Liberalismus für Mundtotschläger

Die Kampagne der ÖVP gegen vermögensbezogene Steuern nimmt
ja zunehmend groteske Formen an – kaum ein Tag, an dem nicht gegen
„Eigentumssteuern“ gewettert wird, die angeblich eine „klassische Besteuerung
des Mittelstandes“ darstellen würden – als wäre nicht gerade die Schräglage im
Steuersystem dafür verantwortlich, dass der Mittelstand praktisch keine Chance
mehr hat, Vermögen zu bilden, während sich das Vermögen der Reichsten stetig
exponential vermehrt. Die obersten 1 Prozent der besitzen in Österreich
mittlerweile 27 Prozent der Geldvermögen. Bei Immobilienvermögen ist die
Ungleichverteilung noch drastischer. Die Kollegen von Dummverteilen haben das
hier schön zusammengefasst.

All das ist bekannt. Bemerkenswerter ist, dass die ÖVP und
ihre befreundeten Organisationen wissenschaftliche Stimmen mundtot zu machen
versuchen, die ihnen nicht ins Konzept passen.


So ist der Autor einer Studie
der Österreichischen Nationalbank, der die Vermögensverteilung in
Österreich
untersucht hat, direkt ins Visier der Lobbyorganisationen gekommen.


„Eine neue Qualität erhält die IV-Kampagne allerdings durch
die persönliche Diffamierung eines OeNB-Mitarbeiters, der als zentraler
Autor
der OeNB-Untersuchungen zur Vermögenslage in Österreich fungiert
(übrigens
werden derartige Erhebungen derzeit von allen Zentralbanken in Europa
durchgeführt). Dem OeNB-Experten wird da schlichtweg die
Wissenschaftlichkeit
abgesprochen. Es dränge sich der Verdacht auf, dass der weithin
anerkannte
Autor und Vermögensexperte nicht ganz „ideologiefrei“ werke, so der
IV-ler,
seit jeher selbstverständlich über jeden Verdacht erhaben, einer
bestimmten
Ideologie verpflichtet zu sein und zu dienen .“

Bei
den Freunden vom Beigewum
– dem Kreis kritischer
Ökonomen und Ökonominnen – heißt es dazu:

„Zum
wiederholten Mal werden Forscher, die die
Ungleichverteilung von Vermögen in Österreich ansprechen, oder – Gott
bewahre!
– dafür sogar steuerliche Lösungen andenken, persönlich diffamiert und
als
„Ideologen“ bzw. politische Extremisten denunziert. So geschehen jüngst
in
einem Kommentar  von Clemens
Wallner, Mitarbeiter der Industriellenvereinigung, zu einer kreuzbraven
Nationalbank ​​Studie über Immobilienerbschaften. Das Thema ist
offensichtlich
heiß, und die Methoden der Auseinandersetzung deuten auf eine ungute
Mischung
von persönlichen Interessen und schwacher Argumentationslage hin. (…)
Wie
steht es aber um die fachliche Glaubwürdi­keit des Herrn Wallner, der
hier so
munter persönlich diffamiert? Mit Publikationen ist Wallner, von
vereinzelter Aufsatzschreibe
in einem Cartellverbands ​​Blatt abgesehen, bislang nicht auffällig
geworden,
schon gar nicht zum Thema Vermögen und Erbschaft. Wallners Expertise
dürfte
sich eher auf persönliche Erfahrung stützen: In einer News- ​​Story über
„Österreichs Jungmillionäre“ firmiert Wallner schlicht als ‚Sohn des
Casino-​​Austria​​Chefs‘.“

Seine
eigene akademische Laufbahn hat Weltökonom Wallner
bekanntlich mit einer Abschlussarbeit über „Wappen und Flaggen als
politische
Symbole“ gekrönt.

Das
Erschütternste ist allerdings, dass die Scharfmacher mit
ihrer Mundtotmach-Strategie Erfolg haben. Dem profil  (Nr.
30/2010) ist zu entnehmen, dass OeNB-Forscher Martin
Schürz „derzeit Sprechverbot hat“. Nach den grotesken Attacken der
Industriellenvereinigung wollte ihn Nationalbankgouverneur Ewald
Nowotny, so
lautet die elegante Formulierung, „aus der Schusslinie“ nehmen.

Das
ist aber nett von ihm. Eine Freundlichkeit, für die sie
in der Industriellenvereinigung bestimmt ein paar Champagnerflaschen
aufgemacht
haben. Wieder einer weniger, der sich mit Sachverstand öffentlich
äußert. Geht’s
eigentlich noch? Ewald Nowotny ist ja ein lieber und kluger Kerl, ein
bisserl
Kämpferqualitäten für das freie Wort und die unabhängige Expertise
würden aber
nicht schaden.

Witzig
– oder besser aberwitzig – ist, dass ausgerechnet die
Anhänger des „freien Marktes“, die ja so viel auf den Wettbewerb geben,
vom
freien Wettbewerb der Meinungen offenbar nicht viel halten. In der Welt
der
Wirtschaftsfreiheit, die ihnen vorschwebt, soll offenbar jeder die
Freiheit
haben, ihnen genehme Meinungen zu äußern. Aber diese Form von
Liberalismus ließ sich immer schon mit Säuberungswellen prima verbinden.
Die faktische Ausrottung des Keynesianismus an den Universitäten,
sobald sie mal von Wirtschaftliberalen dominiert waren. ist schließlich
legendär.

UPDATE: Gerade höre ich, dass ATTAC dazu eine Mailaktion gestartet hat. Der Link ist hier.

Ein Gedanke zu „Liberalismus für Mundtotschläger“

  1. Die Frage ist jedoch, wann endlich der kein nennenswertes Vermögen besitzende Großteil der Bevölkerung wach wird?
    Das System funktioniert ja nach folgender Parole: Lassen wir die armen dumm und konsumsüchtig bleiben und niemand wird unsere Paläste bekämpfen.
    Nicht gebildete Menschen, die sich nur durch Statussymbole wie „neueste“ Mobiltelefone, Fast Food oder bestimmte Markenkleidung charakterisieren, werden nicht aufbegehren, solange sie noch das bisschen Geld haben, sich so eine Form von Zugehörigkeit zur oberen Klasse vorzugaukeln. Diese Abstumpfung der Menschen durch TV und Konsum ist ja gezielt vom System vorbereitet und sie verhindert auch das Aufwachen der Menschen. Aus diesem Grund hat die ÖVP auch kein Interesse an einer gerechten Bildungsverteilung die nicht auf das intergenerative Erben von Status und Reichtum beruht.
    Die Zahlen zur Verteilung des Reichtums sind erschütternd, bewirken aber nichts solange die Mehrheit schläft und träumt.

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