicht mehr allzu lange zu leben. Er hat damit gehadert, dass er gerade in den Jahren seines größten Ruhms immer im Schatten des politisch so einflussreichen britischen Jahrhundertökonoms Keynes stand. Erst seit Ende der achtziger Jahre war Schumpeter posthum wiederentdeckt worden, weil sein Oevre als Stichwortverzeichnis eines Paradigmenwechsels taugte. Denn Schumpeter war jener Ökonom, der den Unternehmer, den risikofreudigen Innovator, regelrecht besungen hatte. Gerade das Richtige für den flexiblen dot.com-Kapitalismus der letzten Jahre.

 

Aber wie Keynes auch war Schumpeter kein fader Zahlenhengst und blasser Kathedertyp. Er war eine faszinierende, exzentrische Figur. Beinahe achthundert Seiten hat Thomas K. McCraws monumentale Schumpeter-Biographie, aber langweilig wird dem Leser kaum irgendwann. Das Buch ist Lebenserzählung, Charakterstudie, aber auch eine „Biographie“ ökonomischer Ideen und ideologischer Kontroversen. Und es ist die Geschichte einer Ausnahmefigur, die es zu höchster Anerkennung brachte, die aber nahezu immer am Rande des Scheiterns war.

 

Schumpeter wurde 1883 in Böhmen geboren, nach dem frühen Tod des Vaters ging die Mutter mit dem Sohn, dem ihr ganzer Ehrgeiz galt, erst nach Graz, dann nach Wien. Dank geschickter Heirat der Mutter konnte der Bub das Theresianum, eine Eliteschmiede der Aristokratie und des Spitzenbürgertums, in Wien besuchen. Er studiert an der Universität Wien, wird dann Professor in Czernowitz, später in Graz. Kurzfristig wird er, obzwar ein eigenartiger Konservativer, Finanzminister in der ersten republikanischen Regierung unter dem Sozialdemokraten Karl Renner. Er scheitert, nur, um danach als Bankier ein noch größeres Debakel zu erleiden. Es folgen private Tragödien, ein Ruf als Professor nach Bonn und dann der Durchbruch – seine letzten zwanzig Jahre wirkt Schumpeter als Zentralfigur der Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University.

 

Als Wissenschaftler war er von einer Akribie, die an Lebensuntüchtigkeit grenzte: Er schrieb monumentale Studien über die Geschichte ökonomischer Theorien und über Konjunkturzyklen, ein Buch über „Geld“ schrieb er jahrelang, ohne dass es ihm je gelingen sollte. Den Durchbruch als Autor schaffte er erst mit einem eher essayistischen Werk, das er selbst als populär abtat – „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ -, aber für immer verbunden ist die „schumpetersche Ökonomie“ mit seiner Theorie des Unternehmertums. „Gewöhnlich wird nur das Problem betrachtet, wie der Kapitalismus mit bestehenden Strukturen umgeht, während das relevante Problem darin besteht, wie er sie schafft und zerstört“, schrieb er. Der Kapitalismus ist ja innovativ, aber es ist nicht „der Kapitalismus“ der Innovationen schafft, sondern ein spezifischer Menschenschlag, dessen kreativen Potentialen der Kapitalismus freien Lauf lässt. Ein Typus – der Typus des Unternehmers. „Zuversichtlich außerhalb der vertrauten Fahrrinne zu navigieren und Widerstand zu überwinden, verlangt Fähigkeiten, die nur in einem kleinen Teil der Bevölkerung vorhanden sind“, formuliert er. Es ist dieser Menschentypus, der für beständige Mutation, für stetige Umwälzungen sorgt. Es sind diese Abenteurer und Willensmenschen, die einen „Prozess der ‚schöpferischen Zerstörung'“ am Laufen halten – die Wendung von der „schöpferischen Zerstörung“ sollte schnell ein geflügeltes Wort werden. Schumpeters Ökonomie war, wie jede große Ökonomie, nicht mathematisch exakt, sondern von Psychologie geprägt: Der erfolgreiche Unternehmer ist „egoistisch gefärbt“, ein Neuerer und radikaler Individualist, hat Siegeswille, Sportsgeist und eine Prise Spieltrieb, ist energetisch. Der ist natürlich von weit mehr angetrieben als vom Eigennutz, den man dem Homo Oeconomicus zuschreibt. Der Ökonom Schumpeter freilich war weniger von der Stabilität und vom ökonomischen Gleichgewicht fasziniert, ihn interessierte die produktive Instabilität des Kapitalismus, seine Dynamik. Und seine Zukunftsorientierung. Das Kreditsystem – als Investition in, ja, als Wette auf die Zukunft war für ihn nicht nur ein Element der kapitalistischen Ökonomie, sondern eines seiner zentralen Wesensmerkmale. Auch Spekulanten und Investmentbankiers seien, mögen sie auch eine schlechte Presse haben, Finanziers von Innovation, schrieb er einmal. Man sieht schon, wie aktuell die Schumpeterschen Themen sind.

 

Als „den intellektuellsten Konservativen des Jahrhunderts“ hat John Kenneth Galbright, der große linksliberale Ökonom, Schumpeter einmal genannt. Schumpeter hatte unzählige hellsichtige Ideen – lag aber oft auch ziemlich daneben. Er war optimistisch, was die Innovationsfähigkeit des Kapitalismus betraf, aber ziemlich pessimistisch, was seine langfristige Überlebensfähigkeit anging, weil niemand den Kapitalismus liebe. Er hatte nichts gegen einen gelenkten Kapitalismus, fürchtete aber, der würde in den Sozialismus übergehen – keine exakt richtige Prognose. Er hatte das notorische Talent, sich in Minderheitenpositionen zu manövrieren, haderte aber stets mit sich, weil er keine „Führungspersönlichkeit“ sei („eigentlich bin ich ein Mann ohne Aura“). Er wäre gerne so gewesen, wie sein idealisierter „Unternehmer“. Er stilisierte sich, halb als Dandy, halb als Aristo, halb als Lebemann. Der Tod seiner jungen Frau und seiner Mutter warfen ihn nahezu aus der Bahn. Er war ein Gegner der Nazis, verteidigte in den USA aber die Deutschen, was keine allzu populäre Haltung war und hielt die Sowjetunion für Barbarischer als Nazideutschland – auch mehr ein Vorurteil als politische Klarsicht. US-Präsident Franklin D. Roosevelt, den größten amerikanischen Präsidenten der Neuzeit, verachtete er.  

 

Schumpeters intensivste Schaffensjahre waren die der Großen Depression. Sein Werk war somit von zweierlei geprägt: dem Staunen und der Faszination über Reichtum, Innovation und Wohlstand, die der Kapitalismus schafft – und die stetige Möglichkeit der ökonomischen Katastrophe. Die Themen, die Schumpeter befassten, sind sehr aktuelle Themen. Thomas K. McCraw hat ein packendes Buch darüber geschrieben.

 

Thomas K. McCraw: Joseph A. Schumpeter. Eine Biographie. Murmann, Hamburg, 2008. 784 Seiten, 33 Euro.

 

2 Gedanken zu „Prophet der Innovation“

  1. „Joseph A. Schumpeter war ein großer Ökonom“ – die Beschreibung hier zum Buch hinterlässt jedoch nicht den Eindruck.
    Daher meine Frage: taugt das Werk Schumpeters zu irgendetwas, hat es heute noch einen irgendwie praktischen Nutzen? Ich meine nicht so als Philophiervorlage sondern dazu, reale Vorgänge in der Wirtschaft zu verstehen und auch vorherzusagen.
    Im Zuge der aktuellen Krise frage ich mich, nachdem ich mit einem Ökonomen geredet, einige im Fernsehen gesehen habe, ob das, womit sie sich beschäftigen nur eine Projektion idealisierter Vorstellungen auf die Wirklichkeit sind, oder ob sie die ökonomische Realität wirklich analysieren und dann auch zu brauchbaren Ergebnissen kommen – wie z.B. Physiker 😉
    Sorry für meine Ignoranz, aber mein Hintergrund ist halt ein komplett anderer und die letzten Monate betrachte ich mit totaler Verwunderung.
    Gruß
    Thomas Worm
    P.S.: Es ist mir immer eine große Freude einen Beitrag von Ihnen in der taz zu lesen.

  2. Schumpeter ist immer noch akteull wie eh und jeh. Er beschreibt in seinem Werk, dass sich der Kapitalismus durch seine eigene Stärke in den Untergang manövriert, und gerade die Ereignisse der letzten Monate belegen den erstaunlichen Weitblick Schumpeters.
    Er sieht die Ursache für die Entwicklung darin, dass der klassische Unternehmer mit all seinen Eigenschaften verloren geht.
    Also, wenn man gegensteuern will, muss man den von ihm beschriebenen Unternehmer fördern, und seine konservativen Werte idealisieren.
    Aber hier stellt sich eine interessante Frage: „Wollen wir den Untergang des Kapitalismus wirklich verhindern?“ Ist nicht ohnedies schon Zeit für etwas neues? Den Feudalismus hat es auch nicht ewig gegeben, und der Kapitalismus zeigt schon starke Abnutzungserscheinungen.
    Hannes Gruber hat eine packende Diplomarbeit über J.A. Schumpeter geschrieben. http://www.usw.at/home/more/19990815_diplomarbeit/udk.pdf
    Sie hat keine 800 Seiten, und liest sich recht locker. ;-).

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