Wie man Populisten stark macht

Einen Haider, einen Wilders, einen Strache – kann’s die auch in Deutschland geben? Aber klar doch! taz, 17. Dezember 2010

Ein Dialog, irgendwo in Deutschland, so Anfang September: „Wird Sarrazin der deutsche Haider?“ – „Ach nein, das hat der nicht in den Genen.“ – Die Rundumstehenden lachen, wenn auch etwas gequält.

Denn auch wenn der tapsige, vollkommen charismafreie Theoretiker eines muslimischen Deppen-Gens die absolute Fehl-Besetzung für die Rolle des Populistenführers wäre, so zeigte die Debatte um seine Thesen und vor allem die Art und Weise, wie er medial gehypted wurde, dass es natürlich auch in Deutschland ein Potential für eine rechtspopulistische Kraft gäbe. Freilich, dieser Umstand alleine ist eine Banalität. Dass es dieses Potential gäbe, ist allgemein bekannt. Immer wieder gelang es punktuell sogar, es politisch zu mobilisieren. Richter Gnadenlos Ronald Schill holte bei der Hamburger Bürgerschaftswahl vor knapp zehn Jahren fast zwanzig Prozent. Die Frage ist eher: Welche Umstände müssen eintreten, damit sich so ein Potential zu einer politisch relevanten Kraft formiert und dauerhaft stabilisiert? Wieso war das in Deutschland bisher nicht der Fall? Und hat sich daran etwas verändert?

Gewiss, eine rechtspopulistische Partei aus dem Boden zu stampfen, ist schwerer als es scheint. Sie würde alle Irren dieser Republik anziehen, und mit denen müsste sich ein Volkstribun erst einmal herumschlagen. Viel Spaß dabei. Kein Wunder, dass Gert Wilders „Freiheitspartei“ in Holland bisher nur ein Mitglied hat. Wilders selbst. Der Mann weiß bestimmt, warum. Franz Walter hat an dieser Stelle wiederum den Gedanken ins Spiel gebracht, die FDP könnte sich einem „Lafontaine von rechts“ an die Brust werfen, ein Populismus der Fleißigen würde schließlich zur DNA dieser Partei passen. Undenkbar ist das nicht, aber da muss der erst einmal vom Himmel fallen – und zwar anders und weniger buchstäblich als seinerzeit Jürgen Möllemann. Aber wie auch immer, lassen wir für’s Erste diese praktischen Details.

Nun, die wesentlichste Vorbedingung für die Entstehung einer populistischen Partei ist die Delegitimierung der etablierten politischen Parteien; ein grassierendes Anti-Eliten-Ressentiment. Weite Milieus der Bevölkerung müssen zur Auffassung gelangen, dass „die“, „die Politik“, „die Parteien“ doch nur mehr abgekapselt ihren Geschäften nachgehen, die „wahren Sorgen der Menschen“ nicht mehr kennen, dass sie über die „wirklichen Probleme“ nicht einmal reden – und diese Auffassung muss nicht sehr bewusst sein, es reicht, wenn sie subtil vorhanden ist, gewissermaßen atmosphärisch herumwabert. Und diese schlechte Stimmung muss medial geschürt werden.

Denn diese Stimmung alleine reicht nicht aus – sie muss sich zu einer Erwartungshaltung verdichten und zu einer sensationalistischen Stimmung. In dem Sinn: Die Erwartung muss sich allgemein verbreiten, dass doch jetzt auch in Deutschland die Stunde einer solchen Kraft geschlagen habe, und jedes Indiz für diese These muss aufgeregt in Schlagzeilen verwandelt werden. Wobei hier fast irrelevant ist, ob dies dann „positive“ Schlagzeilen oder „negative“ sind. Der Rechtspopulismus braucht nicht das Wohlwollen der Medien. Was er aber braucht ist ihre überproportionale Aufmerksamkeit. Und die hat er leicht, wenn auch die Journalisten die normale Politik langweilig finden. Sicherlich, der Rückenwind des Boulevards hilft ihm. Aber er lebt auch gut von der scheinbaren Skandalisierung durch seriöse Medien. Nur eines kann er nicht brauchen: dass man ihn ignoriert.

Diese diskursive Konstellation – hier die Eliten, die nicht einmal mehr interessiert „was das Volk denkt“, da die populistischen Rebellen, „die Klartext reden“ -, sie ist wesentlich für den Erfolg populistischer Kräfte. Wichtiger noch, als die einzelnen politischen Inhalte, für die sich die Populisten stark machen. Anti-Ausländer, gegen Muslime, gegen Kriminalität, die politischen Forderungskataloge, wie wir sie heute bei allen erfolgreichen populistischen Formationen finden, sie sind gewiss nicht unwichtig, aber sie sind doch sekundär. Primär ist das populistische Arrangement – hier das Volk, dem der populistische Führer seine Stimme verleiht, da die politischen und auch medialen Eliten, die ihn mundtot machen wollen. Die amerikanischen Tea-Party-Irren kommen ganz ohne Moslems aus.

Eine durchaus paradoxe Tatsache ist, dass das aber nur dann aufgehen kann, wenn die Immunreaktionen gegen die populistische Herausforderung erlahmen – wenn also in Wirklichkeit niemand mehr versucht, diese Kräfte wirklich mundtot zu machen, sondern im Gegenteil, sich praktisch alle gegenseitig darin überbieten, als ihre Verstärker zu wirken. Dann werden die populistischen Themen und Thesen über alle Kanäle hinausposaunt. Dann werden natürlich auch Gegenstimmen laut. Und diese Gegenstimmen nützen die Populisten, um zu sagen, man wolle ihnen das Wort verbieten. Sie können von den Titelseiten aller Zeitungen und Zeitschriften starren, sie werden sich gerade dann in einem Akt der Selbstheroisierung als verfolgte Unschuld präsentieren, der man das Recht auf Meinungsfreiheit abschneiden will.

Insofern ist es auch eine Falle, anzunehmen, das Beschweigen von Problemen würde die Populisten stark machen. Etwa, weil die Politik „nicht offen die Probleme mit den Ausländern anspricht“. Aus der österreichischen Erfahrung lässt sich sagen: Seit zwanzig Jahren wird nicht zu wenig, sondern zu viel über reale und eingebildete Probleme mit Migration gesprochen. Gerade das hat die Populisten stark gemacht und stark gehalten.

Nicht das Beschweigen von Problemen ist der Humus, auf dem der Populismus wächst. Sondern die völlig unverhältnismäßige Fokusierung auf ein Problem, das dann im öffentlichen Diskurs vollkommen aus den Proportionen gerät und als das zentrale Problem angesehen wird. Populisten wachsen also stabil, wenn die von ihnen gesetzten Themen allgemein als das zentrale Problem unserer Gemeinwesen angesehen werden – mögen das „die Ausländer“, „der Islam“, „die gescheiterte Integration“ sein. Insofern kann man Populisten kaum in Schach halten, wenn man bei „ihren Themen“ dagegen argumentiert. Man darf die Themensetzung schon nicht akzeptieren. Wenn man ihnen nur ein bisschen nachgibt, kriegt man sie nicht mehr los.

In den letzten zwanzig Jahren haben Populisten in Deutschland nicht dauerhaft einen Fuß auf dem Boden gekriegt, weil die Immunreaktion der politischen und medialen Öffentlichkeit funktioniert hat. Die Sarrazin-Debatte hat gezeigt, dass das vorbei ist.

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