Sozialdemokratische Integrationspolitik – Ten Years After

Österreichs Sozialdemokratie will nun ein Konzept zur Integrationspolitik vorlegen – nach den Wahlniederlagen und dem Wiederaufstieg der FPÖ. Ich muss zugeben, das ist ein ulkiges deja-vu. Und ich habe dazu eine kleine Geschichte zu erzählen: Vor zehn Jahren, im Januar 2000, erhielt ich einen Anruf. Am anderen Ende der Leitung war ein aufgeregter Spitzenfunktionär der SPÖ, der mir berichtete, dass die ÖVP jetzt tatsächlich mit der FPÖ koalieren wolle. Der SPÖ-Bundeskanzler, Viktor Klima, wolle das aber nicht hinnehmen und im letzten Moment eine Minderheitsregierung bilden. Die wolle er über das Wochenende zusammenstellen, brauche aber dringend ein Regierungsprogramm. Ob ich nicht das Kapitel zur Integrationspolitik schreiben könne, wurde ich gefragt. Nun, warum soll man nicht einmal in Notzeiten etwas Sinnvolles tun, wenn sich damit eine ÖVP-FPÖ-Koalition verhindern ließe, dachte ich mir. Kurzum: Drei Tage später gab es keine SPÖ-Minderheitsregierung, sondern den Schüssel-Haider-Pakt. Es gab auch kein Regierungsprogramm für eine SPÖ-Minderheitsregierung. Sondern nur ein Kapitel davon: Meines. Ich habe es in den Tiefen meiner Datenbanken gefunden und stelle es hier online. Vielleicht kann Herr Darabos heute – zehn Jahre später – damit etwas anfangen. Beim Wiederlesen kam mir übrigens der Gedanke: Wäre damals was daraus geworden, wäre uns vielleicht manches erspart geblieben.

 

Integration Jetzt.

 

Eine Mehrheit der Österreicher steht der Zuwanderung und der Integration von Ausländern positiv gegenüber. Doch eine bedeutende Minderheit reagiert mit Abwehr auf eingewanderte Bürger in unserem Land. Das vergiftet das Klima und ist zudem dem Ziel der Integration nicht zuträglich. Die Probleme, die Zuwanderung angeblich nach sich zieht, werden zum Teil erst durch die Art geschaffen, wie oft über Zuwanderung geredet, diskutiert, geschrieben wird.  
 

Wir wollen eine Wende einleiten, einen neuen gesellschaftlichen Konsens über die Ausländerpolitik herstellen. Dafür ist zuallererst eine breite gesellschaftliche Debatte über die Licht- und Schattenseiten der Zuwanderung notwendig. Wir wollen eine solche Debatte führen. Das Ziel einer solchen Debatte muß es sein, Integration zu erleichtern. Integration ist keine Forderung, die wir an die Menschen zu richten haben, die mit uns zusammenleben. Wir selbst müssen uns erst zur Integration fähig erweisen. Wer das Gefühl hat, hier willkommen zu sein, wer mit Rechten ausgestattet ist, der wird sich auch leichter integrieren.  
 

Eine sozialdemokratische Bundesregierung wird das Amt eines/r „Beauftragten der Bundesregierung für Integration- und Ausländerfragen“ schaffen. Dies soll ein Signal sein, daß nicht Abschottung, Ausgrenzung, die Schaffung einer Zweiklassengesellschaft von Menschen mit und ohne österreichischen Paß Ziel sozialdemokratischer Politik ist, sondern Integration. Dieses Signal richtet sich an die Ausländer, aber auch an die Inländer. Der „Ausländerbeauftragte“ ist direkt dem Bundeskanzler unterstellt und hat die Integrationsbemühungen in allen Ressorts, in Bund, Ländern und Gemeinden zu koordinieren. Er dient auch als Anlaufstelle für Konfliktfälle, sofern diese nicht von entsprechenden „Ausländerbeauftragten“ in Ländern und Kommunen gelöst werden können. Wir wollen dieses Amt mit einer anerkannten Persönlichkeit besetzten – am besten mit einem Bürger dieses Landes, der selbst eingewandert ist.  
 

Wer bei uns lebt, soll auch mit Rechten ausgestattet sein. Es ist ein zentrales Anliegen der österreichischen Sozialdemokratie, dafür zu sorgen, daß Migranten am politischen Leben teilnehmen und für sich selbst sprechen können. Irrationalen Ängsten wird am besten begegnet, wenn es „konkreten“ Einwanderern möglich ist, ihre Anliegen selbst zu vertreten. In einer Welt, in der nicht nur Güter und Kapital, sondern auch Personen immer mobiler werden, ist es absolut nicht einzusehen, warum Menschen, die von einem Land in ein anderes übersiedeln, vom politischen Leben ausgeschlossen sein sollen. Wir wollen alte Zöpfe abschneiden und die österreichische Rechtslage zumindest der der meisten europäischen Länder angleichen.  
 

Wir wollen so bald wie möglich verwirklichen, daß alle Ausländer, die mit uns hier leben und die in Österreich arbeiten, studieren, ein Unternehmen gründen, in den Interessensvertretungen, in denen sie Mitglieder sind, sich auch selbst zur Wahl stellen können. Wer hier arbeitet, soll auch Betriebsrat werden können, wer hier studiert, soll auch Studentenvertreter werden können. Es sollen auch Ausländer aus Nicht-EU-Staaten das Recht erhalten, bei Kommunalwahlen ihre Stimme abzugeben. Wir wollen die Österreicherinnen und Österreicher davon überzeugen, daß das in ihrem ureigenen Interesse ist. Nur wer über die Gestaltung und die Werte eines Gemeinwesens mitentscheiden kann, wird sich leicht in dieses integrieren. Niemand soll aufgrund seiner Herkunft oder seiner Hautfarbe diskriminiert werden – von Behörden nicht, am Arbeits- und Wohnungsmarkt nicht, im Privatleben und in der Freizeit nicht. Wir wollen ein „Antidiskriminierungsgesetz“ durchsetzen.  
 

Wir wollen die Einbürgerung erleichtern, und – wenn nötig -, die Beibehaltung der alten Staatsbürgerschaft hinnehmen.  
 

Doch mit formalen, gleichen Rechten ist es nicht getan. Was oft wie Fremdheit aussieht, ist meistens Armut. Wenn man von Ausländern fordert, sich unserem Lebensstil anzupassen, darf man nicht vergessen, daß der in der Regel nicht billig ist. Im Durchschnitt verfügen die hier lebenden Ausländern kaum über mehr als die Hälfte des Wohlstandes, über die ein Inländer verfügt. Damit das Gros der hier lebenden Ausländer nicht zu einer Unterklasse neuer Armer wird, werden wir zusätzliche Maßnahmen zur Förderung von Einwanderern ergreifen.  
 

Wir wollen nicht nur zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um Einwanderer, die bereits die österreichische Staatsbürgerschaft haben (oder deren Kinder) in sensible öffentliche Bereiche – der Polizei, in den Schulen – zu beschäftigen, wir wollen die Chancen, über die unsere Gesellschaft verfügt, auch mit Nachdruck den Einwanderern anbieten. Vorbedingung dafür ist, unsinnige Diskriminierungen abzuschaffen. Wer in Österreich eine unbegrenzte Aufenthaltsbewilligung hat, der soll automatisch auch das Recht haben, hier zu arbeiten.  
 

Weil uns der innere Zusammenhalt einer solidarischen Gesellschaft wichtig ist, wollen wir die Schwächsten fördern, weil nur so ein innerer Zerfall des Gemeinwesens bekämpft werden kann. Dazu ist auch „Affirmative Action“ notwendig.  
 

In der Informations- und Wissengesellschaft ist vor allem Bildung wichtiger denn je. Defizite, etwa bei der Beherrschung der deutschen Sprache, die früher noch geringe Nachteile nach sich gezogen haben, können heute lebenslange Benachteiligungen zur Folge haben. Wir wollen Zuwanderern deshalb verstärkt billige Sprachkurse anbieten. Kinder von Zuwanderern sollen gefördert werden, damit sich nicht schon in frühen Jahren die Zukunftschancen einschränken. Förderkurse, auch in den Ferien, sollen nicht zuletzt im Sprachunterricht angeboten werden und für jene, die erkennbare Defizite haben, verpflichtend sein. Wir wollen uns dafür auch konkrete Ziele setzen. So wollen wir innerhalb einer Legislaturperiode den Anteil unter den Kindern von Zuwanderern, die Höhere Schulen besuchen um 10 Prozent von X auf Y steigern.
 

Offensive Sozialpolitik. Weil Einwanderer meist ökonomisch schlechter gestellt und zudem am Wohnungsmarkt diskriminiert sind, konzentriert sich die ausländische Wohnbevölkerung oft auf billige, heruntergekommene Quartiere. Das ist integrationspolitisch widersinnig. Da dies aber ein ökonomisches Problem ist, das sich über den Markt realisiert, ist es politisch nur bedingt zu steuern. Wir wollen aber unser mögliches tun. Wir wollen den kommunalen und den sozialen Wohnungsbau für Ausländer öffnen. Wir wollen in die Infrastruktur dieser Gegenden investieren – auch um es für Inländer attraktiv zu machen, in solchen Vierteln zu bleiben oder in sie zu ziehen. Und wir wollen sozialpolitische Maßnahmen ergreifen, die die Verfestigung prekärer Wohnverhältnisse verhindern. Letzteres ist aber eine sozialpolitische Aufgabe, die sich unabhängig davon stellt, ob jemand die österreichische Staatsbürgerschaft hat oder nicht.

 

Österreich zukunftsfähig machen. Eine solche offensive Integrationspolitik ist nötig, um aktuelle Spannungen abzubauen; aber auch, um künftigen Schaden von unserem Land abzuwenden. In einer globalen Wirtschaft, in der die Volkswirtschaften international um qualifizierte Fachkräfte konkurrieren, werden jene Gemeinwesen einen Standortvorteil haben, die sich als integrationsfähig erweisen. Diejenigen, die sich nicht heute schon auf Zuwanderungen vorbereiten, laufen dagegen Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten.

 

Auch gut ausgebildete Österreicherinnen und Österreicher werden dann unser Land verlassen, ohne daß diese Emigration durch Immigration qualifizierter ausländischer Facharbeiter ausgeglichen werden könnte. Das darf nicht sein. Schon heute gibt es in bestimmten Bereichen, nicht nur in der IT-Industrie, sondern etwa auch bei Ingeneuren in anderen technischen Branchen und nahezu in allen Bereichen der Kommunikationstechnik einen Arbeitskräftemangel. Dieser wird durch Anstrengungen in der Bildungspolitik nur bedingt auszugleichen sein. Denn der „Zeithorizont“ der Wirtschaft und der der Bildungsinstitutionen wird, selbst bei größter Anstrengung, immer auseinanderklaffen. Die Wirtschaft muß ihre Nachfrage nach Arbeitskräften meist in Monatsfrist stillen; das Bildungssystem kann auf Engpässe allenfalls binnen weniger Jahre reagieren. Sicherlich, es muß flexibler werden. Doch das wird selbst bei größter Anstrengung nicht reichen.

 

Österreich muß auf diese Herausforderung reagieren und in der Konkurrenz mit den entwickeltsten, fortgeschrittensten Ländern bestehen, wenn wir wirtschaftlich nicht zurückfallen wollen. Allein die USA ziehen pro Jahr 200.000 IT-Fachkräfte aus aller Welt an.

 

Es bedarf besonderer Anstrengungen, um in dieser Herausforderung zu bestehen, denn es gilt, „natürliche“ Nachteile auszugleichen. Fachkräfte werden eher in jenen Gesellschaften einwandern, in denen bereits lebendige Gemeinschaften ihrer Landsleute bestehen; und sie werden jene Länder bevorzugen, deren Sprache sie beherrschen – englischsprachige Gesellschaften haben hier immer einen Vorteil. Staaten, die durch xenophobe Strömungen weltweit im Gerede sind, werden hoch qualifizierte ausländische Arbeitskräfte eher abschrecken als anziehen. Aus all diesen Gründen muß, wer die Zukunft unseres Landes sichern will, heute schon dafür sorgen, daß unsere Gesellschaft Einwanderung als normal und wünschenswert zu akzeptieren lernt.

 

Zumal sich der Arbeitskräftemangel spätestens in den Jahren 2010 bis 2015 verschärfen wird. Die demographische Lücke kommt dann in allen hochentwickelten, westlichen Ländern voll zum Tragen und die Schere zwischen Aktivbevölkerung auf der einen, Rentnerinnen und Rentnern auf der anderen Seite wird sich weiter öffnen. Auch deshalb brauchen wir Zuwanderung, damit unser Gesellschaftsvertrag weiter auf einer sicheren Basis bleibt.

 

Eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung wird deshalb nicht nur mutige Schritte setzen, um die Integration zu fördern und zu erleichtern. Sie wird zum Wohle unseres Landes unsere Gesellschaft auf Neuzuwanderung vorbereiten, die mehreren Prinzipien gerecht werden muß:

 

         den Bedürfnissen einer dynamischen Wirtschaft nach qualifizierten Arbeitskräften und einer gesteuerten Zuwanderung.

 

         den humanitären Anforderungen und integrationspolitischen Notwendigkeiten, die sich aus dem Umstand ergeben, daß viele Zuwanderer zu unseren Landsleuten geworden sind und den Anspruch darauf haben, hier mit ihren Familien, ihren Kindern zu leben und eine sichere Zukunft zu haben.

 

         unseren humanitären Verpflichtungen gegenüber Asylsuchenden und Flüchtlingen.

 

         unseren Verpflichtungen, die sich aus einer künftigen harmonisierten europäischen Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungspolitik ergeben.

 

 

Darum wird eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung eine Kommission einsetzen, in der Bund, Länder, Gemeinden, Wirtschafts- und Arbeitnehmerverbände, Nichtregierungsorganisationen, Parteien und Interessensverbände, Kirchen und andere weltanschauliche Organisationen sowie Immigrantenorganisationen nach Möglichkeit einen Konsens über die zukünftige Zuwanderungspolitik herstellen sollen. Ziel dieser Konsensgespräche soll ausdrücklich die Erarbeitung eines modernen, zukunftsfähigen Einwanderungsgesetzes für unser Land sein.

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