Warenkritik, ein Trauerspiel

Scheitern auf hohem Niveau: Wolfgang Fritz Haug hat seine „Kritik der Warenästhetik“ aus dem Jahr 1971 weitergeschrieben. Berliner Zeitung, 5. August 2009


Dass einer ein Buch nach beinahe vierzig Jahren praktisch neu oder weiter schreibt, ist schon kein alltäglicher Vorgang. Wenn es sich dann um ein Buch handelt, das seinerzeit so richtig eingeschlagen hat, dann ist das natürlich extra interessant. Dann wird ein solches Buch zur Versuchsanordnung. Man kann sich dann ansehen, wie die Schichten zueinander stehen, die sich da übereinander abgelagert haben, oder: was die Zeit mit einem Thema macht, wenn sie über es hinweggeht. Ein solches Buch kann dann, jenseits dessen, was es direkt sagt, etwas über den Wandel der Epochen sagen.

1971 war Wolfgang Fritz Haugs Buch „Kritik der Warenästhetik“ erschienen. Seither hat es zehn Auflagen erlebt, in den siebziger Jahren war kein Soziologieseminar denkbar, in dem es nicht intensiv debattiert worden wäre. Dass es seinen fixen Platz auf jedem WG-Tisch hatte, versteht sich von selbst. Der Titel allein wurde fast zu einem Slogan, der, mit anderen, die Marke „Suhrkamp“ repräsentierte. „Kritik der Warenästhetik“, „Erkenntnis und Interesse“, „Strukturprobleme des kapitalistischen Staates“, so hießen damals die vielgelesenen, schnell zerfledderten Bücher. Oft hatte man die Zeilen noch im Ohr, wenn man schon vergessen hatte, wer welchen dieser Titel geschrieben hatte.

Haugs „Kritik der Warenästhetik“ war eine frühe Analyse der Schein-Ökonomie, in der Güter mit einem Image versehen werden, und man die Güter nicht unwesentlich deshalb kauft, weil man ihr Image erwerben will. Warenästhetik ist somit mehr als nur das Design der Verpackung, sie transformiert den Bilderfundus und die Art und Weise, wie die Menschen – jetzt Konsumenten genannt – sich selbst sehen. „So entlehnen die Waren ihre ästhetische Sprache beim Liebeswerben der Menschen. Dann kehrt das Verhältnis sich um, und die Menschen entlehnen ihren ästhetischen Ausdruck bei den Waren“, schrieb Haug damals. Und: Das Marketing unterwirft die Affekte der Menschen selbst einem Prozess des „umzüchtens“. Das schloss an die Werbekritik an, wie sie zuvor schon Leute wie Vance Packard („Die geheimen Verführer“) geäußert hatten und vermengte das mit dem strengen, negativistischen Sound der „Kritischen Theorie“. Für Ambiguitäten war da kein Platz.

Seither ist viel Zeit ins Land gegangen, die Unternehmen haben ihre Brandingstrategien verfeinert, die Postmoderne hat ihren Frieden mit den glitzernden Oberflächenwelten gemacht und auch gesellschaftskritische Autoren haben sich einen Sinn für Ambivalenzen antrainiert. Die Konsumkritik war aus der Mode gekommen: Weil man spürte, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Die Bürger zappeln nur im Netz, das die Werber spannen? Das ist doch zu schwarz, um wahr zu sein. Es werden ihnen nur Gefühle aufgeschwatzt, die ihren emotionalen Apparat kolonisieren? Das wurde den Pick’n’Mix-Strategien kritischer und ironischer Konsumenten schon lange nicht mehr gerecht.

In diese Debattenlage hinein schrieb Haug nun, beinahe vierzig Jahre später, sein Buch fort. „Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus“, hat er den zweiten Teil überschrieben. Und er macht schon auf den ersten Seiten alles klar: Zwar sei das eine oder andere im Urtext „falsch und undialektisch“, aber doch sei heute nichts wesentlich anders zu sehen: „Je mehr es sich ändert, desto mehr bleibt es dasselbe.“ Kapitalismus ist Kapitalismus, und man wisse ja, „dass es in Sachen Werbung nichts strategisch Neues gibt“. Allein das ist eine atemberaubende Behauptung, die einerseits beeindruckt, weil sie einen Radikalismus ausdrückt, der so sehr auf’s Ganze geht, dass Details nicht zu irritieren vermögen, andererseits aber sprachlos macht, und auch als verstocktes Desinteresse eines alten Mannes an der wirklichen Welt gedeutet werden kann.

Das soll nicht heißen, dass Haug zur Warenästhetik der Marken nichts zu sagen hätte. Marken sind „immaterielle Werte“, und im avancierten Konsumkapitalismus flottieren die Grenzen von Schein und Sein. Aus der ursprünglichen Verpackung von Gebrauchswerten wird „Gebrauchsästhetik“, somit der Schein einer Ware zu deren eigentlichen, scheinbaren Gebrauchswert. Den Gebrauchswert selbst wird natürlich auch die ästhetisierteste Ware nicht los, schließlich würde der coolste I-Pod keine Käufer finden, würden sich diese nicht von ihm versprechen, damit Musik hören zu können. Warenästhetik etabliert Rückkopplungsschleifen, sie infiziert die Medien, die wirken wiederum auf den Prozess der Totalkommerzialisierung zurück, und selbst Politiker machen sich zu Marken, die beim Publikum „ankommen“ wollen, was sie paradoxerweise zu Menschen „ohne Eigenschaften“ macht. Haug ist nicht der erste, der das beobachtet, und er beobachtet es nicht schlechter als andere vor ihm.

Aber Haug beobachtet auch die Beobachter, und das mit Missvergnügen. Die Konsumkritik sei von „Marktintellektuellen“ in Misskredit gebracht worden, so sein Verdikt, von begeisterten Mitmachern. Kritik sei in „zynische Affirmation“ umgeschlagen. Man wende, beklagt er, resigniert den Blick ab, oder schlimmer noch, man marschiere mit den stärkeren Bataillonen. Dass die Postmoderne zum Bänkelsänger der Warenwelt werden konnte, verschlägt ihm die Sprache: Wie, fragt er entsetzt, konnten „so viele kritisch beabsichtigte oder der Sache nach zur Kritik tendierende Aussagen affirmativ werden“?

Haugs Sache jedenfalls ist das nicht. Warenästhetik – und an nicht wenigen Stellen setzt er diese mit Amerikanisierung gleich – ruiniere alles. Die Kunst etwa: Andy Warhol widert ihn auch heute noch an und gegen ihn weiß er ins Treffen zu führen, dass dieser einst als „Auslagengestalter für Schuhmode“ begann, als wäre das ein Argument. Vollends abstoßend wird es, wenn Haug Bertolt Brecht bemüht, um die Krämermentalität der Amerikaner zu charakterisieren, die stets jedermann etwas verkaufen wollen, die die Marketingsprache auch in die Politik einführten, in der man jetzt auch Konzepte den Leuten „zu verkaufen“ habe. Jedes englische Lehnwort, das er benützt, wird mit Wendungen versehen von der Art: „wie man in der kolonisierten Sprache sagt“. Haug allein weiß, warum er glaubt, das notwendig zu haben.

Diese Passagen sind freilich vereinzelte Tiefpunkte. Nichts von dem, was Haug kritisiert, ist ganz falsch. Sogar der schneidige negativistische Jargon, der wie ein altmodischer Schellack-Sound aus den frühen Siebzigerjahren herüberweht, mutet heute so eigenartig an, dass er schon wieder etwas hat. Dass sich da einer verwehrt gegen alle Verlockungen des Mittuns, ist schon fast wieder bewundernswürdig, zumal, wenn man weiß, wie viele schon in die Falle der Affirmation gegangen sind. Allein der Versuch, einen längst klassisch gewordenen Text weiterzuschreiben, hat eine Art von Größe, der gegenüber eine Rezension beinahe etwas Unangemessenes hat. Aber so legitim die Haugsche Frage ist, wie Kritik in Affirmation umschlagen kann, so berechtigt ist die Gegenfrage: Wieso geht radikale Kritik so oft mit dem Verlust geistiger Regsamkeit einher?

 

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