Kluge Reiche zahlen gerne

Stephan Schulmeister macht in seinem neuen Buch Vorschläge zur Budgetkonsolidierung und für einen „New Deal“ in Europa. Falter, 30. Juni 2010.

 

 

 

Er ist als wackerer Kämpfer gegen den ökonomischen Mainstream bekannt: Stephan Schulmeister, der Wirtschaftsforscher am WIFO. Seit Jahren warnt er, rechnet er vor, redet an: Dass das Kapital der Welt auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten immer stärker in die Finanzmärkte gelenkt wird, auf denen das Geld durch bloße Geldgeschäfte vermehrt zu werden versucht – während Investitionen in die „Realwirtschaft“ mehr und mehr unattraktiv werden. Das Resultat von all dem: Instabile Finanzmärkte, Bankenkrisen und chronisch schwaches Wachstum. Aber das ist keine automatische Naturnotwendigkeit, sondern Resultat von Regulierungen (bzw. Nichtregulierungen) im Interesse mächtiger Finanzmarktakteure. Dass die die Macht haben, ihre Regeln durchzusetzen, muss nicht sonderlich überraschen. Schließlich entfielen knapp vor der Krise 30 Prozent der amerikanischen Unternehmensprofite auf die Finanzindustrie.

 

All diese Punkte trägt Schulmeister auch in seinem neuen Buch vor: „Mitten in der Krise. Ein ‚New Deal‘ in Europa“, und wer an dieser Stelle dem Autor vorhalten würde wollen, er rede einer etwas pausbäckigen Dichotomie von „Finanzwirtschaft“ und „Realwirtschaft“ das Wort, dem darf man hier schon getrost entwarnen. Natürlich weiß auch Schulmeister, dass Finanz- und Realwirtschaft auf vielfältige Weise verbunden sind, und dass Industrie- und Dienstleistungsbranchen nicht prosperieren können, wenn ihnen nicht ein funktionstüchtiges Finanzsystem zur Seite steht. Aber es kommt eben auf die Gesamtarchitektur an: Stimmt die nicht mehr, dann dient das Finanzsystem nicht mehr der Prosperität, sondern es untergräbt sie. Das ist heute so sonnenklar, dass man es kaum mehr zu wiederholen braucht.

 

Schulmeister hält sich in seinem ökonomischen Essay auch nicht lange bei dem Selbstverständlichen auf. Ihm geht es um zweierlei: Wo stehen wir jetzt im Augenblick etwa? Und wo sollte es hingehen?

 

„Die schwierigste Phase der großen Krise liegt nicht hinter uns, sondern vor uns“, schreibt er. Nachdem die Staaten den Banken ihre Schulden teilweise abgenommen haben, haben wir jetzt eine doppelte Krise: Eine Banken- und eine Staatsschuldenkrise. Wobei die erhöhten Schuldenstände der Staaten nur in einem geringen Maße auf die Bankenrettungsprogramme zurückgehen. Ein weiterer Teil entfällt auf die Konjunkturprogramme, die überall aufgelegt werden mussten, ein weiterer auf die gestiegenen Sozialkosten infolge der Krise und ein weiterer auf massive Steuerausfälle aufgrund geringerer ökonomischer Aktivität.

 

Auch unter Keynesianern gibt es heute leise Haarrisse, was die Notwendigkeit fiskalischer Konsolidierung betrifft. Führende amerikanische Köpfe der Zunft wie Paul Krugman und Brad DeLong vertreten die Ansicht, dass die hohen Defizite kein Problem seien – würden die Regierungen jetzt zu sparen beginnen, wäre das in jedem Fall schlimmer. Sie sollten also hohe Defizite in Kauf nehmen. Unter europäischen Anhänger dieser ökonomischen Denkschule wird hingegen die Notwendigkeit der Budgetkonsolidierung häufiger betont. Es ist dies wohl weniger eine theoretische Kontroverse, sondern Ausdruck verschiedener Bedingungen. Die USA haben trotz hoher Defizite keine Schwierigkeiten ihre Schulden zu finanzieren, im Gegenteil, sie müssen historisch niedrige Zinssätze für ihre Staatsanleihen bezahlen. Wenn die schuldenfinanzierte Staatsaktivität nur ein bisschen Wachstum generiert, ist das gewissermaßen schon ein Geschäft. In Europa – ganz zu schweigen vom Rest der Welt – sieht die Sache schon anders aus: Regierungen, in die „die Märkte“ das Vertrauen verlieren, können schnell hohe Risikoprämien zu bezahlen haben – hohe Schulden, niedriges Wachstum und exorbitante Zinsen können Länder verdammt schnell in den Bankrott treiben. Wobei deregulierte Märkte die Staatsschulden erst recht gefährlich machen: Mit Credit Default Swaps kann man praktisch gegen Staatsanleihen (vor allem kleiner Länder) wetten und damit ihre Zinsen nach oben treiben.

 

Auch Schulmeister plädiert deshalb für Budgetkonsolidierung. Wenn die aber mit Streichorgien beim Staatshaushalt herbeigeführt wird, würde das die Wirtschaft nur weiter abwürgen; es müssen deshalb neue Einnahmen her, die möglichst die Konjunktur nicht dämpfen. „Dafür gibt es nur einen Weg“, schreibt er: Der Staat „muss den Einkommensstärksten, insbesondere den Besitzern großer Finanzvermögen, spürbare Konsolidierungsbeiträge abverlangen, und zwar nicht aus sozialen, sondern aus technisch-makroökonomischen Gründen.“

 

Letztendlich sei dies sogar im Interesse der Vermögenden: Wenn sie sich jetzt weigern, einen fairen Beitrag zur Konsolidierung zu leisten, dann werden sie später möglicherweise einen viel höheren Anteil ihrer Ersparnisse verlieren. Wenn nämlich einzelne Staaten wirklich pleite gehen, sind es schließlich die Anleihen, die sie halten, die nicht vollständig zurückgezahlt werden können.

 

Alles in allem, so Schulmeister, muss in den kommenden Jahren ein Wachstum der Staatsquote hingenommen werden. Der Staat verdränge keine privaten Investitionen. Weniger Staat würde einfach heißen: Weniger wirtschaftliche Aktivität. Mit allen fatalen Folgekosten, die das impliziert.

 

Es braucht für all das einen großen Plan, einen gesamteuropäischen New Deal, für den Schulmeister am Ende seines Buches eine Fülle von Vorschlägen unterbreitet. Etwa: Massive Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen, in Schienennetze; Anreize zur ökologischen Umrüstung der Autoindustrie; eine europäische Mindestsicherung; Forcierung der thermischen Gebäudesanierung; Förderung des gemeinnützigen Wohnbaus; Verbesserung der Schulen und Ausbau sozialer Dienstleistungen; Förderung von Arbeitsplätzen im Non-Profit-Bereich. Ausbau des Konsumentenschutzes durch transparente Preisdatenbanken im Internet. Alles zusammen soll sich nicht nur zu Investitionen summieren, die die Krise bekämpfen, sondern zu einer anderen ökonomischen Konfiguration – gewissermaßen zu einer Wirtschaft, die für die Menschen da ist (statt umgekehrt).

 

So kulminiert Schulmeisters Essay in einem leisen Utopismus, der an John Maynard Keynes‘ „Wirtschaftliche Aussichten unserer Enkelkinder“ erinnert. Schulmeister: „Angesichts der Tagsache, dass in den Industrieländern schon ein erheblicher Wohlstand geschaffen wurde, sollten sie gewissermaßen in den partiellen Ruhestand eintreten, also den Großteil des Produktionswachstums den weniger entwickelten Ländern überlassen und den Gewinn aus dem technischen Fortschritt in Form von mehr Lebensfreizeit als in höheren Realeinkommen lukrieren. Das setzt allerdings gleichzeitig eine Verringerung der Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Lebenschancen voraus. Denn in den vergangenen dreißig Jahren haben Armut und soziale Ausgrenzung massiv zugenommen, obwohl die Gesamteinkommen merklich stiegen.“

 

Stephan Schulmeister: Mitten in der großen Krise. Ein „New Deal“ für Europa. Picus Verlag, 2010, 140 Seiten, 8,90.- Euro.

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