Das Glück, das ein Unglück ist

Einmal schafft es Eva Glawischnig mit einem Thema auf die Titelseiten. Und dann ist es das falsche. Ein Nachtrag zur Automatenverbots-Debatte für den Falter, 22. Juni 2011

Im mühseligen Kommunikationsalltag ist es das Ziel schlechthin für einen Politiker: vorkommen. Vorkommen, in der Zeitung, vorkommen im Fernsehen. Eine kleine Freude: der Einspalter. Und die Krönung: die Schlagzeile. 
Eva Glawischnig hatte vor eineinhalb Wochen einen solchen Glücksmoment: Sogar auf das Cover des Gratisblatt „Heute“ schaffte sie es mit ihrer Forderung, Zigarettenautomaten zu verbieten. Aber vermutlich würde sich die Grünen-Parteichefin heute wünschen, sie hätte etwas weniger „Glück“ gehabt. Denn für den Vorschlag erntete sie erst Kopfschütteln bei Grün-Sympathisanten und am Ende fragten viele genervt, ob das Image als „Verbotspartei“ wirklich das richtige für die Grünen ist.

Wie selten zuvor bläst Glawischnig der Wind ins Gesicht. Eine Meisterleistung in politischer Kommunikation. 
Freilich, der Mordswirbel um das Automatenverbot erklärt sich wohl nicht primär aus der Forderung selbst. Die kann man erheben, wenngleich man es auch bleiben lassen kann. Eher ist es so: Sehr viele Grün-Sympathisanten und Grün-Wähler haben seit langem schon den Eindruck, dass Eva Glawischnig die falsche Frau am falschen Posten ist. 
Im Grün-Milieu gibt es viel Frust: SPÖ und ÖVP sind, wie sie sind, Strache und die FPÖ monopolisieren allen diffusen Protest gegen die „Classe Politique“ und die Grünen kommen nicht vom Fleck, jedenfalls im Bund nicht. Glawischnig gibt diesem Frust ein Gesicht.
Zudem schielen viele nach Deutschland, sehen den Höhenflug der dortigen Grünen und fragen sich: Warum schaffen das unsere Grünen nicht? Naheliegende, wenngleich unterkomplexe Antwort: Weil sie eine Vorsitzende haben, die sich mit Themen wie dem Automatenverbot beschäftigt. 
Die Sache selbst ist natürlich auch fragwürdig: Wie konsequent ist es, wenn sich eine Partei, die noch unlängst die Entkriminalisierung illegaler Drogen gefordert hat, plötzlich an die Spitze der Rauchverbots-Dogmatiker setzt? In vielen Fragen des persönlichen Lebensvollzugs vertreten die Grünen die Auffassung, dass jeder nach seiner eigenen Facon glücklich (oder unglücklich) werden soll – wie verträgt sich damit aber die Haltung, die Menschen daran zu hindern, sich ungesunde Substanzen zuzuführen? Konservative und ultraliberale Grün-Gegner können auftrumpfen: Seht her, sagen die, die Ökos wollen auf gouvernantenhafte Art das Leben der Bürger reglementieren. 
Nun gehörte Radikalliberalismus natürlich nie zum philosophischen Hintergrundrauschen der Grünen. Wie alle progressive Parteien haben sie nichts gegen Regulierungen, die dem Gemeinwohl dienen. Und dazu gehören auch Verbote. Es ist ja so manches verboten – von Schwarzarbeit bis Mord. Es gibt gute Gründe, dem Einzelnen Handlungen zu verbieten, die andere in Mitleidenschaft ziehen können. 
Nur, was „in Mitleidenschaft ziehen“ heißt, darüber kann man diskutieren. Im Fall des Rauchens: Klar zieht es Nichtraucher in Mitleidenschaft, wenn die Raucher alle Lokale vollpaffen. Und wenn sehr viele Menschen rauchen und damit ihre Gesundheit beeinträchtigen, zieht das auch ein Gemeinwesen „in Mitleidenschaft“ und damit natürlich jeden Einzelnen – wenn auch auf recht vermittelte Weise. Kann das schon ein Grund sein, es zu verbieten? 
Es ist paradox: Die forschen Reformer in der Sozialdemokratie lösten gerade erst Begeisterungsstürme aus, weil sie das Verbot des „Kleinen Glücksspiels“ durchsetzen wollen, das viele Menschen dazu verleitet, ihre Existenz zu ruinieren. Die Grünen-Chefin wird dagegen teilweise von den gleichen Leuten dafür geprügelt, weil sie für junge Menschen die Hürden, an Zigaretten heranzukommen, etwas erhöhen will. Ganz logisch ist das nicht. 
Private Laster hören auf, bloße private Laster zu sein, wenn sie sich nur genügend ausbreiten. Die Glückspielsucht etwa ist schon Ursache Nr. 1 von Beschaffungskriminalität. 
Es gibt hier nicht die klare, einfache Antwort, die für alle Fälle gültig ist. Aber gerade deshalb täte es nicht schlecht, sich einer Debatte zu besinnen, die schon seit den vierziger Jahren in linksliberalen und sozialdemokratischen Kreisen geführt worden ist. Damals begannen kluge Köpfe zu realisieren: Wenn wir einen „starken“ Wohlfahrts- und Sozialstaat aufbauen, dann bauen wir auch einen regulierenden Staat und Bürokratien, die dazu tendieren, autoritär zu sein. Wenn man einen Staat will, der sich um das Gemeinwohl sorgt, schrieb etwa der legendäre Wirtschaftstheoretiker Karl Polanyi, dann muss man „Bereiche unumschränkter Freiheit schaffen, die durch eiserne Regeln geschützt sind“. 
Man sollte sich zumindest immer daran erinnern, dass es diese Ideen waren, die dem „Sozialliberalismus“ eines Kreisky, Brandt und Palme die Stichwörter gaben.

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