Wie Lobbys den Staat ausplündern

Nicht die ökonomische „Allmacht des Staates“ ist die Quelle der heutigen Korruption, sondern die Verschiebung der Macht vom Öffentlichen zum Privaten.

Bloggerkollege Krisenfrey hat in seinem Portal auf derstandard.at jüngst folgende These unter die Leute gebracht: Ja, Lobbys können eine Gefahr für die Demokratie sein, aber nur, wenn wir einen starken Staat haben der sich zu sehr in die Wirtschaft einmischt.

Der einzige wirkungsvolle Weg, die Macht der Lobbys zu begrenzen, ist es – und das hört die Linke nur ungerne -, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft möglichst gering zu halten und, wenn sie unvermeidlich sind, Schritt für Schritt genau zu überprüfen.

Mit einem Wort: Weniger Staat, mehr Privat und wir werden auch das Lobbyproblem gelöst haben.

Das klingt, wie viele Argumente der Neoliberalen, auf dem ersten Blick plausibel. Und hat, wie jedes Argument der Neoliberalen, mit der realen Wirklichkeit exakt nichts zu tun.

Das wird jedem deutlich, wenn man die Frage so formuliert: Wieso nimmt denn ausgerechnet dann die Korruption zu, wenn die Privatisierung von Staatsaufgaben zur allgemein verfolgten Doktrin wird? Denn der Einfluss von Lobbys und die unverschämte Plünderung von Gemeinvermögen erlebte ja ausgerechnet in dem Moment einen ungekannten Höhenflug, in dem das Staatsverschlanken auf der Tagesordnung stand.

Oder, ganz simpel formuliert: Nicht die Tatsache etwa, dass der österreichische Staat Bundeswohnungen besitzt, öffnete der Korruption Tür und Tor – die wirklich korrupten Machenschaften begannen, als er sie privatisierte.

Die größten Korruptionsfälle in der jüngsten Geschichte sind mit mit Firmennamen wie Enron oder Halliburton verbunden, die direkt von Privatisierung vormals staatlicher Aktivitäten profitierten.

Dieses neue Gesicht der Korruption, das unmittelbar mit der Privatisierung von Staatsaufgaben einher ging, hat die amerikanische Forscherin Janine R. Wedel in diesem Interview mit mir folgendermaßen beschrieben:

Hat die Korruption in den vergangenen zwanzig Jahren ihr Gesicht signifikant verändert?

Wedel: Definitiv ist in den vergangenen Jahrzehnten eine neue Form der Machtorganisation entstanden und damit auch eine neue Form von Korruption. Es gibt eine neue Gruppe von Akteuren, die ich die „Schatten-Eliten“ nenne. Die „Mover und Shaker“, die beispielsweise ein Consulting-Unternehmen haben, oder mit einem Think-Tank verbunden sind, die sich einen Namen als TV-Experten machen und Posten als Regierungsberater bekommen, und die dann sogar für begrenzte Zeit Regierungsposten annehmen. Aber sie haben eigentlich keine Loyalität zu den Institutionen, für die sie zeitweise arbeiten, sondern nur ihren Netzwerken gegenüber. Und den Einfluss und die Informationen, die sie in diesen Institutionen erhalten, nützen sie zum Vorteil ihrer Netze oder zu ihrem persönlichen Vorteil.

Wieso kam es zu diesen Veränderungen? Musste man raffiniertere Formen der Korruption erfinden, weil die alten, simplen nicht mehr toleriert wurden?

Wedel: Ich würde sagen, es gibt mehrere Gründe. Der wichtigste Punkt ist die Reorganisation von Regierungsinstitutionen. Regierungsaufgaben werden outgesourced, also praktisch privatisiert und an Unternehmen vergeben, privatwirtschaftliche Akteure werden als Experten – oft nicht nur als Berater, sondern mit Entscheidungsbefugnissen – in die staatliche Verwaltung einbezogen.

Kann man sagen, dass damit die Regierung „for sale“ ist?

Wedel: Jedenfalls wird das Verhältnis von Business und staatlicher Verwaltung neu justiert – zum Vorteil von erstem. Doch die Dinge sind komplexer. Es gibt eine ganze Klasse von Akteuren, die in Institutionen unterwegs sind, aber denen gegenüber keine Loyalität haben. Aber sie sind oft auch den Unternehmen gegenüber nicht langfristig loyal. Sie arbeiten ja auch für diese nur für eine bestimmte Frist oder vielleicht sogar nur auf Projektbasis. Und wenn sie Funktionen für politische Parteien übernehmen, sind sie denen auch nur lose verbunden. Ich nenne diese Leute die „Flexians“. Übrigens agieren sie gar nicht im Verborgenen: Viele versuchen so oft wie möglich als Experten in TV-Talkshows aufzutreten, weil das für ihren Status von Vorteil ist.

Sie halten das für eine Gefahr für die Demokratie?

Wedel: Definitiv. Ein früherer Amtsträger, der Schmiergeld angenommen hat, der hat vielleicht in einer einzelnen Sachfrage dann korrupt entschieden. Aber er war deshalb nicht das Produkt von Unternehmensinteressen. Die neuen Machtnetzwerke können aber den ganzen Staat zur Beute machen. 

Also: Nicht die ökonomische „Allmacht des Staates“ ist die Quelle der heutigen Korruption, sondern die Verschiebung der Macht vom Öffentlichen zum Privaten. Institutionelle Veränderungen, wie sie Wedel beschreibt, sind hier wichtig, aber natürlich auch die mentalen, ethischen und ideologischen Verschiebungen, die damit einher gehen. Denn der Private, der seinem Eigennutz folgt, wird hier zum Role-Modell, und das untergräbt auch den Ethos öffentlicher Verantwortungsträger: Nach und nach wird zur Normalität, wenn man mitschneidet, und der, der in diesem Graubereich Geschäfte macht, gilt plötzlich nicht mehr als Plünderer, sondern als vorbildlicher Geschäftsmann – soferne er nicht übertreibt, wie die Grassers, Maischbergers, Strassers.

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