Wie ticken Banker?

Da sieht man wieder einmal, wozu Soziologie nützlich sein kann: Ein Forscherteam fragte Banker über die Finanzkrise aus. Falter, 7. Juli 2010

„If you pay peanuts you get monkeys“, sagt ein in der globalen Oberklasse beliebtes Sprichwort. Frei übersetzt: Wenn Du niedrige Gehälter bezahlst, kriegst Du nur Idioten. Seit Bankenkrise und Boniskandalen wissen wir freilich: Wenn man sehr viel bezahlt, dann ist das nicht viel anders. Du kriegst auch Idioten – es wird nur teurer. Unverantwortliche Großverdiener, die nur mehr dem kurzfristigsten ökonomischen Erfolg nachjagten, haben das Weltfinanzsystem praktisch in den Absturz getrieben, indem sie immense Risiken, Schulden und faule Wertpapiere über die ganze Welt verteilten.

Aber wer sind „die“? Und was denken sie, wie ticken die? Ein deutsch-österreichisch-schweizerisches Soziologenkonsortium um die Berner Professorin Claudia Honegger, den in Wien unterrichtenden Professor Sighard Neckel und die Frankfurter Forscherin Chantal Magnin hat sich in die Etagen der Hochfinanz begeben und mit dutzenden Bankern ausführliche Gespräche geführt. Methodisch wählten sie das Instrument des „narrativen Interviews“, das Pierre Bourdieu entwickelt hat und dessen Zweck es ist, Menschen, die normalerweise nicht öffentlich zu Wort kommen, sprechen zu lassen, ihre Worte aber in den Rahmen reportierender Interpretation zu stellen. In „Das Elend der Welt“ hatte Bourdieu Zeitarbeiter, Deklassierte, Sozialhilfe-Empfänger das Wort erteilt. Insofern ist es nicht unparadox, dass Neckel, Honegger und Co. jetzt Boni-Empfängern das Wort geben. Die Banker sprechen anonym, ihre Namen und Funktionen und Arbeitgeber sind verfremdet, was freies Reden begünstigt.

Wobei „Banker“ natürlich ein Hilfsausdruck ist: Da gibt es die normalen Kundenbetreuer der Geschäftsbanken, die Hochleistungsmathematiker, die Wertpapiere strukturieren oder Risikomodelle durchrechnen, die Investmentbanker oder die Direktoren regionaler Sparkassen. Alle haben sie ihren eigenen Blick auf die Krise. Dass ihre Modellrechnungen so fatal versagten, kommentiert ein Risk Manager etwa mit den Worten: „Auf ein Modell hundert Prozent vertrauen? Na dann wärs kein Modell, dann wärs ja die Wirklichkeit“. Ein Bank-Geschäftsführer stößt ins gleiche Horn: „Da ist eine gigantische Zahlengläubigkeit, eine gigantische Formelgläubigkeit, eine gigantische Modellgläubigkeit. Ich hab manchmal den Eindruck, wir haben da so eine Art von Kirche, so eine Art Finanzreligion erfunden, in der alle gläubig sind, und keiner mehr was weiß.“ Die Modellrechner im Hintergrund beteuern, nur ihre Arbeit gemacht zu haben – die falschen Schlussfolgerungen haben andere gezogen. Die Bankmanager verweisen auf ihr eher konservatives Geschäftsmodell, das aber in den vergangenen Jahren sehr aus der Mode gekommen war, weil die Investmentbanker als Geldalchimisten, die aus Mist Gold und aus Gold mehr Gold machen konnten, die großen Heroen der Branche waren – in der Mehrheit testosteronvergiftete, konkurrenzlerische Männer, die auf alle anderen herabgeblickt haben. Eine Exkulptionsstrategie, die den Investmentbankern naturgemäß nicht offen steht. Die sagen dafür: Die Boni hätten „die Anreize falsch gesetzt“.

Es mag überraschen: Aber die meisten Banker denken und sprechen etwa so wie „normale“ Menschen auch: Dass in den vergangenen Jahren die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind, dass die Gier alles angerichtet habe, dass mächtige Finanzkonglomerate tun konnten, was sie wollten, etc. So formuliert eine Schweizer Investmentbankerin: „Viele sagen, es ist eine freie Marktwirtschaft, es soll von sich aus funktionieren. Aber es funktioniert einfach nicht. Sobald etwas zu groß wird, muss man jemanden haben, der ein bisschen schaut, nicht zu fest, der aber weiß, was läuft.“ Die Dinge entwickelten sich so, man kann sie erklären, aber es gibt nicht den einen Punkt, an dem irgendjemand „schuld“ gewesen ist, dass es so kam. Wie in einer griechischen Tragödie habe sich das alles entwickelt, meint ein Wiener Private Banker: „Am Anfang ist niemand schuld und am Ende sind alle tot.“

Die ausführlichen Interviews zeigen, wie sehr das Selbstbild der Banker in den vergangenen Jahren Brüche und Risse bekommen hat. Fast über Nacht wandelte sich ein Job mit Prestige zu einem Job, bei dem man als Paria durchs Leben geht. Nicht nur für einen der Befragten wurde „die Finanzkrise zur Krise seiner eigenen Bank und schließlich zu einer ‚halben Midlife-Crisis im Kopf'“. So formuliert einer: „Sagen wir es so, am liebsten möchte man wegrennen.“

Die Banker wissen so wenig und sind so wenig Herr über ihre Tätigkeit wie alle anderen Leute auch. So wie Finanzprodukte „strukturiert“ – also zerteilt, neu zusammengesetzt, aufgespalten und in kleinen Bündeln über die Welt verteilt wurden – so ist auch das Bankwesen „strukturiert“, so dass niemand den Gesamtüberblick hat oder sich gar verantwortlich fühlen kann. Nur deshalb können für die einen die Investmentbanker, für die anderen die Gier, für die Dritten wiederum die Finanzdienstleister, die Ratingagenturen, die Kunden, das Topmanagement, die amerikanische Geschäftskultur oder einfach „der Markt“ verantwortlich sein – letzterer eine Art von Naturgewalt, der wie ein Tsunami Verheerungen anrichtet, ohne dass jemand spezieller etwas dafür kann. Im Bankermilieu habe sich, schreiben die Autoren, eine Art „Verschiebebahnhof der Verantwortung“ etabliert – ein Sachverhalt, der ihrer Studie den schönen Titel gab: „Strukturierte Verwantwortungslosigkeit.“

Es kommt nüchtern und still daher und ist doch ein spektakuläres Buch geworden. Es zeigt die brüchigen Glaubenssysteme einer Branche, es zeichnet Porträts von Menschen, die als Rädchen einer Maschinerie funktionieren, wie die Maschine es von ihnen erwartet, die aber auch andere Prioritäten im Leben haben und moralische Vorstellungen, die sie mit ihrer beruflichen Tätigkeit nicht immer leicht in Einklang bringen können; Menschen, die sich manchmal etwas vormachen; Menschen, die an sich zweifeln; die selbst nicht wissen, wie es jetzt weiter geht. Normale Leute eben, die mehr sind als die Karikatur des „Gier-Bankers“. Wissenschaft of its best, weil sie hart an der Aktualität ist und doch mehr leistet, als der normale Essayismus oder Journalismus. Wenn man dieses Buch liest, dann weiß man wieder einmal, wozu Soziologie nützlich sein kann.

Claudia Honegger, Sighard Neckel, Chantal Magnin: Strukturierte Verantwortungslosigkeit. Berichte aus der Bankenwelt. Suhrkamp-Verlag, Berlin, 2010, 399 Seiten, 16,.- Euro. (D) 16,50.- Euro (A)

Ein Gedanke zu „Wie ticken Banker?“

  1. Schuld daran ist und bleibt aber das staatliche Fiat-Money System. Die Geldmenge wächst exponentiell und die Zentralbanken drucken fleißig nach. Nur freies Geld (=GOLD), für dass sich der Markt seit Jahrtausenden entschieden hat, die Politik aber abgeschafft hat um Kriege zu führen und Schulden leichter zu bedienen, kann das Problem lösen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.