Isoliert die geistigen Brandstifter!

Rechtspopulistische Politiker, Blogger, Publizisten haben in ganz Europa ein Klima angeheizt, in dem ein Irrer wie Anders Behring Breivik auf die Idee kommen konnte, man müsse mit spektakulären Taten der „Moslemgefahr“ begegnen.

In Essay für das Portal quantara.de der „Deutschen Welle“

Eine reichlich bizarre Wortmeldung zu dem norwegischen Massaker kam von den österreichischen Rechtspopulisten von der FPÖ. Er hoffe, sagte deren Generalsekretär, „dass die genauen Motive und Hintergründe der abstoßenden Taten aufgearbeitet werden“. Nun, da kann die FPÖ am besten gleich bei sich beginnen. Denn „die Motive“ der Taten, so wissen wir derweil, das sind genau jene Ideologieversatzstücke, die die Freiheitlichen, aber auch andere Rechtspopulisten wie Gert Wilders, Pro-Köln, die norwegische „Fortschrittspartei“ oder die „Schwedendemokraten“, Blogs wie „Politically Incorrect“ und andere Tag für Tag in die Welt hinausposaunen.

Anders Behring Breivik, der Attentäter, der den
Bombenanschlag von Oslo und das Massaker auf der Ferieninsel Utoya angerichtet
hat, ist wie sie ein christlich-konservativer Extremist und Moslemhasser. Er
findet, dass das Abendland bedroht ist, vom Islam überrannt zu werden, er ist
gegen Multikulturalität und für „Monokulti“ und sieht sich in einem Kampf
gegen den „globalen Dschihad“. Und er findet weiter, die liberalen
politischen Eliten, die „Kulturmarxisten“ seien so etwas wie nützliche Idioten
des Islam. Deshalb hat er sich ja auch das Jugendcamp der norwegischen
Sozialdemokraten für seinen Massenmord ausgesucht.

Er war bis 2006 Mitglied und Funktionär der
„Fortschrittspartei“, er postete auf den verschiedensten einschlägigen
Internetforen und er hat jetzt auch ein grotesk ausladendes, 1.500 Seiten
starkes Manifest hinterlassen, in dem er im Grunde all die
„Meinungs“-Bruchstücke aneinandermontiert, die in dem islamfeindlichen Orbit
kursieren. Aneinandermontiert, das ist buchstäblich zu verstehen: große Teile
seines „Bekenner“-Manifests hat er einfach im Copy-And-Paste-Verfahren aus
Blogs Gleichgesinnter zusammengestellt. An mehreren Passagen kamen so auch aus
zweiter Hand Textstellen von Henryk M. Broder in den Text, jenes deutschen antiislamischen
Autors also, der manchen guten Bürgern selbst heute noch als preiswürdiger
Schriftsteller gilt.

Anders Behring Breivik ist ein Einzeltäter und er ist, wie
die „Süddeutsche Zeitung“ ihr Porträt des Mannes überschreibt, auch und nicht
zuletzt ein „Psycho“. Freilich, was der damalige Bundespräsident Richard von
Weizsäcker 1993 nach den ausländerfeindlichen Morden von Solingen und Mölln
sagte, das stimmt auch hier: „Einzeltäter kommen hier nicht aus dem Nichts.“

Es sind Politiker, Blogger, Publizisten, die das Klima angeheizt
haben, in dem einer wie Anders Behring Breivik erst möglich wurde, in dem er
erst auf die Idee kommen konnte, dass der „bloße“ politische oder
publizistische Kampf gegen die als elementar bedrohlich imaginierte
Moslemgefahr nicht mehr ausreicht. Es ist wie eine absurde Spiegelung: Was sie
immer den normalen Muslimen angedichtet haben, dass diese „irgendwie
verantwortlich“ seien für die Gewaltakte islamistischer Terror-Sekten, das
haben sie jetzt selbst geschaffen – Spinner, die bereit sind, der Flausen
wegen, die sie ihnen in den Kopf gesetzt haben, dutzende Menschen zu ermorden.
Sie, die umgekehrt immer schnell bei der Hand sind mit dem Postulat von der
„geistigen Mittäterschaft“, sind jetzt auf eine viel, viel direktere Weise zu
geistigen Mittätern geworden.

Wird das in diesem Milieu wenigstens Nachdenkprozesse
auslösen? Man möge sich anderem zuwenden, „statt über die pseudopolitischen
Geschwurbel eines perversen Killers zu spekulieren“, wehrt man auf der „Achse
des Guten“, dem Gemeinschaftsblog von Broder und Freunden, auf unfassbar
kaltschnäuzige Weise ab. Auf Politically Incorrect, dem Quasi-Zentralorgan der
Moslemhasser, gab man sich im ersten Schrecken nachdenklicher: „Was er
schreibt, sind großenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten“. Und
dann wird spekuliert, ob der Mann, der doch aus ihrer Sicht ganz vernünftiges
Zeug geschrieben hätte, „an einer psychischen Krankheit leidet, die seither
schlimmer geworden ist?“.

Aber funktioniert eine solche Selbst-Exkulpierung der
Islamkritiker durch Pathologisierung des Täters? Natürlich kann einer wie
Breivik, der sich hineinsteigert in eine Idee vom zeitgenössischen
„Kreuzrittertum“, der sich als Ein-Mann-Armee sieht, der eine grausame,
spektakuläre Tat ausführt, die beinahe hundert Menschenleben fordert, nur um
seine Meinungen unter die Leute zu bringen, der also buchstäblich ein Massaker
als Marketingaktion anrichtet, nicht ganz richtig im Kopf sein. Er ist
sicherlich auf viel verrücktere Weise ein Spinner, als einer, der sich Tag für
Tag die Finger am Computer wund schreibt, der in Blogs vor dem „demographischen
Dschihad“ warnt und den Halbmond schon über Deutschland aufgehen sieht. Aber es
ist auch nicht einfach so, dass der „irrsinnige“ Extremist vom „vernünftigen“
Extremisten durch einen Graben geschieden wäre, der eine gesund, der andere
krank. Denn schon der „normale“ Extremismus lebt von der Paranoia: der
Paranoia, dass wir hier alle von Moslems umzingelt sind, die nur darauf warten,
uns die Gurgel durchzuschneiden, er steigert sich hinein in einen Tunnelblick
und Verfolgungswahn. Weil der totale Paranoiker zum Mörder wird, ist der
„normale“ Paranoiker noch längst nicht vernünftig. Sondern allerhöchstens auf
sehr, sehr relative Weise.

Das Massaker von Oslo und Utoya ist eine Wasserscheide: Hat
die antiislamische Stimmung bisher allenfalls zu Pöbeleien und Gewaltakten gegen
Einzelne geführt, so ist sie nun erstmals in Massenterror umgeschlagen. Die
Zeit des Verniedlichens ist vorbei. In den vergangenen Jahren sind
Rechtspopulisten in verschiedenen Ländern Europas nicht nur zu gewichtigen
politischen Playern aufgestiegen – ein Aufstieg, den sie primär dem Schüren
antiislamischer Ressentiments verdanken -, sie wurden mehr und mehr beinahe als
„respektable“ Kraft angesehen, als etwas radikale, aber doch im Grunde
„normale“ politische Kräfte. Aufgrund von 9/11 und angesichts der Veränderungen
unserer Gesellschaften durch Migration wurden antiislamische Ressentiments
nicht nur verbreiteter, sondern auch hoffähiger. Um die Zirkel radikaler
Spinner bildeten sich konzentrische Kreise normaler Bürger, die zwar nicht alle
Postulate der Moslemhasser vertreten, doch manche ihrer Meinungen teilen und
selbst die bizarrsten Wortmeldungen tolerieren. Durchaus angesehene Zeitungen
gaben ihnen Raum, ihre Positionen zu vertreten. Kurzum: Die gesellschaftliche
Immunabwehr hat ausgesetzt. Sicherheitsdienste und Verfassungsschutz
durchleuchteten islamische Szenen, Linksradikale und die alten Neonazi-Kreise,
aber dass sich das Milieu der rechts-konservativen Wutbürger radikalisierte,
wurde übersehen – trotz dessen sichtbar wachsendem Groll gegen Multikulti,
Ausländer, Muslime, gegen alles, was anders ist, trotz deren zunehmend
menschenfeindlicher Sprache, mit der sie sich über „Hinternhochbeter“ und
„Schafficker“ auslassen.

Nach dem Massaker werden die geistigen Brandstifter jetzt
versuchen, den Kopf ein bisschen einzuziehen, sie werden wortreich bekunden,
dass sie mit der Tat eines solchen „Irren“ doch nichts zu tun haben, sie werden
versuchen, sich davonzustehlen. Man sollte sie nicht einfach so damit
durchkommen lassen. 

5 Gedanken zu „Isoliert die geistigen Brandstifter!“

  1. Und man sollte die Kants und Churchills, auf die sich ABB beruft, auch nicht so einfach durchkommen lassen. Aber halt – kann man ja ruhig, denn nur ein lebendes Feindbild ist ein valides.
    Es ist mir unbegreiflich, wie ignorant und zielgerichtet hier eine Kausalkette aufgebaut wird.
    Dieser Abschnitt diskreditiert den gesamten Artikel:
    „Denn schon der „normale“ Extremismus lebt von der Paranoia: der Paranoia, dass wir hier alle von Moslems umzingelt sind, die nur darauf warten, uns die Gurgel durchzuschneiden, er steigert sich hinein in einen Tunnelblick und Verfolgungswahn. Weil der totale Paranoiker zum Mörder wird, ist der „normale“ Paranoiker noch längst nicht vernünftig. Sondern allerhöchstens auf sehr, sehr relative Weise.“
    Es wird schlicht ein Strohmann-Argument (http://de.wikipedia.org/wiki/Strohmann-Argument) eingeführt, das aber selbst nicht konsequent ausgeführt wird, sondern sich sogar ad absurdum führt – „sehr, sehr relativ“.

  2. Man wird sie davonkommen lassen, weil „man“ eben der Meinungsmainstream ist, der genauso denkt.
    Wer sich im Internet umschaut und die kruden Kommentare zu selbst intelligenten Artikeln wie in der Zeit liest, kann fast die Hoffnung auf einen demokratischen Staat fallenlassen.
    Die Regierungen brauchen mal wieder Sündenböcke. Da werden rassistische Äußerungen wieder hoffähig und unter „Meinungsfreit“ wiederund wieder postuliert.
    Armes Europa – arme Welt.

  3. Schöner Artikel! Aber man sollte nicht den Fehler begehen, zu leichtfertig von links nach rechts zurückzupathologisieren. Nicht einmal primär, weil es nicht wahr wäre, sondern weil es gerade da, wo es wahr ist, zu nichts führt.

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