Die Freiheit nehm ich mir!

Rede anläßlich der Inszenierung von Nestroys „Freiheit in Krähwinkel“, Schauspielhaus Graz, 14. Dezember 2010.

Bei uns gibt’s ja die große Freiheit, die im Singular und im Plural gleichzeitig. „Die“ Freiheit. Und die verschiedenen Untergattungs-Freiheiten. Oder hat er recht behalten, der Nestroy, dass die Freiheit und das Recht nur in der einfachen Zahl unendlich groß seien, weshalb man sie uns auch immer nur in der wertlosen vielfachen Zahl gegeben habe. Dass sich also die Meinungs- und die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit und das Wahlrecht nicht automatisch zur großen, zur elementaren „Freiheit“, „der Freiheit“ summieren. Man kann natürlich auch sagen: Liebreizend ist sie die Freiheit, solange sie einem vorenthalten wird. Hat man sie, so weiß man nicht recht was anzufangen mit ihr.

Überhaupt, das mit der Freiheit. Als Parole ist sie aus der Mode gekommen, die Freiheit bei uns. Ist Ihnen das schon aufgefallen? In den letzten 30 Jahren haben sie ja vor allem die Neoliberalen und Konservativen als Monstranz vor sich hergetragen, die Freiheit. Da ging es um die Wirtschaftsfreiheit. Oder um die Freiheit des Bürgers, als Wirtschaftsbürger, unbehelligt von irgendwelchen Regulierungen oder Steuergesetzgebungen oder Sozialversicherungsgesetzen am Markt agieren zu können, Sie wissen schon – an „dem Markt“, dem „freien Markt“.

Die können sich überhaupt nicht mehr einkriegen, so sehr sind die für die Freiheit, heutzutage. Das ist nicht unkomisch. Denn das Wort „Freiheit“ ist historisch ja nicht gerade eine zentrale Parole des Konservativismus. Der ältere Konservativismus favorisierte „Ordnung“ und damit meinte er meist das exakte Gegenteil von Freiheit. Ordnung hieß, dass sich die niedrigen Stände nicht heraus nahmen, frech zu werden. Wenn der frühere Konservative die Parole „Freiheit“ hörte, dann war er ja keineswegs entzückt, nein, dann hat es ihn gebeutelt, dann setzte er seine Kannoniere in Alarmzustand.

Man könnte also mit etwas Sarkasmus anmerken, dass der Konservativismus erst die „Freiheit“ auf seine Fahne geschrieben hat, nachdem andere sie erkämpft haben. Tatsächlich gilt ja, abseits aller Ironie, bis in unsere Zeit: Es gibt kaum ein Freiheitsrecht im Westen, das nicht gegen die Konservativen erkämpft worden wäre. Und ohnehin steht die hohe Freiheitsrhetorik der Konservativen in einem seltsamen Missverhältnis zu dem moralisch-sittlichen Verbotsjargon, den sie stets und reflexartig anschlagen. So fordern Konservative, dass der Staat nicht in das Leben seiner Bürger eingreifen soll, was ja nur einen Sinn ergibt, wenn man der festen Überzeugung ist, dass niemand das Recht hat, über den Lebensstil eines Menschen zu urteilen, aber gerade Konservative nehmen sich natürlich sehr gerne dieses Recht heraus: Laissez-Faire in lebenskulturellen Fragen ist ihre Sache keineswegs. Konservative lieben die doppelte moralische Buchführung. Sie wollen „einerseits wirtschaftliche Freizügigkeit, andererseits Moralvorschriften“.

Man hat die normalen, einfachen Leute so traktiert mit den Parolen von der „Eigenverantwortung des Einzelnen“ und von Reformen, die mehr Wirtschaftsfreiheit herbeiführen sollten, dass die schon zusammenzucken vor Angst, wenn jemand von Freiheit redet. Die fragen sich dann sofort: Was will mir der jetzt wieder wegnehmen? Will der mir meinen Lohn kürzen oder mir die Sozialhilfe streichen? Oder die Familienbeihilfe? Man kann fast sagen: Neoliberale und Neokonservative haben das Wort Freiheit in Verruf gebracht. Kaum kommen sie mit was in Berührung, schon ist es ruiniert.

Ja, man könnte sich den Herrn Reakzerl aus Nestroys Freiheit im Krähwinkel heute gut und gerne in der deutschen FDP vorstellen oder bei den amerikanischen Tea-Party-Irren, stets das Wort Freiheit auf den Lippen, gerne etwas hysterisch hyperventilierend.

Weil die Konservativen den Wert der Freiheit gekapert haben, haben die Progressiven ihn irgendwie vergessen. Sie haben deshalb eher auf Gerechtigkeit gesetzt oder Gleichheit. Man hat sich so die Begriffe geteilt. Die einen haben die Freiheit gekriegt, die anderen die Gerechtigkeit. Das ist schon deshalb grotesk, weil ja die Linken, die Progressiven historisch nicht nur jene Kraft waren, die für soziale Gerechtigkeit eingetreten sind, sondern immer auch die mächtige Kraft der Freiheit.

Viele Menschen haben sich leidenschaftlich für die Linke engagiert, weil sie gegen Unterdrückung, Diktatur und undemokratische Machenschaften aufgetreten ist. Das war vor 150 Jahren so, als die frühen Sozialisten in der Revolution von 1848 den Kampf für Freiheitsrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit und demokratische Wahlen führten, ein Kampf, der damals noch von Kaiser- und Königtum niedergeschlagen wurde. Das war so, als die ersten Gewerkschaften das Recht der Arbeiter erkämpften, sich mit ihresgleichen zusammenzuschließen. Das war am Ende des Ersten Weltkrieges so, als in den meisten Ländern Europas die Monarchien stürzten und es oft die Anführer der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien waren, die demokratische Republiken ausriefen, in denen das freie und gleiche Wahlrecht garantiert war. Das war in den dreißiger Jahren so, als es vor allem die progressiven Kräfte waren, die sich gegen den Aufstieg des Faschismus auflehnten und, wie etwa im spanischen Bürgerkrieg, beherzt für die Freiheit kämpften. Das war in den sechziger Jahren in den USA so, als die Bürgerrechtsbewegung ihren Kampf gegen die rassistische Diskriminierung der Schwarzen führte.

Aber dass sich die Linken um die Freiheit nicht mehr so recht kümmerten und sich primär der Gerechtigkeit annahmen ist auch deshalb grotesk, weil die Gleichheit nicht der Antipode der Freiheit ist, sondern ihr Zwilling. Die vielbeschworene „Optionen- und Risikogesellschaft“ bedeutet in der Realität: Optionen für die Einen, Risiko für die anderen. „Freiheit“ unter den Bedingungen von grober Ungleichheit heißt Freiheit für die Begüterten, aber Optionenmangel für die Unterprivilegierten. Dass eine egalitäre Gesellschaft nur auf Kosten der „Freiheit“ zu haben ist, ist vielleicht die allergrößte Lüge der neuen Konservativen. Gleichheit heißt nämlich, dass alle die „Freiheit“ haben, aus ihrem Leben etwas zu machen. Und Ungleichheit hat freiheitseinschränkende Wirkungen für die Unbegüterten, weil eklatanter materieller Mangel mit eklatantem Mangel an Optionen einher geht. Gleiche Lebenschancen geben allen Menschen die Freiheit, aus ihrem Leben etwas zu machen.

Über Freiheit „in our time“ reden, heißt also beispielsweise, die freiheitsfördernde Wirkung eines ausgebauten Sozialstaates, eines Wohlfahrtsstaates zu unterstreichen, der versucht, allen möglichst gleiche Chancen einzuräumen. Ein solcher Sozialstaat garantiert nicht nur Sicherheit gegen materielle Notlagen, er ist nicht nur sozial gerecht, er ist eben auch ein Motor der Freiheit: Weil er allen die Möglichkeit gibt, aus ihrem Leben etwas zu machen, weil er auch allen jenes Maß an grundlegender Sicherheit gibt, die notwendig ist, um sich etwa aus den Zwängen von Gemeinschaft oder Familie zu emanzipieren. Er ist das Netz, das es einem erlaubt, oben in der Freiheit der Zirkuskuppel am Seil zu tanzen.

Es ist schon eine komplizierte Sache mit der Freiheit, heutzutage. Wenn das Wort „Freiheit“ ein bisschen angepatzt wurde und einen obskuren Seitenwechsel gemacht hat – wie geht’s ihr denn selbst, der „Freiheit“?

Sie selbst hat sich ja auch gewandelt, und sie hat einen Siegeszug hinter sich, von dem wir nicht immer wissen, ob uns der wirklich froh macht. Weil, die Unfreiheit, gegen die Menschen in den vergangenen 150 Jahren immer wieder rebellierten, war ja nicht nur obrigkeitliche Repression, die manifeste, in Gesetze gegossene oder durch behördliche Willkür entfesselte Unfreiheit, sondern auch jene Unfreiheit, die die Konventionen, der Konformismus oktroyierten. Gegen diese Unfreiheit, die Konventionen, den gesellschaftlichen Druck von Spießertum und des bloßen Üblichen, des bloßen „das macht man eben so“, des „das gehört sich so“, rebellierten Bohemiens, Halbstarke, Hippies, Aussteiger, Punks, was weiß ich was wer. Man hatte da so ein Bild im Kopf: Das der uniformierten, formatierten Gesellschaft der Ähnlichen, die in Reihenhäusern wohnen, Mama hat Lockenwickler auf den Kopf, Papa ist sehr darauf bedacht, dass die Nachbarn nicht schief schauen, und alle haben die gleichen Gardinen vor den Fenstern. Dagegen war man. Und irgendwie verstanden sich alle diese Bewegungen und Subkulturen als links oder progressiv, und sei es nur halbbewußt, und die, die das bewusster taten, die legten sich eine Theorie zurecht. Dass der Kapitalismus die Welt gleichförmig mache, dass er den Menschen ihre Kreativität und den Dingen ihre Authentizität austreibe. Dass also Hippies und Alternativkultur oder Gegenkultur so etwas wie Freiheitsrevolten und antikapitalistische Revolten zugleich seien. Diese Kritik hatte bestimmt für einige Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung Wichtiges und Richtiges zu sagen, war zugleich aber immer auch ein wenig ein kulturpessimistisches linkes Vorurteil, das deshalb paradoxe Trugschlüsse nach sich zog. Etwa den Glauben, mit der Etablierung einer alternativen Gegenkultur würde den Homogenisierungstendenzen des Kapitalismus Widerstand geleistet – während in der Realität die Gegenkulturen von Hippies bis Punk dem Konsumkapitalismus nur neue Energien zuführten. Man fühlte sich dissident, war aber auch nur eine Marktnische und Zielgruppe. Deshalb ist, wie die kanadischen Autoren Joseph Heath und Andrew Potter schrieben, die gegenkulturelle Politik „in den letzten vierzig Jahren eine der wichtigsten Triebkräfte des Konsumkapitalismus gewesen“. Schließlich seien es die Nonkonformisten, nicht die Konformisten, „die an der Konsumschraube drehen“, denn: „Wenn die Konsumenten bloß Konformisten wären, dann würden sie sich allesamt das gleiche kaufen und damit glücklich und zufrieden sein.“ Es ist dieses Paradoxon, das den Philosophen Peter Sloterdijk zu dem Aperçu veranlasste: „Alle Wege der ’68er führen in den Supermarkt.“ Dass der Kapitalismus die Welt eintöniger mache, und, im Umkehrschluss, die kreativen Energien, die die Welt bunter machen, subversiv seien, ist jedenfalls ein sehr fragwürdiges Postulat, eine jener Überzeugungen, die bestenfalls wahr und falsch zugleich sind. Das ließe sich schon an der Basiseinheit des kapitalistischen Wirtschaftens ersehen, der Ware nämlich: die lässt sich schließlich, wie wir alle wissen, dann am besten verkaufen, wenn sie sich von anderen Waren unterscheidet – und nicht, wenn sie gleich wie alle anderen Waren ist. Selbst sachlich ununterscheidbare Waren müssen unterscheidbar gehalten werden, ein Imperativ, der Werbe- und Marketingagenturen und Brandingexperten ein schönes, fixes Einkommen garantiert. Heute darf jeder sein Ding machen, ja, es wird sogar von ihm gefordert, und jeder darf anders sein als der andere, soll seinen persönlichen Stil entwickeln, der ihn von anderen unterscheidet und mit kleinen Peer-Groups ihm Ähnlicher im Gegenzug verbindet, zu sogenannten Lebensstil-Gemeinschaften, die auch nichts anderes sind als Marktnischen und Zielgruppen. So ist es heute verdammt schwierig geworden, unkonventionell zu sein, weil unkonventionell ist doch jeder auf seine Art und das Freiheitsgefühl, das so entsteht, na, mit dem können mächtige ökonomische Gruppen aber prima leben.

So dass das Freiheitsgefühl schnell ziemlich schal wird. Ein industriell verwertbares und kommerzialisiertes Freiheitsgefühl, mit dem sich klasse Werbung machen lässt. „Die Freiheit nehm ich mir“, wer wirbt noch mal mit dem Slogan. O.B.? Na, kann auch Coca-Cola oder Apple sein.

Und kommen wir nun noch zur politischen Freiheit. Das Fehlurteil der Obrigkeiten zu Nestroys Zeiten bestand ja schließlich darin, zu glauben, dass man Staatsbürger, sofern man ihnen elementare politische Rechte zugesteht, nicht mehr so einfach regieren könne. Dass sie die Freiheiten, die ihnen gewährt würden, selbstbewusst in die Hand nehmen würden und stetig aufbegehren, ja sich selbst regieren würden. Dass es um die alten Obrigkeiten dann schnell geschehen sein würde. Und das war schon nicht falsch. Aber über die Jahrhunderte und Jahrzehnte hin etablierte sich ein neues politisches System mit neuen Eliten, der sogenannten „professionellen Politik“. Mit ihren Parteien und Institutionen, die einmal lebendig waren, aber aus denen jedes Leben gewichen ist. Zeitungen, sobald die Pressefreiheit verwirklicht war, entwickelten sich zu normalen Geschäftszweigen, die ihr Publikum unterhalten wollen. Und dieses Publikum hörte mehr und mehr auf, sich für diese „professionelle Politik“ zu interessieren. Nicht, dass dieses Publikum seiner Freiheit beraubt wäre. Alle vier Jahre darf es wählen. Es schleppt sich ohne viel Elan an die Urnen. Es entwickelt eine Haltung der Indifferenz und des Desinteresses, das nicht selten umschlägt in stillen Verdruss und Aggression.

Es sind hier durchaus widersprüchliche Prozesse am Werk. Einfache, objektive Prozesse der Entkoppelung eines professionellen, institutionellen Systems von normalen Bürgern. Aber auch die Absicht von politischen Eliten, weitgehend ungestört von äußeren Einflüssen zu regieren, ohne dass man dafür grundlegende demokratische Rechte und Freiheiten kappen müsste. Zudem die Interessen mächtiger Einflussgruppen, Lobbys etwa, die wissen, dass sie nur dann einen überproportionalen Einfluss auf den politischen Prozess haben, wenn die Bürger den Einfluss, den sie an sich haben könnten, nicht geltend machen. Und nicht zuletzt gesellschaftliche Grundtendenzen, Stimmungen, ja Moden fast: konsumistische Infantilisierung, die Tatsache, dass viele Politik einfach unhip finden. Eine Kultur des Spektakels.

All das führt zu einer Freiheit, die theoretisch gegeben, aber praktisch nicht belebt ist. Und die ihrerseits wieder zu Verdruss führt und zu regelmäßigem, erruptivem Protest. Zur Wut der Bürger, dass „die“ doch ohnehin nicht mehr interessiert, was wir, die Bürger, denken. Zum Protest gegen einzelne politische Maßnahmen und Projekte, der dann von den Spektakelmedien wieder zu einer „neuen Protestwelle“ hochgeschrieben wird, ein Protest, der bei Gelegenheit erruptiv hochgeht, aber schnell wieder erschlafft.

Ist unsere Freiheit durch all das bedroht? Nun, die „negative Freiheit“, die Freiheit von Drangsalierung, von Verfolgung, von Unterdrückung – nicht wirklich. Die Meinungsfreiheit – noch nie war sie so unbestritten wie heute. Jede, noch die abstruseste Meinung darf geäußert werden, ja, mehr noch, je bizarrer die Meinung, umso mehr wird sie über alle Talk-Shows verbreitet. Wer sie äußert wird zum Querdenker oder zum Tabubrecher geadelt und darf seine 15 Minuten der Prominenz auskosten, bis ein neuer Kauz durchs Dorf getrieben wird. Aber die positive Freiheit? Wissen wir überhaupt noch, was das ist oder sein könnte? Die Freiheit einer selbstbewussten Bürgerschaft, die mit Ernst und entschieden ihre eigenen Dinge in die Hand nimmt? Die Freiheit einer energetischen Jugend, die das Alte niederreißt und gegen immaterielle und manchmal auch reale Barrikaden anrennt? Och, man will davon gar nicht reden, das klingt ja schon weltfremd und ein bisschen betulich.

Ist die Glanzzeit der Freiheit deshalb vorbei? Nun, wahrscheinlich, insofern, als die Kämpfe der großen Freiheitsbewegungen um die große Freiheit gegen die großen Kräfte der Unfreiheit geschlagen und gewonnen sind. Dieses Theater ist wegen nachhaltigen Erfolges geschlossen.

Aber glänzender Sieg war das keiner. Eher ist es ein „so irgendwie“ gewonnen. Die Freiheitsbewegungen sind erfolgreich gescheitert. Oder sie haben ruinös gesiegt. Jedenfalls haben sie so gesiegt, dass ihre Parolen heute ein bisschen von gestern klingen, während ihre Ziele im Heute jedenfalls auch nicht so realisiert sind, wie wir uns das vorgestellt haben.

Aber dennoch gibt es auch bei uns immer wieder Revolten und sie sind meist Freiheitsrevolten, auch wenn sie sich an sachlich anderen Fragen entzünden. Wenn tausende in Deutschland gegen einen neuen Bahnhof demonstrieren, dann doch nicht nur, weil sie dagegen sind, wenn ein paar hundert Bäume gefällt werden, das auch, sondern weil sie es nicht hinnehmen wollen, dass es ein planerisches Verfahren gibt, das prozessoral durchaus demokratisch abgelaufen ist, in dem sie aber keine Stimme haben. Dass sie nicht hinnehmen wollen, dass sie Objekte bürokratischer Verfahren sind. Wenn sich Menschen gegen Bettelverbote in unseren Innenstädten empören, dann nicht alleine deswegen, weil sie es als erschreckend empfinden, dass man den Ärmsten diese ohnehin demütigende Weise der Erwerbstätigkeit verbieten will, sondern weil sie sich über den obrigkeitstaatlichen Geist empören, der darin zum Ausdruck kommt in diesen Wegweiserechten und den schikanösen Verboten, die Hand aufzuhalten. Und wenn heute viele ein irgendwie schlechtes Bauchgefühl haben angesichts dieser Cyber-War-Konstellation, die wir dieser Tage erleben, diese Konstellation „Die Welt versus Wikileaks“, dann doch nicht nur, weil sie Wikileaks so toll finden oder grundsätzlich erstrebenswert, dass alle Dokumente aller Institutionen der Welt offengelegt werden, gut, das finden manche schon erstrebenswert, aber für viele ist das nicht der Punkt. Der Punkt ist für sie, denke ich, dass sie spüren, wohin das nur führen kann, wenn man so einmal beginnt. Wenn die geballte Macht der Staaten und mächtiger Monopolfirmen gegen eine kleine Organisation in Stellung gebracht wird. Dann hört das nicht auf, bei dieser Organisation. Schon wird von autoritären Geistern vorgeschlagen, ein Verfahren gegen die New York Times anzustrengen, weil die auch Teile der Diplomaten-Depeschen veröffentlicht hat. Und das Erschreckende ist nicht, dass das jemand vorschlägt, das Erschreckende ist, dass da kein mächtiger Aufschrei der Empörung um die Welt geht. Das zeigt auch, wie sehr wir uns gewöhnt haben an die Freiheit, dass uns schon die Sensorien verloren gehen für eklatante Bedrohungen der Freiheit.

Ja, und wir müssen die Freiheit immer wieder neu durchbuchstabieren. In gewissem Sinn hat die Freiheit einen leichten Stand, sie hat den schönsten Sex-Appeal und ist von betörender Grazie, wenn sie sich gegen obrigkeitliche Repression durchsetzen muss. Fehlt ihr der klar erkennbare Feind, muss sie sich aus sich selbst begründen, dann kriegt auch sie schwielige Füße, wie alles, was sich durch die Mühen der Ebene schleppen muss. Was heißt Freiheit in diesem Fall? Jeder und jede soll seine Talente entwickeln können. Jeder soll die Freiheit haben, so zu leben, wie er will. Jeder soll die Voraussetzungen erhalten, diese Freiheit auch ausüben zu können. Der Staat, der dann kein Feind der Freiheit mehr ist, muss im Gegenteil zum großen Begünstiger der Freiheit werden, indem er jedem und jeder diese Ressourcen zu Verfügung stellt, ja aufdrängt geradezu. Bürokratien, die zum Selbstlauf neigen, die immer ein Eigenleben entwickeln und zur Abschließung tendieren, müssen zu offenen Systemen umgeformt werden. Und so gesehen bleibt der Fluchtpunkt aller Freiheitsbestrebungen, wie eh und je:

Regierung, nicht für die Bürger, sondern durch die Bürger.

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