„Ja, das geht“

Die SPÖ-Oberösterreich hat mich eingeladen, bei ihrem Parteitag am 28. November in Wels als Gastredner zu sprechen. Vorher hab ich im Internet rumgefragt, ob ich sie eher in Richtung Levitenlesen oder mehr in Richtung Hope&Change anlegen soll. Auf allgemeinen Wunsch hin hielt es sich die Waage. Anbei die Rede, die am Parteitag auf breite, teils erstaunlich lebhafte Zustimmung stieß.

 

Meine sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

 

Ich möchte mich eingangs bedanken, für diese sehr ehrenvolle und auch sehr überraschende Einladung, hier als Gastredner sprechen zu dürfen. Das kommt ja nicht so oft vor, dass eine Partei einen unabhängigen, kritischen Publizisten einlädt, vor ihrem Parteitag zu reden. Noch dazu einen, der sich nicht selten in seinen Kommentaren sehr kritisch, mit der Politik, dem Erscheinungsbild, der allgemeinen Performance der Sozialdemokratie auseinandersetzt, der sich da schon mal in aller Öffentlichkeit vor Verzweiflung die Haare rauft.

 

Und Sie sehen, so viele sind da gar nicht mehr übrig geblieben.

 

Danke Ihnen dafür! Also nicht für die Haare, sondern für die Möglichkeit hier zu sprechen.

 

Ich könnt jetzt sagen, dass ist ein gutes Zeichen und ein schlechtes Zeichen zugleich, dass Sie mich eingeladen haben. Das gute Zeichen: Sie haben erkannt, dass man vielleicht mal den kritischen Stimmen zuhören sollte. Das schlechte Zeichen ist: Es muss ihnen schon sehr schlecht gehen, wenn sie das tun.

 

Nun, das ist ja aber auch keine Neuigkeit. Bei den EU-Wahlen hat gerade mal einer von zehn Österreichern die SPÖ gewählt. Sie hier in Oberösterreich haben bei den Landtagswahlen 24,9 Prozent der Stimmen erhalten. Und von Ausnahmen abgesehen, bietet sich für die sozialdemokratischen Parteien in Europa generell ein ganz ähnliches Bild. Gerade hat es etwa die stolze, alte SPD in Deutschland erwischt. Es ist heute so, dass die Sozialdemokraten oft gerade mal die 20 Prozent-Marke überspringen.

 

Leute, da läuft offenbar was fundamental falsch. Aber wann immer es eine Wahlniederlage setzt – und zeitweise setzt es die im Wochentakt – ist dann von den sozialdemokratischen Spitzenpolitikern zu hören: Es ist uns offenbar nicht gelungen, unsere Erfolge ausreichend zu kommunizieren. Sozusagen: Wir machen eh alles richtig, wir kommunizieren es nur falsch.

 

Erlaubt mir hier ein paar bittere, ehrliche Wahrheiten, Klartext rules, und deshalb möchte ich fragen: Wir machen alles richtig, wir kommunizieren es nur falsch. Meint ihr das eigentlich ernst? Ich hoffe nicht. Ich bin mir eigentlich sogar sicher, dass ihr das nicht ernst meint, wenn ihr das sagt. Aber damit beginnt schon das Problem und, ja, man kann das natürlich ein Kommunikationsproblem nennen. Dass man Dinge sagt, die man eigentlich nicht meint. Dass man etwas behauptet, wider besseres Wissen. Das merken die Leute dann nämlich. Die denken sich dann: Die reden ja völlig sinnfreies Zeug! Vielleicht hat es Euch ja noch niemand gesagt, weil die Leute zu höflich sind, und sagen es nur hinter Eurem Rücken: Aber diese Phrasen, die halten die Leute einfach nicht mehr aus.

 

Ich weiß schon, was sich manche von Euch jetzt denken, vor allem jene, die relativ weit oben in der politischen Verantwortung stehen. Die denken sich nämlich:  Der hat leicht reden. Und ich weiß auch: Damit haben sie schon recht.

 

Politik ist ein mühsames Geschäft. Erstens, eine politische Organisation kann man nur sehr langsam bewegen. Tagespolitik ist oft Trockenbrot, bei der Gesetzgebung geht es um Details. Da braucht man Verhandlungsgeschick, da braucht man Kompetenzen, die einem dann in einen Wahlkampf wiederum sehr wenig nützen. Man sitzt den ganzen Tag in Gremien rum und lernt sich eine Sprache an, die die normalen Leute gar nicht verstehen. Viel Zeit vertut man, weil man aufpassen muss, dass einem einer nicht ein Bein stellt. Dann muss man wieder wieder komplizierte Sachverhalte in ein paar Slogans transformieren: dafür engagiert man sich dann PR-Agenturen oder Berater, die daraus irgendwelche Soundbites machen. Und das ist noch nicht das Ende vom Lied: Manche Probleme sind so groß, die greift man am besten gar nicht erst an: Klimawandel, die Welt gerechter machen oder auch nur Österreich gerechter machen. Schwierige Probleme. Kann man fast nur scheitern, wenn man die angeht. Die ignoriert man doch besser. Man kann sich ja auch mit Detailproblemen befassen, da kommt man dann vielleicht zu Lösungen, die man dann als Erfolge verkaufen kann. Und selbst da kommt man nur schwer zu Lösungen: Man muss sich, selbst wenn man regiert, mit Koalitionspartnern herumschlagen, mit Föderalismus und tausend anderen Dingen. Und in den Medien wird man zu allem Überdruss durch den Kakao gezogen. Also, man hat’s nicht leicht.

 

Ehrlich, ich tät nicht tauschen wollen mit einem Politiker in einer Politik, die so läuft.

 

Und, klar, nicht an allen Problemen, die die Sozialdemokratie hat, ist die Sozialdemokratie selber schuld. Nehmen wir nur die Frage des politischen Personals. Welcher moderne, brillante gute zwanzigjährige Bursch, welche moderne, brillante gute zwanzigjährige Frau will sich denn in einer Partei wie der SPÖ engagieren? Ja, ein paar gibt’s, aber die meisten, die gehen doch, wenn sie sich für etwas engagieren wollen, in irgendwelche NGOs. Da hat man schneller das Gefühl, dass man etwas bewegen kann, man muss da auch keine Kompromisse schließen und sich Kompromittieren, denken sich die. Und die Ochsentour, wo man sich erst als Sektionskassier zehn Jahre bewähren muss, bleibt einem auch erspart. Aber dass die Sozialdemokratie für solche Leute nicht attraktiv ist, dafür ist sie schon auch selbst verantwortlich.

 

Ich bin ja jetzt auch nicht mehr ganz jung und ich verfolge das schon auch seit vielen Jahren. Ich weiß, dass viele junge Leute von der SPÖ nichts wissen wollen. Aber ich weiß auch, dass es in jeder Generation schon ein paar wirklich gute junge Leute gibt, die sich in der SPÖ engagieren. Und was passiert mit denen? Die werden laufend frustriert. Vor allem, wenn sie frech sind und sich den Mund aufmachen trauen. Also, wenn sie genau so sind, wie man sie eigentlich bräuchte: Wenn sie mutig genug sind, auch bei Gegenwind ihre Überzeugungen durchzufechten. Und die, vor allem dann, wenn wirklich gut sind, die hauen dann irgendwann den Hut drauf. Weil sie natürlich auch noch andere Möglichkeiten haben, irgendetwas Sinnvolles in ihrem Leben zu machen.

 

Ich weiß schon. Das ist sehr böse formuliert. Es gibt die großen Ausnahmen, und ein paar von denen sind auch hier im Saal. Und ich stehe nicht an zu sagen: Gepriesen seien die Ausnahmen. Aber es sind eben nur Ausnahmen. Sie sollten aber nicht die Ausnahme sein, sie sollten die Regel sein. Die alte Tante SPÖ hat ein paar flotte Nichten und Neffen. Ich weiß das schon, ich krieg das mit, bei meinen Rundreisen durch kleine und größere Städte, ich komm ja rum, werde eigneladen, Reden zu halten oder aus meinen Büchern zu lesen und da begegne ich immer wieder ganz brillanten Sozialdemokraten um die dreißig, vierzig oder fünfundvierzig. Und wenn ich dann heim komm und das meinen Freunden erzähle, dann glauben die das gar nicht, weil sie sagen: Ja, warum schicken die denn nie die ins Fernsehen.

 

Und auch diese gepriesenen Ausnahmen: die müssen so lange Lebenszeit in irgendwelchen Sitzungen verbringen, sich bewähren, sich die Gremiensprache antrainieren, dass sie, wenn sie die Ochsentour durchlaufen haben, kaum mehr einen Satz sagen können, den ein normaler Mensch versteht, ganz zu schweigen von Sätzen, die andere wirklich überzeugen können, die sie packen und begeistern können. Die paar Talente, die’s gibt, die paar wenigen Talente, die sich nicht vertreiben lassen, werden auf diese Weise auch noch ins Parteisoldatische hingebogen.

 

Ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, aber mir scheint: Das ist heute die Normalität. Und es gibt viel zu viel von dieser Normalität heutzutage. Ich will Euch hier an einen Satz von Willy Brandt erinnern, der den natürlich in einer anderen Zeit sagte, aber er ist doch auch heute noch bedenkenswert: Große, überzeugende Politiker, sagte der „kommen fast immer aus dem Chaos, aus der richtigen Ordnung kommen sie selten, aus der Ochsentour nie.“

 

Ich hab ja nur zehn Minuten. Dabei könnte ich jetzt auch noch eine Stunde über politische Inhalte reden – über die hab ich ja noch nichts gesagt. Darüber, wie oft gerade führende Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen ihr Fähnchen in den Wind hängen, dass sie zu viel und zu oft eine unklare Wischiwaschi-Politik betreiben. Da hat man sich in den vergangenen zwanzig Jahren vom neoliberalen Zeitgeist ein bisschen fangen lassen, nur um dann regelmäßig zu beschwören, dass man doch auch für soziale Wärme ist. Ein bisschen modernisieren, aber nicht so viel. Ein bisschen, oder mehr als ein bisschen, auf den Boulevard schielen, sich von der FPÖ vor sich hertreiben lassen, so dass man gar nicht mehr weiß, wo eigentlich der Wertekompass der Sozialdemokraten ist. Ja, klar, bei wichtigen Gelegenheiten sagen dann sozialdemokratische Spitzenpolitiker gerne, dass sie gegen eine Politik der Verhetzung sind. „Nicht mit uns“. Aber wie soll man das denn eigentlich verstehen, in einem Land, in dem ganze Familien durch menschenverachtende Innenministeriumsbescheide zerrissen und buchstäblich zerstört werden, in dem kleine Kinder und Babys in Schubhaft sitzen, und das alles auf Basis von Gesetzen, die die Sozialdemokratie mit beschlossen hat.

 

Leute, das versteht niemand. Das verstehen die nicht, die solcher Hartherzigkeit applaudieren, und das verstehen die nicht, die diese Hartherzigkeit abstoßend finden. Und ihr sitzt in der Mitte. Und ich sag Euch jetzt mal was, aber Ihr wisst es ja eh: Zwischen den Stühlen, das ist eine verdammt unbequeme Sitzgelegenheit.

 

Und ich weiß schon: Viele der Probleme, die die Sozialdemokratie hat, die haben sich über Jahre aufgetürmt. Und wenn es mal so weit ist, ist es sehr schwer, da wieder raus zu kommen. Es ist sehr schwer, einer grauen Partei wieder Farbe zu geben. Und es gibt ja auch die menschliche Bequemlichkeit. Wenn man was schon ewig auf eine bestimmte Art gemacht hat, dann sagen viele reflexartig: Das mach ma immer schon so, das geht ja gar nicht anders.

 

Ihr könnt also so weiter machen. Ihr könnt so weiter machen mit einer Politik, die sich oft in Kleinigkeiten – und Kleinlichkeiten – erschöpft und die hofft, im Wahlkampf werden wir dann ein paar Sprüche klopfen und vielleicht fällt einem guten Werber ein zündender Slogan ein und dann haben wir vielleicht sogar zwei, drei Prozent mehr. Und unsere jungen Leute, die frustrieren wir weiter, so dass wir auch diese Generation, wie schon die zwei Generationen vorher, verlieren. Und bei der nächsten Wahl habt ihr mit Glück zwei Prozent mehr oder mit Pech fünf Prozent weniger.

 

Ihr könnt das so machen.

 

Aber ihr könnt auch sagen: Diesmal nicht. Ihr könnt sagen: Ja, wir haben verstanden. Ja, wir wollen wieder eine Kraft zur Verbesserung unseres Landes werden und dafür müssen wir uns erst einmal selbst verändern. Ich weiß, das ist nicht leicht. Aber vielleicht ist es gar nicht so schwer, wie man glaubt. Lehnt Euch einmal, nur für einen Augenblick, zurück, und überlegt: Es gibt da eine Partei, die hat tausende, zehntausende Mitglieder, alles, oder zumindest die überwältigenden Mehrzahl Leute, die das Herz am rechten Fleck haben. Schaut Euch einmal um. Gibt’s da nicht Leute, von denen ihr so spontan sagen würdet: Ja, der ist ein politisches Talent. Ja, die ist ein politisches Talent. Die sind vielleicht Mitte 20 oder Anfang 30. So wie es bisher lief, würde man zu denen dann in zehn Jahren auch noch sagen, sie sind ein politisches Talent und dann weitere zehn Jahre später, wenn sie dann bald 50 sind, sagt man: Aus der könnt noch mal was werden. Aber ihr könntet Euch sagen: Vielleicht geht es ja einmal ein bisserl schneller.

 

Und da draußen gibt es noch ein paar zehntausende, hunderttausende, die sich apathisch zurücklehnen oder sich sogar angewidert abwenden von der Politik, aber nicht deshalb, weil sie unpolitisch wären oder egoistisch, und sich nie für etwas anderes einsetzen würden als für ihre eigenen kleinen Interessen. Sondern weil sie sich die Haare raufen angesichts des politischen Zustands dieses Landes und der Performance der politischen Eliten. Und die man auch aktivieren, die man begeistern kann, wenn da mal einer kommt und sagt: Ich mach das Fenster auf und lass frische Luft herein. Der sagt: Hören wir auf mit der Taktiererei, der Trickserei und reden wir über Grundsätzliches. Versuchen wir nicht nur da und dort das Schlimmste zu verhindern, sondern setzten wir uns sogar ein, zwei, drei ehrgeizige Ziele. Weil, die Menschen begeistern sich für’s Verbessern eher als für’s Verhindern. Und es ist nicht so, dass sich die Leute nicht auch fordern ließen, im Gegenteil. Sie sind ja nicht verzweifelt über eine Politik, die sie zu viel herausfordert – sie rennen nicht deshalb den Rattenfängern nach oder bleiben daheim am Wahltag -, sondern sie sind verzweifelt über eine Politik, die sie gar nicht herausfordert. Und die Leute sind auch nicht dumm. Wenn man ihnen mit Slogans und Parolen kommt, sind sie skeptisch, und man kann ihnen auch sagen, dass manches wirklich kompliziert ist. Das verstehen die Leute schon, aber die Voraussetzung ist, dass man es in einer Sprache macht, die sie verstehen und dass sie das Gefühl haben: die meinen das ernst, was sie sagen. Vielleicht lassen sich die Leute ja auch zum Mittun bewegen. Nicht Millionen. Aber vielleicht 1000 oder 2000 oder 10.000. Aber die werden nur Mittun, wenn Sie das Gefühl haben, dass man auch sie ernst nimmt. Dann muss man auch zulassen, dass die Leute sich selbst einbringen. Dann darf man nicht ängstlich oder autoritär schauen, dass man alles kontrolliert. Dann muss man vielleicht auch eine Partei öffnen und neue Partizipationsmöglichkeiten entwickeln.

 

Mehr Demokratie wagen, hat mal Willy Brandt gesagt. Vielleicht sollte man sich heute überlegen, wie man die Demokratie zu einer Mitmach-Demokratie machen kann. Und dazu gehört nicht nur, aber auch, dass man Parteien zu Mitmach-Parteien macht, in denen die Leute das Gefühl haben, ja, da hab ich wirklich eine Stimme.

 

Und sagt nicht: Das geht nicht. Wie oft hab ich das schon gehört, dass etwas nicht geht. Vor eineinhalb Jahren hab ich noch gehört: das geht nicht, dass ein Schwarzer Präsident in den USA wird. Und dauernd hör ich, das geht nicht, dass wir unsere Demokratie lebendiger machen. Oder, das geht nicht, dass wir unser Land gerechter machen, dass wir allen hier die Chance geben, aus ihrem Leben etwas zu machen. Dass wir ein Land bauen, in dem kein Kind zurück bleibt. Dauernd sagt wer, dass was nicht geht.

 

Schaut doch mal zurück? Wer waren die Leute, die unser Land besser gemacht haben in der Vergangenheit? Waren das die, die immer gleich gesagt haben, das geht nicht? Oder waren das die, die gesagt haben: Klar geht das! Und die man in ihrer Zeit für Spinner gehalten hat.

 

Aber ich will gar nicht in die Vergangenheit schauen. Jede Generation muss in ihrem Moment sagen und jeder an seinem eigenen Platz: Klar geht das! Und das ist jetzt Euer Moment.

 

Sagt nie: Das geht nicht. Sagt öfter: Ja, das geht.

 

Danke schön!

6 Gedanken zu „„Ja, das geht““

  1. dieser vortrag ist weit hinaus über die parteigrenzen der spö gültig! finde das wieder mal typische misik-qualität, hoffentlich wird diese brilliante analyse auch aufgenommen – es wäre wichtig! danke dir.

  2. Sie haben sich mit dieser Rede wirklich selbst übertroffen, Herr Misik! Bin begeistert und stimme Ihnen vollinhaltlich zu!
    Und das sage ich als junges SPÖ-Bezirksparteivorstandsmitglied, welches aus schierem Frust nicht einmal Parteimitglied ist.

  3. perlen vor die säue. eine wirklich freundliche und doch deutliche botschaft, die am nächsten tag schon von den appartschiks vergessen ist.

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