„Die Grünen bieten ein positives Lebensgefühl“

tagesschau.de, das Nachrichtenportal der ARD, hat mit mir ein Interview über den Höhenflug der deutschen Grünen gemacht. Hier ein paar Auszüge. Das gesamte Interview gibts hier bei tagesschau.de. Das Gespräch führte Patrick Gensing

tagesschau.de: Der Höhenflug der Grünen hält Umfragen zufolge an. Wo sehen Sie die Gründe?

Robert Misik: Zum einen ist da die ziemlich jämmerliche Performance der Regierung. Das ist ein banaler, aber nicht unwesentlicher Grund. Der zweite geht tiefer: Es gibt einen Politikverdruss – auch in der bürgerlichen Mitte – gegenüber den etablierten Großparteien, den machtpolitischen Spielen, dem Taktieren. Eine Verärgerung darüber, dass Probleme nicht wirklich benannt werden, weil dies vielleicht einem Ministerpräsidenten nicht passen könnte. Es gibt eine Aversion gegen den Alltag der Politik. Das ist ein anderer Politikverdruss als der der Unterschicht, die dann vielleicht Populisten nachrennt.

tagesschau.de: Was machen die Grünen anders als die Großparteien?

Misik: Sie machen keine Klientelpolitik. Sie wirken wie eine rationale politische Kraft, die sagt, wenn sie etwas schlecht findet – und sich nicht verweigert, wenn sie meint, es gebe eine gute Lösung. Dieser Zugang zur Politik spricht viele Bürger an. Vor 15 Jahren hatte man noch gesagt, die Grünen sind ideologische Träumer, sie galten als eine Partei, die am linken Rand des etablierten politischen Spektrums war. Jetzt ist sie in die Mitte gerückt, so dass sie als die vernünftige politische Kraft zwischen den beiden großen Blöcken wahrgenommen wird. Damit sind die Grünen wählbar für frustrierte Anhänger der SPD sowie der Union.
  
tagesschau.de: Gibt es noch ein anderes Erfolgsrezept als nur das Personal?

Misik: Die Grünen bieten ein optimistisches Lebensgefühl. Sie sagen: Wir haben eine ökologische, eine ökonomische Krise – und diese können wir mit einem Konzept lösen: dem „Green New Deal“, der neue und grüne Jobs schafft – und somit beiden Krisen bekämpft. Dieses Konzept hat den grünen Negativismus früherer Zeiten vertrieben, der da hieß: Wir müssen verzichten, um die Welt zu retten. Heute ist dies durch einen Positivismus ersetzt. Nein, wir müssen nicht verzichten – und retten die Welt trotzdem, so die Idee. Wir bauen viel bessere Produkte – und schaffen dadurch auch noch Arbeitsplätze. Die Idee einer Win-Win-Situation, wir können konsumieren und alles wird besser.

tagesschau.de: Klingt toll. Ist es mehr als eine schöne Utopie?

Misik: So ganz kann das nicht stimmen, denn wegen der begrenzten Ressourcen wird es auch Verzicht geben müssen. Der „Green New Deal“ ist eine Idee, die niemandem weh tut. Andere Konzepte setzen auf Umverteilung – da gibt es immer Gewinner und Verlierer. Das „Green-New-Deal“-Konzept tut hingegen so, als gäbe es nur Gewinner. Aus Marketing-Sicht ein ganz wunderbares Konzept.
 
tagesschau.de: Und es kommt offenbar an. Laut Umfragen könnten die Grünen künftig bei Landtagswahlen stärkste politische Kraft werden oder zumindest die SPD hinter sich lassen. Eine Zeitenwende für die Partei?

Misik: Das sind Umfragen. Aber wenn die Grünen bei einer Landtagswahl tatsächlich die SPD überholen, und es eine grün-rote Koalition gibt – dann beginnt eine neue Zeitrechnung. Die Grünen haben in ihrer DNA eingeschrieben: Wir sind die kleinere Partei, wir sind das Korrektiv. Wenn man aber auf allen Politikfeldern die Linie vorgeben muss, wird das nicht so leicht. Da wird es noch Wachstumskrisen geben. Die Partei hätte zudem ein Problem mit den Personalressourcen. Alle Parteien haben mittlerweile Probleme, die Ämter mit qualifiziertem Personal zu besetzen. Das hat damit zu tun, dass ein Großteil der Bevölkerung sich nicht in Parteien engagiert und keine politischen Ämter annehmen will. Die Bürger sind zwar verdrossen, dass die Parteien so sind, wie sie sind – zum Teil sind sie aber auch selber schuld. Denn wenn sich nur wenige engagieren, ist das Reservoir der qualifizierten Leute natürlich endlich.

 

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