„Nachrichten vom Ableben der SPÖ sind stark übertrieben“

Ex-SPÖ-Mandatar Josef Broukal hat ein Buch herausgeben mit dem leicht sarkastischen Titel: „Nachrichten vom Ableben der SPÖ sind stark übertrieben.“ Darin überlegen Atoren wie Barbara Blaha, Brigitte Ederer, Alfred Gusenbauer, Markus Marterbauer, Wolfgang Petritsch und Alexander Van der Bellen, wie tief das Loch ist, in dem die Sozialdemokratie steckt – und wie sie da wieder rauskommen könnte. Eine Leseempfehlung.


Heut‘ hab ich der verehrten Leserschaft ein Buch ans Herz zu legen, das vielleicht für manchen interessant ist. Josef Broukal, der ehemalige SPÖ-Nationalratsabgeordnete und noch ehemaligere ORF-Anchorman hat es herausgegeben. Titel: „Nachrichten vom Ableben der SPÖ sind stark übertrieben.“ Worum’s geht ist leicht erzählt. Um die Frage nämlich: Wie tief ist das Loch, in dem die Sozialdemokratie steckt? Und wie kommt sie da wieder raus? Der guten Ordnung halber sei hinzugefügt, dass ich selbst für das Buch einen kleinen Beitrag verfasst habe – und außerdem gemeinsam mit Broukal zwei Interviews beigesteuert habe. Eines mit Alfred Gusenbauer und eines mit Alexander van der Bellen.

 

„Das Problem der SPÖ ist, dass niemand (sie selbst eingeschlossen) mehr so genau zu wissen scheint, wofür sie überhaupt steht, was sie politisch will und für wen sie sich stark macht“, so der Befund von Barbara Blaha in ihrem Beitrag. „Der Sozialdemokratie in Österreich ist abhanden gekommen, was man als progressive politische Kraft braucht: Die Gabe, Menschen zu begeistern, sie zu inspirieren.“

 

Viele der Autoren, in der Mehrzahl der Sozialdemokratie durchaus gewogen, raufen sich die Haare angesichts der Performance der Partei. So auch Herausgeber Broukal in seinem Beitrag: „Leider brachte die SPÖ im Jahr 2009 selbst dort, wo sie eine nicht zu verlierende Argumentationsbasis hat, wenig öffentliche Debatte zusammen. Ich meine das Thema „Steuergerechtigkeit“. Ungleichmäßiger als in Österreich geht es bei den Steuern nirgends zu in Europa. Wer mit Muskelkraft Künetten gräbt, zahlt 36,5 Prozent Lohnsteuer. Wer seinen Notgroschen auf ein Sparbuch legt, zahlt 25 Prozent Steuer auf Zinsen auch unterhalb der Inflationsrate. Wer aber auf einer feudalen Jagdgesellschaft Herrn Tilo Berlin ein paar Hunderttausend Euro für ein nach Insider-Geschäften riechendes Investment überantwortet (es gilt die Unschuldsvermutung!), kassiert Zeitungsberichten zufolge nach einem Jahr 40 Prozent Gewinn ohne jede Steuer.“ Wo ist die Kampagne der SPÖ, fragt Broukal, die den Kampf gegen solche Ungleichheiten „energisch führt“?

 

Weitere Beiträge stammen aus der Feder von Harald Katzmair, Brigitte Ederer, Markus Marterbauer, Wolfgang Petritsch ua.

 

Hier als kleiner Teaser noch ein Ausschnitt aus dem Gespräch, das Broukal und ich mit Alfred Gusenbauer führten:

 

…nun, wir haben schon davon gesprochen, eine Sozialdemokratie kann bei Wahlen 25 Prozent erlangen, aber sie kann auch auf 41 Prozent kommen, wenn alles gut geht, wenn nicht gerade ein Bank verspielt wurde. Trotzdem ist es heute so, dass eine sozialdemokratische Partei wo immer in Europa, und mag sie noch so gut dastehen, für viele Menschengruppen nicht sonderlich attraktiv ist. Junge Leute, und damit meine ich relativ junge Leute, also zwischen 20 und 45 mittlerweile, kommen nur sehr selten auf die Idee, sich in der Sozialdemokratie zu engagieren. Das mag an der Parteistruktur liegen, an einem Apparat mit seinen Mechanismen und Dynamiken, auch dass der sich gerne abschottet nach außen, weil die, die nicht dazugehören, könnten ja womöglich stören. Es gibt auch dieses Element, dass man Dinge auf eine bestimmte Weise macht, einfach, weil man das immer schon so gemacht hat. Der Anteil der Jungwähler, die die Sozialdemokratie wählen, ist wohl nicht zuletzt deswegen, erschreckend niedrig. Bei den letzten Wahlen lag die SPÖ bei den Jungwählern an letzter Stelle.

 

Gusenbauer: Bei der letzten: Ja. Bei der vorletzten nicht. 

 

Aber wahrscheinlich auch nicht an erster Stelle.

 

Gusenbauer: Oh doch, 2006 haben die Mehrheit der Jungwähler SPÖ gewählt. Aber selbstverständlich ist es natürlich so, dass Parteien auch Machtapparate sind. Das wissen wir spätestens seit der Michel’schen Parteitheorie aus dem Jahr 1911, und solche Apparate haben die Tendenz zur Verbürokratisierung und zur Selbsterhaltung. Das Problem wird dann gravierend, wenn diese Parteien immer kleiner werden. Wenn die Mitgliederbasis schrumpft und die Partei mehr zu einer „Funktionärspartei“ wird. Denn wenn eine Partei 700.000 Mitglieder hat und eine selbstreflexive Kultur, dann werden viele Milieus und Haltungen in dieser Partei repräsentiert sein, wenn eine Partei aber nur mehr 200.000 Mitglieder hat, aber auch eine selbstreflexive Kultur, dann werden die Haltungen und Meinungen und der Habitus der Funktionäre bestimmend für diese Partei. Dieser Trend besteht, aber er ist, wie alles in der Politik, nicht unumkehrbar. Ob Du imstande bist, junge Leute zu begeistern und auch in der Partei voran kommen zu lassen, das ist manchmal eine Angelegenheit von nur ein paar Jahren.

 

Reicht es dafür aus, dass die jeweils wichtigsten Akteure das Problem erkennen und sich anders verhalten, oder braucht es da fundamentaleren Wandel, etwa, wie eine Partei funktioniert, wie sie strukturiert ist?

Gusenbauer: Im Wesentlichen geht es natürlich darum, dass eine Partei neben aller Ich- oder Selbstbezogenheit  in erster Linie verstehen muss, was geht in einer Gesellschaft vor sich, welche Fragen sind jetzt politisierbar und wo gibt es Menschen, die an solchen Politisierungslinien entlang aktiv werden, welche Widersprüche spüre ich auf in einer Gesellschaft. Also, eine gewisse Offenheit ist natürlich von ganz entscheidender Bedeutung, vor allem dann, wenn Parteien immer kleiner werden. Je kleiner die Parteien werden, umso größer muss die Offenheit und die Sensibilität sein gegenüber dem, was in einer Gesellschaft vor sich geht. Natürlich ist die Frage, ob ich an Menschen, die durch oder von neuen Fragen politisiert sind, herankomme, in entscheidendem Maße eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit. In diesem Zusammenhang ist es natürlich auch für eine Partei ganz entscheidend, die Bereitschaft erkennen zu lassen, dass sie sich durch das, was hier vor sich geht, und das, was hier artikuliert wird,  auch selbst verändern lässt.

 

Oft würde es womöglich schon ausreichen, wenn die Leute das Gefühl haben, man hört ihnen zu.

 

Gusenbauer: Zweifelsohne, wenngleich das nur das minimalistische Programm ist. Aber perspektivisch und langfristig muss man den Leuten schon auch verdeutlichen, dass man bereit ist, etwas aufzunehmen, und dass man, wenn man das tut, auch bereit sein muss, sich zu verändern. Dazu gehört natürlich eine entsprechende politische und auch intellektuelle Offenheit. Und das Dritte ist, und das ist sicher ein – wenn man so will – nie gelöstes oder ungelöstes Problem, welche Strukturen kann man in einer Partei schaffen, die solche Veränderungen und Veränderbarkeiten institutionalisieren? Man muss offen sagen, dass das in der Vergangenheit meist nur auf individueller Basis funktionierte, insofern, als einzelne Akteure von Bewegungen außerhalb der Sozialdemokratie in die Sozialdemokratie und ihre Strukturen hineingekommen sind und dort tätig und wirksam geworden sind. Den Blueprint, wie die organisatorische Formel für so etwas ausschauen sollte, hat meiner Meinung nach noch keine Partei gefunden, weil letztendlich am Ende des Tages Parteien halt trotzdem so funktionieren, wie sie funktionieren…

 

Gusenbauer ist zur Hälfte daran gescheitert – und zur anderen Hälfte an sich selbst.

 

Aber das, möchte man fast sagen, ist schon eine Geschichte aus vergleichsweise besseren Zeiten.

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