Keynes rockt

Bücher zur Krise. Robert Skidelsky feiert die „Rückkehr des Meisters“ John Maynard Keynes. Und in einem kleinen Buch aus John Kenneth Galbraiths Nachlass wird die ewige Wiederkehr des „finanziellen Schwachsinns“ analysiert. taz & Falter, Buchmessenbeilagen, März 2010

 

 

 

Als John Maynard Keynes, der größte Ökonom des 20. Jahrhunderts, 1946 starb, erhielt seine Ehefrau, die russische Ex-Primaballerina Lydia Popokowa, folgendes Kondolenzschreiben: „Er war der eine große Mann, den ich jemals kennen gelernt habe, und für den ich schrankenlose Bewunderung empfand…“ Der Autor dieser pathetischen Zeilen war, man glaubt es nicht: Friedrich August von Hayek, der Hohepriester der Marktideologie. Der wusste wahre Größe zu schätzen, auch wenn er mit Keynes stets über Kreuz war – denn kaum jemand hatte so sehr wie Keynes die Vorstellung zerzaust, dass freie, ungeregelte Märkte die allgemeine Wohlfahrt beförderten. Niemand hat zwingender nachgewiesen, dass man es nicht dem Markt überlassen dürfe, für eine florierende Wirtschaft zu sorgen.

 

Über Jahrzehnte war Keynes jetzt ein toter Hund, aber seit der Kernschmelze an den Finanzmärkten hat er seinen großen Moment. „Die Rückkehr des Meisters“, feiert der große britische Wirtschaftspublizist Lord Robert Skidelsky in seinem neuen Buch. Das handelt von Keynes, seiner Lehre, vor allem aber vom Stand der Wirtschaftswissenschaften nach Keynes. Für die hat Skidelsky kein gutes Wort über, sieht er doch „die eigentliche Ursache der gegenwärtigen Krise im intellektuellen Versagen der Wirtschaftswissenschaften“. Die zeitgenössischen Ökonomen haben die Wissenschaft durch mathematische und statistische Modelle ersetzt, durch elendslange Ableitungen, die sich zwar elegant ausnehmen, aber leider nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Im Wesentlichen liegt denen die Idee zugrunde, dass Wirtschaftssubjekte rational handeln (rational im Sinne von materieller Rationalität) und dass Märkte immer effizient sind. Getragen ist diese Ideologie vom Glauben an die „Weisheit der Vielen“, dass also die vielen Millionen Urteile, die die Marktteilnehmer treffen, zu optimalen Entscheidungen führen. Mögen in diesen Ideen auch partielle Wahrheiten liegen, so wurden sie ideologisiert bis ins Absurde: dass, je deregulierter Märkte sind, umso effizientere Kapitalallokation möglich ist und damit umso mehr Wohlstand entsteht; dass, je geschwinder Kapital verschoben werden kann, Investitionen in zukunftsträchtigere Firmen fließen; dass, je raffiniertere Finanzinstrumente geschaffen werden, umso mehr stabile Prosperität geschaffen wird. Absurd ist das deshalb, weil diese Vorstellungen die Unsicherheit der Wirtschaft überhaupt nicht abbilden können und weil sie Herdentrieb, Paniken, positives Wirtschaftsklima oder Verzagtheit der Investoren nicht in den Griff bekommen, ganz zu schweigen von anderen „Emotionen“, die für die Wirtschaft wichtig sind – etwa, dass sich Beschäftigte fair behandelt wissen wollen, und sich umso weniger anstrengen, je ungerechter es zugeht, oder dass Firmen vielleicht erfolgreicher sind, je langfristiger sie sich mit ihren Geschäften befassen können.

 

Keynes ging von der prinzipiellen Instabilität der kapitalistischen Wirtschaft aus und unterstrich, dass staatliche Regulation deshalb besser funktioniert als Laissez-Faire. Die neoklassische Mathematik-Ökonomie ging dagegen davon aus, dass man alle Instabilität in Wahrscheinlichkeitsrechnung auflösen könnte. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise hat ihre wesentliche Ursache in dieser Wahnidee. Die Risikorechnungen der Finanzmarktakteure basierten auf der Überzeugung, dass man sich gegen alles versichern kann, so wie man ein Haus versichern kann. Bei Häusern ist das ja so: Auf Basis von historischen Daten weiß man, wie oft durchschnittlich ein Haus abbrennt. Deshalb kann man problemlos Feuerversicherungen anbieten: denn wenn ein Haus abbrennt, werden nicht zehn andere Nachbarn in Panik ihr eigenes Haus anzünden. Ganz etwas anderes ist es aber, wenn man das Ausfallsrisiko von Krediten berechnet. Geht ein Kreditnehmer bankrott, so reißt er vielleicht einen Geschäftspartner mit in den Keller, gehen viele bankrott, reißen sie ganz viele mit in den Keller. Schon deshalb kann man in der Wirtschaft nur bedingt mit mathematischen Regelmäßigkeiten arbeiten, weil ein Risiko, so es eintritt, nicht einfach, sondern kumulativ schlagend wird. Und mehr noch: Mit Regelmäßigkeiten zu arbeiten, die aus historischen Daten abgeleitetet werden, kann nicht funktionieren, wenn es Innovation gibt. Weil jedes neue Finanzinstrument dann die Grundlage, auf deren Basis die Daten „gestimmt“ haben, verändert. Skidelsky: „Keynes hätte gesagt, es sei absurd, sich auf Risikomodelle zu stützen, die auf Zahlen aus der Vergangenheit aufgebaut sind, wenn die Banker jede Woche komplexe neue Finanzprodukte hervorzaubern.“

 

Der Kollaps der Finanzmärkte hat Keynes wieder einmal recht gegeben. Denn der Zusammenbruch eines einzelnen, relativ unwichtigen Marktes – des US-Immobilienmarktes – führte zu einem Schneeballeffekt und Rückkopplungsschleifen an Wertvernichtungen, die zum Zusammenbruch aller Banken geführt hätten, wenn die Staaten sie nicht gerettet hätten.

 

Insofern ist Keynes natürlich ein Krisenökonom, dessen Prestige dann wächst, wenn es schlecht läuft. In den Monaten, die dem Kollaps der Lehman-Brothers folgten, waren plötzlich wieder alle Keynesianer. Selbst die größten Markt-Fanatiker haben eingesehen, dass nur mehr die Staaten eine Totalkatastrophe verhindern können. Und die Wirtschaftswissenschaftler mussten sich fragen lassen, „wie sie so falsch liegen konnten?“ (Paul Krugman).

 

Möglicherweise sind die Dinge so simpel: auch die Wirtschaftswissenschaft folgt Moden und verstärkt sie. Schön illustriert das das neue, erstmals in Deutsch erschienene Buch des legendären, 2006 verstorbenen amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers John Kenneth Galbraith. Wäre die Sache nicht so ernst, müsste man sagen: Sie liest sich vergnüglich, Galbraights „kurze Geschichte der Spekulation“. Vom großen holländischen Tulpen-Schwindel des 17. Jahrhunderts über die Investitionseuphorie des Südseehandels, von der Eisenbahnblase des 19. Jahrhunderts bis zu den großen Börsencrashs des 20. Jahrhunderts findet sich immer das gleiche Muster: Menschen lassen sich faszinieren von der Phantasie des schnellen Geldes. Wer auf Finanzmärkten großen Reichtum anhäuft, der wird schnell als geistige Kapazität angesehen. Denn wer so schnell zu Geld kommt, muss ja irgendwie intelligent sein. Wer dagegen vor den ungedeckten Luftnummern warnt, der wird als altmodisch abgetan, weil er eben die innovative Kraft der neuen Investitionsmöglichkeiten nicht versteht. Und doch, formuliert Galbraith, erweist sich immer wieder auf’s Neue: „Finanzgenies sind Genies bis zum Tag des Bankrotts“. Platzen die Blasen, dann setzt der große Katzenjammer ein, aber wenn die Erinnerung verblasst, dann gibt es wieder den „Rückfall in den finanziellen Schwachsinn“. Und dann werden „die Dummen wieder von ihrem Geld befreit“.

 

Natürlich sind Finanzinstitutionen wie Banken und Fonds nichts prinzipiell Schlechtes: es ist schon besser, die Bürger investieren ihr überschüssiges Geld, als dass sie es unter der Matratze horten. Die Kreditschöpfung durch Banken hat dazu geführt, dass Unternehmer Geld zur Verfügung haben, gute Ideen zu verwirklichen. Erst das machte den exponentiellen Anstieg des Wohlstands möglich, durch den die Welt in den vergangenen dreihundert Jahren gekennzeichnet ist. Aber je raffinierter die Produkte, je globaler die Geschäfte, je höher der „Leverage“, also das Spekulieren mit geliehenem Geld, umso größer ist die Anfälligkeit für einen brutalen Crash. In längerer Perspektive sorgen strenge Regulierungen für stabileres Wachstum.

 

Von Ende der vierziger Jahre bis in die siebziger Jahre waren die Finanzmärkte weitgehend reguliert, es herrschte ein System, das sich an Keynes Ratschlägen orientierte. In den USA war den Geschäftsbanken sogar vorgeschrieben, welche Maximalzinssatz auf Spareinlagen sie zahlen dürfen. Raffinierte Geschäfte mit Investmentfonds waren undenkbar. Banking war langweilig, ganz anders als das nervenzerfetzende Gezocke unserer Tage. Die Wachstumsraten lagen damals global bei durchschnittlich 4,8 Prozent. Seit den Deregulierungswellen ab den späten siebziger Jahren liegen sie bei 3,2 Prozent. Die Differenz ist noch sprechender, bedenkt man, dass in den jüngsten Jahrzehnten viele ehemalige Entwicklungsländer aufholen, was den Durchschnitt noch etwas nach oben treibt. Eine Differenz von 1,6 Prozent mag gering erscheinen. Doch wäre, rechnet Skidelsky vor, „die Weltwirtschaft von 1980 bis heute um 4,8 Prozent jährlich gewachsen anstatt um 3,2 Prozent, wäre ihr Volumen heute um 50 Prozent größer; mit der durchschnittlichen Wachstumrate von 1980 bis 2009 werden wir dieses Volumen erst im Jahr 2022 erreichen.“ Und dabei ist der „aktuelle wirtschaftliche Einbruch in dieser Rechnung noch gar nicht berücksichtigt“.

 

Manchmal, erinnert der weise John Kenneth Galbraith, haben Finanzcrash‘ auch eine positive Seite. Der von 1929 hatte eine „heilsame Wirkung“, weil er „im finanziellen Gedächtnis haften“ blieb. Die Bürger misstrauten einige Jahrzehnte Börsen und Anlageberatern und die Politik schuf eine Welt, die an Keynes‘ Vorschlägen modelliert war. Ob „2008″ auch einmal eine solche Signifikanz erhalten wird wie „1929″?

 

Nun, was die heilende Seite der Sache betrifft, wäre es zu hoffen.

 

Robert Skidelsky: Die Rückkehr des Meisters. Keynes für das 21. Jahrhundert. Kunstmann, 2010. 288 Seiten, 19,90.- Euro.

 

John Kenneth Galbraith: Eine kurze Geschichte der Spekulation. Eichborn, 2010. 123 Seiten, 14,95.- Euro.

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