Warum Mitbestimmung auch wirtschaftlich nützlich ist

IG metall 2.gifSeit einigen Wochen betreibt die deutsche IG-Metall einen ambitionierten Blog für einen „Kurswechsel für Deutschland“. Über einige Monate hinweg will die Gewerkschaft hier grundlegend diskutieren, wie progressive Reformen heute aussehen müssten. Und sie will das nicht nur unter der „engen“ Perspektive reiner Interessensvertretung machen. Eher soll geklärt werden: Was braucht es eigentlich für ein „gutes Leben“? Welche Reformen sind dafür notwendig? Wie müsste eine progressive Wirtschaftspolitik zugeschnitten sein? Auf welchen Werten müsste sie basieren? Im ersten Monat soll die Debatte über Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmungsrechten in Betrieben kreisen. Ich werde mich einmal im Monat in die Debatte einschalten. Ach ja, um das deutlich zu sagen: Ich kann die ausführliche Lektüre auch all der anderen substantiellen Beiträge nur ausgesprochen empfehlen. Hier mein erster Beitrag

Lothar Wentzel hat in diesem Blog, ebenso wie Hartmut Meine und Uwe Stoffregen oder wie Klaus Dörre schon sehr viel Wichtiges zum Thema „Wirtschaftsdemokratie“ und insbesondere zum Thema fortschrittlicher Mitbestimmungsrechte in Betrieben gesagt.

So lässt sich beispielsweise unter Gerechtigkeitsaspekten für Wirtschaftsdemokratie plädieren: Etwa, dass sich autokratische Managemententscheidungen oft

„gegen die Interessen von Beschäftigten (richten), obwohl diese durch ihre Arbeit den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens erst möglich machen. Das will Wirtschaftsdemokratie ändern.“ (Lothar Wentzel)

Mit genauso viel Recht kann man natürlich aus demokratiepolitischen Gründen darauf beharren, dass Partizipationsrechte von Bürgern nicht vor den Betriebstoren halt machen dürfen. Menschen haben ein Bedürfnis nach

„Ausweitung individueller Freiheit“ (Klaus Dörre).

Zu einem „guten Leben“ gehört dazu, dass man Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen vermag, die einen betreffen. Hat man diesen Einfluss nicht, fühlt man sich ohnmächtig, man wird sich dann oft passiv in sich zurückziehen.

All diese Dinge sind richtig und leicht einsichtig. Ich möchte aber gerade deshalb hier eine weitere wichtige Frage ins Zentrum rücken: Sind Mitbestimmung, betriebliche Demokratie und Wirtschaftsdemokratie funktional oder dysfunktional für eine kapitalistische Marktwirtschaft? Oder einfacher gefragt: Ist Mitbestimmung wirtschaftlich nützlich oder schädlich?

Das ist ja keine Nebensache. Schließlich stünden die Argumente für mehr Mitbestimmung auf schwachen Beinen, wenn wir zwar deutlich zu machen verstünden, dass sie gerecht und irgendwie moralisch wünschenswert wäre, wenn aber gleichzeitig die Wirtschaft darunter leiden und Wachstum gebremst würde, wenn man Mitbestimmungsrechte ausbaut.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es gibt gute Gründe und viele Indizien dafür, dass mehr Mitbestimmung auch wirtschaftlich nützlich ist, und zwar durchaus innerhalb des Rahmens einer kapitalistischen Marktwirtschaft.

Nun ist es ja ein gewohntes Muster konservativer Argumentationsreihen, darauf zu insistieren, dass man moralisch fragwürdige Umstände akzeptieren müsse, weil sie ökonomisch vorteilhaft seien. Neoliberale und Neokonservative würden ja nicht unbedingt behaupten, dass etwa die wachsende materielle Ungleichheit, die krasse Einkommens- und Vermögensspreizung moralisch wünschenswert seien. Sie würden vielmehr in etwa so argumentieren: Ökonomische Ungleichheit hat, obwohl sie moralisch keineswegs wünschenswert ist, wirtschaftlichen Nutzen. Mehr ökonomische Gleichheit ist nur herzustellen sei, indem man in die Marktwirtschaft eingreift oder Marktergebnisse korrigiert. Und solche Eingriffe würden dazu führen, dass die Marktwirtschaft nicht mehr optimal funktioniert, das Wachstum wäre gebremst, die Reichtumsproduktion gehemmt und dann wären wir alle ärmer. Deshalb hätten auf lange Sicht sogar die Unterprivilegiert nichts von solchen Eingriffen, weil eine Volkswirtschaft dann als ganzes unproduktiver wäre. Daher müsse man, so würden die Neokonservativen und Neoliberalen argumentieren, die Ungleichheit in Kauf nehmen, auch wenn man sie moralisch verwerflich findet.

Aber das ist natürlich Unfug. Soziale Gerechtigkeit, die faire Beteiligung von möglichst vielen Bürgern am Wohlstand, ist kein langweiliges moralisches Gebot, das in einem Spannungsverhältnis zu den Geboten der Marktwirtschaft stünde. Gerechtigkeit ist wirtschaftlich nützlich. Und chronische Ungerechtigkeit schadet. Und zwar aus mehreren Gründen, die hier nur angedeutet werden können. Erstens: Wohlstand für alle stärkt die Kaufkraft und die Binnennachfrage, belebt die Wirtschaft und macht eine Volkswirtschaft unabhängiger von der Exportnachfrage. Das gilt auch in einer offenen, globalisierten Welt. Zweitens: Wenn alle Menschen in materiell sicheren Verhältnissen leben, können auch alle Menschen ihre Talente entwickeln. Mehr Menschen tragen dann zum Wohlstand bei. Menschen am Rande der Gesellschaft zu belassen, sodass ihre Möglichkeiten verkümmern, ist nicht nur ungerecht, es ist auch ineffizient. Drittens: Haben die Bürger das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht, werden sie sich weniger engagieren. Sehen junge Menschen aus unteren sozialen Schichten buchstäblich keine Chance, werden sie sich auch nicht anstrengen, etwas aus ihrem Leben zu machen – sie sind dann ja der Überzeugung, das habe ohnedies keinen Sinn. Alle Erfahrung zeigt, dass sich Menschen mehr anstrengen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie eine faire Chance haben und sich Mühe lohnt. Viertens: Unterprivilegiertheit vererbt sich. Wer in Armut geboren ist, hat geringere Startchancen. Oft haben schon sechsjährige Buben und Mädchen einen Rückstand, den sie ihr ganzes Leben nicht mehr aufholen. Sie sind geborene Verlierer. Das ist nicht nur ungerecht, sondern verschwendet das Potential von Menschen, die etwas zum Wohlstand und zur Prosperität beitragen könnten. Deswegen sind egalitärere Gesellschaften auch wirtschaftlich funktionstüchtiger als Gesellschaften, die grobe Ungleichheiten zulassen.

Und aus ganz ähnlichen Gründen ist auch Mitbestimmung ökonomisch nützlich.

Alle Erfahrung zeigt, dass Unternehmen, die einen hohen Grad an betrieblicher Mitbestimmung realisieren, in mittlerer Frist bessere Arbeitsbedingungen haben werden, in ihnen werden den Beschäftigten ordentliche Löhne gezahlt usw. Das ist volkswirtschaftlich nützlich, weil es die Binnennachfrage stärkt, rechnet sich aber auch betriebswirtschaftlich. Unternehmen mit einem höheren Kostenniveau werden versuchen, produktiver zu produzieren, was den Produktivitätsgrad einer Volkswirtschaft hebt aber auch die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Unternehmen. Ordentliche Löhne sind ein Anreiz für Unternehmen, besser zu werden. In ihnen ist die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten höher, was sich wiederum in mehr Engagement übersetzt, aber auch in einen höheren Qualifikationsgrad der Arbeitnehmer. Umgekehrt sind Unternehmen, die auf Lohndumping setzen, unproduktiver. Ja, in gewissem Sinn heißt, Lohndumping zuzulassen, die unproduktiven Unternehmen zu subventionieren und die produktiven, die ordentliche Löhne zahlen, zu bestrafen. Lohndumping und Mangel an Mitbestimmung hängen in der Praxis eng zusammen: Es sind gerade jene Unternehmen, die mit vielerlei Tricks selbst die Einrichtung eines Betriebsrates zu hintertreiben versuchen, die auch die miesesten Löhne bezahlen.

Ein höherer Grad an Mitbestimmung, die Möglichkeit, partizipativ an Entscheidungen von Unternehmen mitzuwirken, erhöht die Identifikation des Arbeitnehmers mit seiner Firma, was sich im Zeitverlauf ebenso in einem höheren Qualifikationsgrad und damit in höhere Produktivität übersetzt.

Mitbestimmung ist immer auch eine Schule der Arbeitnehmer in verantwortlichem ökonomischen Denken. Mitbestimmung, wie etwa die Repräsentanz von Arbeitnehmervertretern in Aufsichtsräten führt zum Erwerb von „Wirtschaftskompetenz“ in gesellschaftlichen Gruppen, die die traditionellen Eliten gerne von solcher Kompetenz fernhalten würden. Auch das hat gesellschaftlich nützliche Folgen für ein Gemeinwesen.

Eines der Gegenargumente gegen Mitbestimmung lautet, dass sie betriebswirtschaftlich notwendige, „harte Entscheidungen“ erschweren oder verunmöglichen würde und Unternehmen dann an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und somit im Extremfall in den Ruin getrieben werden. Simpel gesagt: Gewerkschafter und Belegschaftsvertreter würden dann Kündigungen und Strukturbereinigungen im Unternehmen blockieren, bis das Unternehmen pleite ist. Es gibt aber leider keine empirischen Beispiele, die eine solche These stützen würden. Gerade weil die Mitbestimmung auch eine Schule für verantwortliches Handeln und Denken ist, wird so etwas gerade in privatwirtschaftlich verfassten Unternehmen nicht geschehen. In Unternehmen mit signifikanter Staatsbeteiligung ist so etwas, das muss der Ehrlichkeit halber hinzugefügt werden, durchaus denkbar: Dann nämlich, wenn davon auszugehen ist, dass die Verluste aus Steuergeld ausgeglichen werden. Allerdings braucht es für solche nicht-nachhaltige Geschäftsgebarung, wenn man sich auf staatliche Rettung verlassen kann, nicht Mitbestimmung – das können, wie wir gesehen haben, Spitzenbanker auch ganz ohne Mitbestimmung durch Arbeitnehmer.

Ein hoher Grad an Partizipation und Mitbestimmung mobilisiert auch die Kompetenzen, die in einem Unternehmen vorhanden sind, sie nützen die „Weisheit der Vielen“, statt nur auf die Weisheit von ein, zwei Managern zu setzen. Es ist eigentlich skurril, dass gerade die Anhänger der neoliberalen und neokonservativen Doktrin so vehement gegen Mitbestimmung argumentieren. Gerade in Hinblick auf das Funktionieren des Marktmechanismus ist von dieser Seite doch so oft zu hören, dass selbst der genialste Planer der „Weisheit der Vielen“ unterlegen sein muss, auf die der Marktmechanismus mit seinen vielfältigen Preissignalen usw. setzt. Der Markt, der jede einzelne Konsumentscheidung von Millionen Bürgern in „Information“ übersetzt, sei demokratisch und damit jeder Planung überlegen. Die Pointe ist nun: Wenn es um das innere Funktionieren der Wirtschaftsorganisation „Betrieb“ geht, dann ist diese Doktrin erstaunlicherweise sofort vergessen. Da wird dann auf den Beschäftigten als bloßen Befehlsempfänger gesetzt und unterstellt, die berufsmäßigen Entscheider – die Unternehmer oder Manager – würden bessere Entscheidungen treffen, wenn man sie nur allein und autokratisch ihr Unternehmen führen lasse. Das ist nicht nur Unsinn, das ist sogar innerhalb der eigenen Argumentationslogik der Neoliberalen widersinnig.

Schlussendlich spricht aber noch ein sehr wichtiges Argument für den ambitionierten Ausbau von Mitbestimmungsrechten. Wir wissen seit der fulminanten Studie „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ der britischen Forscher Richard Wilkinson und Kate Picket, dass Gesellschaften, die einen höheren Grad an Einkommens- und Vermögensgleichheit aufweisen, in praktisch jeder Hinsicht besser funktionieren als ungleiche Gesellschaften. Die Frage ist jetzt freilich, wie wir zu einer solchen Gesellschaft kommen. Eine der Möglichkeiten ist natürlich, die Primärverteilung, für die der Markt sorgt, durch staatliche Umverteilung massiv zu korrigieren. Dazu bräuchte es „mehr Staat“, eine Ausweitung der Staatszone, was seine guten, aber auch seine schlechten Seiten hat. Dass Bürokratien zu Bürokratisierung neigen, ist natürlich nicht nur eine böswillige Erfindung neoliberaler Ideologen. Da ist schon auch etwas dran. Eine massive Ausweitung von Mitbestimmung, auch von Beteiligung der Beschäftigten am Betriebsvermögen usw. könnte ein weiterer Mechanismus sein, ein Mechanismus, der eben nicht zu mehr Bürokratie, sondern zu mehr Demokratie führt, und gleichzeitig zu einer egalitäreren Verteilung.

„Das verhindert nicht nur die Konzentration der Macht in den Händen des Staates, sondern nach allem, was wir wissen, gewinnen Unternehmen mit Arbeitnehmerbeteiligung wirtschaftliche wie soziale Vorteile“,

lautet die These von Wilkinson und Picket. Es wäre also eine demokratischere und partizipativere Art, mehr Gleichheit in einer Gesellschaft zu begünstigen und damit ein – auch ökonomisch – funktionstüchtigeres Gemeinwesen zu bauen.

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