Schade, dass der Wahlkampf schon wieder vorbei ist

Für den Wahlblog der Böll-Stiftung

 

Also, irgendwie ist das gemein. Da schleppt sich der Wahlkampf wochenlang dahin, und kaum wird er spannend, ist er schon wieder vorbei. Ist doch wahr: Plötzlich ist alles wieder irgendwie fluide. Steinmeier gewann an Statur, ja, eigentlich hat man ihn gerade erst richtig kennen gelernt, die SPD holt auf, Union und FDP rutschen von Umfrage zu Umfrage tiefer unter das Plansoll für die absolute Mandatsmehrheit und werden entsprechend nervös. Die Grünen führen ihren Wahlkampf irgendwie im Stillen, was ihnen aber die Aura des inhaltlich Ernsthaften verleiht, und die Linken haben es ohnehin leicht – es reden ohne ihr Zutun alle davon, dass das mit der Quarantäne im Bund bald vorbei sein wird. Also ich, ich hätte mir das gerne noch ein, zwei Wochen länger angesehen: Jetzt, wo etwas Wind aufkommt, würde ich zu gerne wissen, wo der uns noch hinwehen kann. Aber nein, Sonntag ist dann schon wieder Schluss. Irgendwie ungerecht.

 

 

In der „Zeit“ konnte man in der vergangenen Woche einen interessanten Artikel darüber lesen, wie man sich in der SPD schon für die Epoche nach dem 27. September in Stellung bringt. Die These lautet: der „rechte“ Flügel könnte vollkommen aufgerieben werden, wenn es zu einem Debakel kommt. Kann Steinmeier aber einen Achtungserfolg erzielen, also mindestens im Rahmen des bisher schlechtesten Nachkriegsergebnisses von 28,8 Prozent landen, dann sieht die Sache so aus: Müntefering geht, Steinmeier übernimmt die Partei, auch mit Zustimmung der Parteilinken, die weiß, mit einem Politiker in der Helmut-Schmidt-Gerhard-Schröder-Tradition lässt sich die Öffnung zu neuen Mehrheiten leichter orchestrieren als mit einem oder einer, die zu gutmenschlich daherkommt. Ich weiß nicht, ob es so kommen wird, aber das klang sehr plausibel.

 

Alles in allem war das ein sehr „realistischer“ Wahlkampf, mit der Einschränkung, dass man den Wählern unerfreuliche Nachrichten zu ersparen versuchte. Aber natürlich kann man statt „realistisch“ auch das Wort „kleinmütig“ einsetzen, und das klingt dann schon weniger freundlich. Überhaupt gibt es eine Aporie des „Realismus“. Der folgt ja dem beliebten Politikerspruch, man wolle nichts versprechen, was man nicht halten kann. Aber womöglich ist ja gerade das unser Problem. Was, wenn darin ein Gutteil des Verdrusses oder korrekter gesagt, des Desinteresses an der Politik-Politik begründet ist? Angenommen, einer oder eine würde in etwa sagen: ‚So und so sieht meine – zugegeben – unrealistische Vision einer guter Gesellschaft aus, meine Idee von dem Land, in dem ich im Jahr 2020 leben will. Die erreichen wir natürlich nur, wenn wir uns alle gemeinsam dafür anstrengen.‘ Ich bin mir nicht so sicher, ob man damit nicht die Bürger wachrütteln und für sich gewinnen könnte. Vielleicht wollen die Leute ja gar nicht eingelullt werden, vielleicht wollen sie die hemdsärmligen kleinen Versprechungen ja gar nicht, vielleicht würden sie das ja mögen, dass ihnen mal einer sagt, sie müssten sich anstrengen, aber dass das nichts macht, weil es würde sich ja lohnen.

 

Ist nur so eine Idee, die mir gerade beim Lesen von einem Dutzend Obama-Reden kam. In diesem Wahlkampf werden wir jedenfalls nicht mehr herausfinden, ob da was dran ist.

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