Gegen die Ego-Gesellschaft!

Die österreichische Volkshilfe hat mich gebeten, bei ihrem Aktionstag gegen Armut am 24. November am Wiener Viktor Adler Markt zu sprechen. Und das hab ich dort gesagt:

 

Wenn man sich in den besseren Wohnquartieren mit den Leuten unterhält, oder wenn man die Zeitungen aufschlägt, dann gibt es im wesentlichen zwei Reaktionen darauf, wenn die Rede auf Armut kommt.

 

Die Erste geht in etwa so: Schrecklich, dass es manchen Leuten so schlecht geht. Ein bisschen klingt dann oft schlechtes Gewissen an, und ein bisschen auch so eine Ratlosigkeit: Schlimm, aber eigentlich ist das doch nicht zu ändern.

 

Aber dann gibt es auch noch eine zweite Reaktion, und die geht so: So richtige Armut gibt’s bei uns doch nicht, denn wer bei uns arm ist, der ist ja nur relativ arm, also arm verglichen mit den Wohlhabenden. Also außer den paar wenigen ganz ganz Armen haben bei uns doch auch die meisten Armen Wohnungen mit Fließwasser, aus der Steckdose kommt der Strom und einen Fernseher haben sie auch. Also, die Armen sind ja reicher heutzutage als im Mittelalter die Könige. Weil die haben noch kein Fließwasser gehabt und auch keinen Fernseher.

 

Ja, so kann man die Dinge von sich wegdrängen und schönreden. Man kann sich viele solcher Geschichten erzählen, damit man nicht genauer hinschauen muss. Und ich will jetzt gar nicht von den bitter Armen reden, die es natürlich bei uns auch gibt. Wieviele gibt es, deren Armut gar nicht so auffällt. Die all die oben genannten Bequemlichkeiten noch haben, aber deren Leben jedes Monat auf des Messers Schneide steht. Leute, die keinen Job haben oder die einen Job haben, der ihnen aber gerade einmal sechshundert, siebenhundert, achthundert Euro bringt. Die alleinerziehenden Mütter, die morgens ins Büro hetzen und um vier in den Hort, tapfere Leute, für die es dann auch eine Katastrophe ist, wenn der Kühlschrank kaputt geht weil die 100 Euro, die der dann kostet, das sind die hundert Euro, die sie sich gerade nicht mehr leisten können.

 

Leistungsträger, die sich nichts leisten, damit ihr Kind vielleicht doch in Klavierunterricht gehen kann, und die sich aber jeden Tag neu entscheiden müssen: Kriegt das Kind den Klavierunterricht oder doch neue Schuhe. Weil beides, das geht sich nicht aus.

 

Und wenn diese tapferen Leute, die halt nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind, die Zeitung aufschlagen, dann lesen sie so Parolen: dass sich Leistung wieder lohnen muss. Dann hören sie, etwa aus dem Mund des Finanzministers, dass die Leute sich nicht in der sozialen Hängematte ausruhen dürfen. Und damit meint er nicht seinen Parteifreund und Vorvorgänger Grasser, der sehr freihändig seine Freunderln mit Beträgen bedacht hat, die unsere alleinerziehende Mutter in ihrem ganzen Leben nie sehen wird, sondern dann meint er genau die Leute, die es ohnehin schon schwer haben. Und wenn man dann einwendet, dass vielleicht auch die, denen es gut geht, mit ihren starken Schultern was tragen sollen, dann gibt es einen Aufschrei! Eine „Neiddebatte“ ist das.

 

Also ich weiß ja nicht, wie Sie das sehen: Aber ich seh eine andere Neiddebatte. Dass diejenigen, die oft nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Geld, den Schwächeren nicht einmal mehr die Krümel und Brosamen gönnen. Die tönen dann vollmundig, man müsse denen die letzten Hilfen kürzen, um sie zu motivieren.

 

Und ist ihnen schon aufgefallen, dass es für diese Leute offenbar zwei unterschiedliche Menschenschläge gibt? Nehmen wir die Gehälter der Spitzenverdiener, der Manager, der Banker oder von wem auch immer, Gehälter, die in den letzten Jahren stetig um 10, 20 Prozent gewachsen sind. Wie hat man das denn argumentiert? Na, in den Fällen sagt man, man muss denen Spitzengehälter zahlen, weil man sie ja zu Spitzenleistungen motivieren will. Bei den Niedrigverdienern und den Empfängern staatlicher Hilfen argumentiert man aber genau andersrum: denen muss man, so wird empfohlen, die Einkommen kürzen, um sie zu motivieren. Die einen kann man offenbar nur motivieren, wenn man Geld auf sie regnen lässt, die anderen nur, indem man ihnen noch die letzten Cents wegkürzt.

 

Das ist die wirkliche Neiddebatte! Lassen Sie sich von niemandem das Gegenteil einreden.

 

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich unsere Gesellschaft in eine Ego-Gesellschaft und Ellbogengesellschaft verwandelt und es sind Kommentare und Parolen wie die, die ich gerade geschildert habe, die dazu beigetragen haben. Und man hat noch etwas gesagt: Man hat gesagt, der Egoismus und die Ichsucht, die Konkurrenz aller gegen alle und der tägliche Überlebenskampf würden die Welt besser machen. Weil die Menschen eben konkurrenzlerisch sind, werden sie sich mehr anstrengen, wenn jeder selber sehen muss, wo er bleibt und wenn sich alle mehr anstrengen wegen dieses Kampfes aller gegen Alle dann wird unsere Gesellschaft reicher, wohlhabender, prosperierender. Und das würde dann am Ende für alle nützlich sein.

 

Das ist aber nicht wahr. Diese Härte, die sich nach und nach eingeschlichen hat, hat nur manchen geholfen. Und immer mehr Leuten geht es nicht besser, sondern schlechter. Ganz viele Leute haben nicht nur weniger Chancen im Leben, ganz viele sind sogar in regelrechter Chancenlosigkeit. Ich bin mir sicher, hier sind viele Leute, die wissen, wovon ich rede.

 

Aber ich hab auch eine gute Nachricht für sie: Es gibt sehr viele Leute, die meinen – oder auch nur spüren – dass das alles nicht stimmt. Dass da Schluss sein muss mit dieser Ich-Ideologie. Und es sind nicht nur die, denen es selbst schlecht geht. Sondern auch sehr sehr viele, denen es eigentlich gut geht, aber die in einer solchen Welt nicht leben wollen, in der man nur mit den Schultern zuckt, wenn Mitbürger auf der Strecke bleiben und sagt: die haben halt Pech gehabt. Die sagen: Das stimmt doch gar nicht, dass Menschen nur ihren Vorteil suchen und dass sie der Nachteil ihrer Mitmenschen nichts angeht.

 

Ja, klar: Menschen konkurrieren manchmal gegeneinander. Und das ist oft auch nicht schlecht. Der Hermann Maier wer sicher langsamer den Berg runter gefahren, hätte er nicht ein Konkurrenzgefühl gehabt, und viele Leute leisten tolles, weil sie sich im Wettbewerb mit ihren Kollegen fühlen.

Aber die Konkurrenz ist nicht alles im Leben. Wir Menschen sind auch mit anderen Menschen verbunden. Wissen Sie, es gibt da so ein schönes Wort, das in den letzten Jahren etwas vergessen worden ist: Das Wort vom „Gemeinwesen“. Das heißt, ich leb nicht alleine, sondern in einer Gesellschaft mit anderen Menschen und wenn ich nur auf mein Fortkommen bedacht bin, dann schadet mir das am Ende vielleicht auch noch selbst, weil ein Gemeinwesen ist dann reicher, es funktioniert besser, ich kann in ihm bequemer und sicherer Leben, wenn jeder in diesem Gemeinwesen eine faire Chance auf ein Leben in Wohlstand hat, wenn jeder eine Chance hat, aus seinem Leben etwas zu machen.

 

Und deswegen weiß ich auch: Es geht mich etwas an, wenn es meinem Mitbürger schlecht geht. Wenn irgendwo in einer unterprivilegierten Wohngegend ein Mädchen lebt, das kaum lesen und schreiben kann, dessen Eltern nicht wissen, wie sie ihr Kind ernähren sollen, dann geht mich das etwas an, auch wenn das nicht meine Tochter oder meine Nichte ist. Wenn dort irgendein alter Mann lebt, der sich entscheiden muss, ob er sich jetzt noch die Rezeptgebühr für seine Medikament leisten soll oder sich besser was zum Essen kauft, weil beides ist nicht drin, dann macht das auch mein Leben ärmer, auch wenn das nicht mein Opa ist.

 

Und ich weiß: So wie ich, so empfinden das sehr, sehr viele Menschen.

 

Und es gibt sehr, sehr viele Menschen – wenn auch nie genug – die sich auch dafür einsetzen und engagieren, unser Gemeinwesen ein Stück besser, ein Stück gerechter zu machen. Die nicht nur große Sprüche klopfen wie der Strache und seinesgleichen. Die Männer und Frauen etwa, die sich in der Volkshilfe engagieren. Und deshalb hab ich natürlich sofort zugesagt, als man mich gebeten hat, hier zu reden. Das ist ja das Mindeste, was ich tun kann. Reden hilft ein bisserl, weil es Leute sensibilisieren, auch wachrütteln kann und ein bisserl was zurechtrücken – aber es ist nur ein Anfang. Und ich weiß auch, dass es viele Leute gibt, die sagen: Es läuft viel schief. Aber die es halt dann bei dieser Klage belassen, die halt schimpfen und sudern und keppeln. Aber das Schimpfen allein löst natürlich auch kein Problem und macht die Welt auch nicht besser. Und es hat halt auch keinen Sinn, immer nur den anderen die Schuld zu geben, dass sich nichts ändert, den Politikern, dem Bundeskanzler, was weiß ich wem. Man muss sich auch selbst einen Ruck geben. Schauen Sie sich um, fragen Sie sich gelegentlich: Was kann ich tun, damit die Dinge ein kleines Stück besser laufen. Und dann tun Sie es, bitte.  

2 Gedanken zu „Gegen die Ego-Gesellschaft!“

  1. Danke für diesen Text – den unterschreibe ich sofort. Ich hoffe (noch immer), dass sich unsere Gesellschaft zum Besseren ändert. Manchmal fällt dieses Hoffen jedoch schwer.

  2. „Ich habe soeben bei Twitter geschrieben, dass mir der Inhalt Ihrer Rede in OÖ und der Video-Kommentar „Ausländerproblem“ (trotz des eher traurigen Inhalts) sehr gut gefallen haben. Eine Rede wie Ihre – gerade am Victor Adler-Markt -, die an die Möglichkeit des Gemeinsamen erinnert, tut besonders gut. Danke! Fritz Endl :-)“

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