Das Internet ist kein Apparat, der aus Scheiße Gold macht

Mein Vortrag bei der „Netz für Alle“-Konferenz am 3. September in Berlin im Beta-Haus. 

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Ich fühle mich sehr geehrt, und auch ein wenig gestresst, unter so vielen hochkarätigen Experten und Expertinnen und Netzaktivisten und Netzaktivisten hier eine Keynote sprechen zu dürfen. Ich meine, auch ich habe Expertentum im Netz, aber es hält sich eben in den gemäßigten und gewohnten Bahnen: Ich google oft. Ich habe einen Facebook-Account. Und einen auf Twitter. Und einen Blog hab ich auch. Und auch einen Videoblog. Und ansonsten schaue ich mir mit großen Augen an, was da abläuft, und ich beobachte Menschen dabei, wie sie agieren, wie sie die Technologie benützen und verändern, und wie die Technologie sie benützt und dabei verändert. 
Sinnlos hinzuzufügen, dass ich, was die technologische Seite betrifft, das alles mit noch größeren Augen beobachte. Manchmal auch mit angstgeweiteten Augen: Dann nämlich, wenn was nicht funktioniert. Da bin ich ratlos und rufe Hilfe. Zum Glück hab ich genügend Leute, die mir dann im Notfall beispringen und die Bites wieder gerade rücken. 
Also, mit einem Wort, es ist eine Anmaßung, wenn ich hier jetzt über ein Themenfeld zu Ihnen spreche, über das sehr viele von Ihnen sehr viel mehr wissen als ich: Netz für alle. So kann ich ihnen nur die Gedanken anbieten, die ich mir so mache, wenn ich die Welt betrachte und in diesem Fall die Welt des Internets, und die Welt der Debatten über das Internet.
Vielleicht kann ich diese Anmaßung ja dadurch rechtfertigen, dass ich gerade das Offensichtliche, das eben so offensichtlich ist, dass es in unseren Expertendebatten oft aus den Augen verloren wird, so darstelle, dass es wieder sichtbar wird. Es gibt ja diese eigenartige Eigenart, dass oft das Banalste übersehen wird, eben ihrer Banalität wegen. 
Sie kennen das ja: Würde man die Fische fragen, wie es denn am Meeresgrund ist, würden sie vielleicht manches zu berichten wissen, aber eines würden sie womöglich nicht erwähnen: Dass es dort nass ist. 
Das Internet ist ja, so sagt man uns, eine mächtige Kraft der Demokratisierung. 
Ich meine, Sie haben ja davon gehört, dass ein Ägypter seiner Tochter, die kurz nach dem Sturz von Präsident Mubarak geboren wurde, vor lauter Dankbarkeit folgenden Namen gegeben hat: 
Facebook Jamal Ibrahim. 
Die Kleine heißt jetzt Facebook. 
Wenn’s ein Bub geworden wäre, hätte er ihn bestimmt Twitter genannt. 
Naja, immerhin besser als sie würde Google Plus heißen, ich mein, wie würde das denn klingen. 
Aber die Namensgebung ist natürlich ein Statement, und der ägyptische Vater hätte die Namenswahl nicht getroffen, wäre er nicht der Meinung, Facebook, die Sozialen Medien, das Internet mit seinem Raum der Kommunikationsfreiheit und seinen Organisationsmöglichkeiten hätte einen wesentlichen Beitrag zur arabischen Demokratiebewegung geleistet. Einen wesentlichen Beitrag erstens überhaupt zur Entstehung einer Kultur öffentlicher Widerrede in autokratischen Ländern, einen wesentlichen Beitrag zur Lancierung von Protesten und einen wesentlichen Beitrag zur Organisierung derselben. 
Damit ist unser ägyptischer Papa, möglicherweise ohne es zu wissen, ich habe darüber keine weiteren Kenntnisse, Teil einer weltweiten Kontroverse längst. 
Der Frage: Ist das Internet gut oder schlecht für die Demokratie? 
Die erste Position, die ein bisschen aus dem Techno-Utopismus rauskommt, welcher in den achtziger und vor allem den neunziger Jahren in Nerds-Kreisen kursierte, ist die: Ja, natürlich ist das Internet wunderbar für die Demokratie. Das ist ein total demokratisches Medium. Anders als die klassischen Medien, die Sender sind, und die Leser oder Zuseher sind nur Empfänger, ist das Internet ein dialogisches Medium. Jeder ist Sender. Und jeder kann sein Ding machen. Und keiner kann sagen, dass sein Ding wichtiger ist als das Ding der anderen. Und natürlich versuchen mächtige Wirtschaftsmonopole, aber auch Staaten und Regierungen, das Netz unter Kontrolle zu bekommen: Aber das wird ihnen aufgrund der dezentralen Architektur des Netzes und der technischen Raffinesse der vielen User nie gelingen. Das Internet gibt Bürgern auch aus autokratischen Ländern Zugang zu Information, aber auch die Möglichkeit sich mit anderen zu vernetzen und so ist es der Motor für demokratische Aufstände, in Osteuropa, Zentralasien, dann im Iran und jetzt in den arabischen Ländern. Aber es ist auch ein Tool für politisch dissidente Aktivisten in den entwickelten demokratischen Ländern des Westens.
Und wie das oft so ist kommt dann nach einiger Zeit die Gegenposition auf, die da heißt: Naja, so ein Instrument der Freiheit ist das Internet auch nicht. Erstens wird es nach und nach von großen Konzernen übernommen, die ihm die Anarchie austreiben und es standardisieren wollen. Zweitens wollen große Unterhaltungskonzerne, dass das auch im Internet bald so abläuft wie im Fernsehen und in Hollywood: Ein paar Big Players bestimmen, was wir sehen sollen. Und Regierungen versuchen ihm seine Freiheit auszutreiben.
Und außerdem: Mit der Mobilisierungskraft ist es nicht so weit her. Man empört sich, indem man auf Facebook bei irgendeiner Gruppe, die bei irgendwas dagegen ist, „Gefällt mir“ anklickt. Dann ist man politisch ganz aktiv, indem man dreißigmal am Tag „Gefällt mir“ klickt – woraus nichts, aber exakt überhaupt nichts Positives folgt. 
Und dann kommt noch hinzu: Das Internet und all die vielen modernen Kommunikationstools erlauben eine fast lückenlose Überwachung des Bürgers, er hinterlässt überall Spuren. Geschickte Despotien können das Internet doch wunderbar nützen für ihre Zwecke. Also nichts mit dem Demokratie-Utopia. 
Letztere Position gewann zuletzt an Gewicht, der Autor Evgeny Morozov wurde da etwa gehypt, der ein Buch geschrieben hat: The Net Delusion – übersetzt: Der Internet-Wahn. Darin geht’s um die „dunkle Seite“ des Netzes. Und der Mann ist natürlich ein guter Kronzeuge, weil er selbst ein demokratischer Aktivist aus Weissrussland ist, wo das mit der Revolution ganz schlecht funktioniert hat. 
Aber was ich an solchen Diskussionen so extrem fruchtlos finde ist, dass da dann oft und schnell beide Seiten in so eine Rigidität hineinfallen. Die einen sind total pro, die anderen total contra. Die einen sammeln nur Beispiele dafür, was für ein demokratisches Wunderland das Internet schafft, die anderen konzentrieren sich ausschließlich auf die Schattenseiten. 
Das ist natürlich eine Pathologie, die selbst der Logik medialer Aufmerksamkeitsökonomie folgt. Man muss die eigene These bis zur ultimativen Radikalität zuspitzen, und dann wird sie einer Gegenthese gegenüber gestellt, die ihrerseits bis zur ultimativen Radikalität zugespitzt ist. 
Weil nur dann gibt’s ein lebhaftes Pro und Contra, bei dem die Fetzen fliegen. Weil man glaubt, nur damit Aufmerksamkeit erregen zu können, indem man die eigene Position bis zur Karikatur ihrer selbst zuspitzt. 
Man kann dieses Muster des fruchtlosen Sektierertums ja auf vielen Feldern finden. Es ist das eigentümliche Sektierertum der Intellektuellen. 
Und was dann immer auf der Strecke bleibt, ist die reale Wirklichkeit. Weil natürlich, wenn ich eine Position in voller radikaler Reinheit modellieren will, dann muss ich alles ausblenden, was ihr möglicherweise widerspricht. 
Und das ist dann nicht selten die Hälfte der wirklichen Welt. 
Und das finde ich deshalb oft so frappierend, weil doch jeder, der Augen und O
hren hat, weiß, und zwar sehr genau weiß, wie es in Wirklichkeit ist. 
Also: Natürlich ist das Internet mit all seinen Gestaltungen eine Technologie, die für demokratische Mobilisierungen und Aktivismen aller Art gut genützt werden kann. Und das kann auch von mächtigen Konzernen nicht ins klassische Top-Down-Modell zurückmodelliert werden, weil diese Konzerne ja von ihren Usern leben. Youtube oder Facebook produzieren ja nichts, wenn nicht ihre Konsumenten etwas produzieren. Und wenn sie den Konsumenten die Lust am Produzieren nehmen, dann ist er bald perdu, der Marktwert dieser Unternehmen.
Und natürlich ist man vor dem Kastl vereinzelt, aber man ist auch mit sehr vielen Menschen vernetzt und stabiler vernetzt, als das ohne dieses Zeug der Fall wäre. Also, etwas, was früher nur Parteien oder große Organisationen konnten, eine große Menge an Menschen mit ähnlichen Auffassungen zusammen zu halten und für gemeinsame Ziele zu mobilisieren, das war ihre administrative Kompetenz, ihre Technologie war der Karteikasten und die Frankiermaschine, und das können jetzt auch Einzelne. 
Und gleichzeitig reduziert die schnelle Kommunikation auch unsere Aufmerksamkeitsspannen, sie richtet etwas an in unseren Gehirnen. Sagen wir so, sie trainiert uns nicht wirklich auf die ruhige Konzentration, die man zum Lesen eines langen Buches braucht. 
Und ja, das Netz, mit seiner Selbstvermarktungslogik ist auch eine Schule des Narzismus. 
Aber natürlich ist das Netz auch eine Schule des Free-Speech. Man gewöhnt sich heute vom Teeniealter daran, und auch in wenig demokratischen Ländern, zumindest im Raum des Web 2.0 seine Meinung zu sagen. Offen zu sagen. Und das verändert auch die Mentalitäten. 
Und natürlich gibt das in Autokratien einen Freiraum offenerer Kommunikation, auch wenn dieser Freiraum kontrolliert, beschnitten, gelegentlich zensuriert werden kann und wenn es den Gestapos unserer Tage auch immer wieder Daten liefert, sodass sie Dissidenten auf die Spur kommen und diese drangsalieren können. 
Also, mit einem Wort: In der wirklichen Welt ist weder alles Weiß-Weiß noch Schwarz-Schwarz, sondern eher Schwarz-Weiß mit vielen Grautönen. Und in der wirklichen Welt muss man sich deshalb immer wieder einfach zurück lehnen und fragen: Überwiegt nun das Gute oder das Schlechte? 
Und natürlich überwiegt das Gute, ist doch gar keine Frage, man muss schon einen ordentlichen kulturpessimistischen Hieb haben, wenn man das in Frage stellen will. 
Ich möchte, das alles vorausgeschickt, nun in der Folge in loser Systematik – oder eben Unsystematik – ein paar Fragen aufwerfen, die mir in diesen Zusammenhängen in den Sinn kommen. 
Zunächst einmal und grundsätzlich: Wenn das Internet nicht nur ein machtvolles Instrument zu demokratischen Teilhabe ist, sondern mehr als das, es ist heute eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Menschen ihre Chancen in unseren Gesellschaften wahrnehmen können, dass sie ihre Talente entwickeln können, dass sie ihre kognitiven Kompetenzen fortentwickeln können. Aber was heißt das denn dann? Dass das Internet ein öffentliches Gut ist, so wie der Versorgung mit Wasser, mit Elektrizität, mit bezahlbarem Wohnraum, ein gutes öffentliches Schulsystem oder ein funktionierendes Finanzsystem. 
Ja, bleiben wir bei der Analogie des Finanzsystems. Die Rettung der Banken wurde ja auch damit argumentiert, dass ein funktionierendes Finanzsystem eine Voraussetzung für wirtschaftliche Aktivität ist, damit für Prosperität und Wohlstand, und dass man die privatwirtschaftlich organisierten Banken nicht pleite gehen lässt wurde damit argumentiert, dass es desaströse Folgen für alle hätte, wenn man es täte. Zum öffentlichen Gut gehört aber auch dazu, dass jeder Zugang dazu hat, zu Bedingungen, die keine Exklusion begründen. Nun wissen Sie vielleicht, dass in sehr vielen Ländern in Europa Bürger, die ökonomisch einmal gestrauchelt sind, vielleicht in den Privatkonkurs gerutscht sind, in einem Obdachlosenwohnheim oder in Notunterkünften wohnen, keinen Zugang zu einem Bankkonto haben, und damit der Ressourcen beraubt sind, an ihrer mießlichen Lage etwas zu ändern. In Österreich hat sich vor einiger Zeit eine private Bank – die Erste-Bank – bereiterklärt, das ist so etwas wie ihr Corporate Social Responsibility – diesen Leuten ein Konto zu geben. Tolle Sache, aber halt eine freiwillige bemerkenswerte Initiative dieser Bank, die übrigens nicht nur vom Bankvorstand unterstützt wird, sondern auch auf ganz großartige Weise von den Bankmitarbeitern. Sie betreuen diese Kunden nämlich außerhalb ihrer Dienstzeit, das ist ein freiwilliges soziales Engagement. Nun gibt es aber eine Initiative der EU-Kommission, die noch viel toller ist, nämlich, indem argumentiert wird, da Finanzdienstleistungen öffentliche Güter sind, solle auch jeder Bürger ein garantiertes Recht auf ein Konto haben und nicht mehr abgewiesen werden dürfen. Dort, wo kapitalistisches Marktprinzip in Reinform herrscht, darf jeder Anbieter zwischen guten und schlechten Kunden unterscheiden. Wo es aber um öffentliche Güter geht, muss dieses Prinzip sistiert werden. Wo es um Bürgerrechte an Teilhabe geht, kann nicht zwischen guten und schlechten Kunden differenziert werden. 
Und ich denke, das gilt auch für das Internet. Deshalb sollte heute jeder und jede Bürgerin ein Anrecht auf einen Breitbandzugang zu vernünftigen Kosten haben, also zu Kosten, die sich jeder leisten kann. Und deshalb sollten auch Gebietskörperschaften kostenlosen Internetzugang anbieten an stark frequentierten Orten. Ich finde das immer skandalös, dass man sich etwa am Flughafen bei kommerziellen Anbietern einloggen muss. Es gibt Städte, wie etwa in Linz, wo man an jedem größeren Platz selbstverständlich gratis W-Lan-Zugang hat. Das sollte eine Selbstverständlichkeit werden. 
Das sollte ein Standard werden. 
Dabei, und da bin ich bei meinem nächsten Gedanken, bin ich gar nicht so ein Gegner privater Anbieter. Wenn private Anbieter niedrigschwellig und zu vernünftigen Preisen Güter anbieten, dann soll mir das Recht sein. Und ich weiß schon: Die Technologie ist nicht neutral. Sie presst uns in eine Konfiguration, die von privaten Interessen bestimmt ist. Wir haben diese Diskussion lebhaft im Zusammenhang mit dem Internet und seinen populärsten Diensten. 
Bis zu einem gewissen Grad erinnert diese Diskussion an die uralte linke Diskussion über Technologie und Eigentumsverhältnisse. Diese alte Diskussion, die ihren Ausgangspunkt beim alten Sozialismus nahm, der zunächst davon ausging, dass der technologische Fortschritt die Instrumente bereitstellt, die dann in einer sozialistischen Gesellschaft zum Wohle aller eingesetzt werden könnten. Gewissermaßen also: Die Technologie, die Maschine, die Fabrik, die sind neutral, wenn sie der Kapitalist einsetzt, dann ist das schlecht, aber wenn sie die Arbeiter einsetzen, dann ist das gut. Auf diese Position folgte dann der Einspruch, dass die Eigentumsverhältnisse in die Technologien eingeschrieben sind, dass wir bei der Beurteilung der Technologien nicht absehen können von den Bedingungen ihres Entstehens. Ich erinnere nur an Habermas „Technik und Wissenschaft als Ideologie“. 
Und wie so oft galt auch in diesem Fall, dass in dieser vielstimmigen Debatte nicht eine Seite recht und andere Seiten unrecht hatten, sondern dass ganz gewiss sehr viele Aspekte, die hier geäußert wurden, durchaus richtig waren. 
Und so ist das natürlich auch in diesem Fall: Wer will bei Facebook und anderen sozialen Diensten absehen von den Bedingungen ihres Entstehens, von den kommerziellen Intere
ssen ihrer Betreiber, auch von den politischen Kräften, denen sie ausgesetzt sind? 
Und viele sagen dann, das Netz ist dort frei, wo es praktisch selbstgemacht ist, ich sag das jetzt absichtlich alles so plump, und es ist dort unfrei, wo es kommerziellen Interessen unterworfen ist, es ist dort demokratisch, wo die User Herren ihrer Daten sind, und dort unfrei, wo mit ihren Daten etwas geschieht, worauf sie keinen Einfluss haben. 
Und da ist schon etwas dran, aber gleichzeitig schießt mir der Einwand durch den Kopf, dass diese freien Inseln des selbstgemachten Netzes auch immer vom Geist des Netz-Avantgardismus und des Nerdtums umweht sind, dass sich hier oft sehr kleine Gruppen tummeln, die ihre Kleinheit auch als Ausweis ihrer besonderen Avanciertheit vor sich her tragen. Es sind diese Kreise, die Netzfreiheit, Open Data, den Kampf gegen Vorratsdatenspeicherung, den Kampf gegen Datenkraken führen. Aber gleichzeitig sind diese Milieus selbst alles andere als barrierefrei und niedrigschwellig, wohingegen es die bösen kritisierten kommerziellen Dienste sind, die es vielen Menschen erlauben, sich öffentlich zu äußern, mitzutun, ihre Meinung zu Gehör zu bringen. Insofern müssen wir auch die Frage zulassen, ob nicht Facebook und Co., die so deppensicher sind, dass jeder sie bedienen kann, mehr für Freiheit und demokratische Gleichheit getan haben als alle Nerdiniativen, die so gerne die Nase rümpfen über diese großen kommerziellen Firmen mit ihren fragwürdigen Interessen, oder meinetwegen auf andere Weise genauso viel. 
Aber wie auch immer. Das Netz mit seinen abertausenden Kapillaren gibt schon heute viel mehr Menschen denn je die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen, sich mit anderen zusammenzuschließen, Einfluss zu nehmen, es verändert die politische Kommunikation, gewiss, gewiss, es macht sie auch nicht immer deliberativer, und was oft wie Kommunikation auf Augenhöhe aussieht, ist nur die neueste Form des Spindoctorships, aber gleichzeitig sehen wir, wie sich in dieser dialogischen Kommunikation zumindest die Möglichkeit für ganz normale Bürger ergibt, den Spin zu beeinflussen. Natürlich hat all das seine Grenzen und auch seine neuen Pathologien, auch im Netz sind alle gleich, aber manche sind gleicher, nur sind es vielleicht andere, als in der früheren Welt. Aber jedenfalls gilt, dieser Top-Down-Führungsstil, mit totaler Message-Controll, wie er sich in das vom Geist des Spin-Doctorship vergifteten politischen System eingeschlichen hat, das funktioniert im Netz nicht, das ist grundsätzlich zu dialogisch dafür, der Spin entsteht im dialogischen Prozess, aber er kann nicht mehr zentral gesteuert werden. 
Wir könnten hier stundenlang ins Detail gehen und die neuen Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie studieren.
Aber dafür fehlt die Zeit.
Ich möchte nur mehr eine Beobachtung zur Diskussion stellen, bevor ich zum Schluss komme. Lebendige Demokratie besteht ja nicht nur darin, dass jeder und jede seine Meinung sagen kann, nicht nur darin, dass jeder Bürger und jede Bürgerin oder jede Gruppe von Bürgern ihre Interessen zum Ausdruck bringen kann, sondern dass sie das in einer gemeinsamen Öffentlichkeit tun, dass sie nicht anarchisch aneinander vorbei reden. Demokratische Bürgerschaft ist ein Nebeneinander, das natürlich auch Aspekte des Miteinander kennen muss. „De Pluribus unum“, wie es am Wappen der Vereinigten Staaten heißt. Aus Vielen Eines. Nun, vielleicht muss man nicht aus Vielem Eines machen in dem Sinn, als das Heterogene homogenisiert würde, aber wenn das Bewusstsein der Bürger schwindet, dass sie als Bürger eines gemeinsamen Gemeinwesens auch irgendwie zusammen gehören und widerstreitende Interessen in einem deliberativen Prozess zu einem Neuen oder einem Konsens oder was auch immer zusammenzufügen haben, dann kann das auch neue Pathologien der Freiheit begründen. 
Und insofern kann man doch auch die Frage stellen, ob das Internet nicht schlecht für die Demokratie ist. 
Wir lesen die Blogs, die unseren Interessen entsprechen, wir lesen die Medieninhalte, die unseren Meinungen entsprechen, die Roboter der Sozialen Dienste präsentieren uns die Statusupdates, Links etc. jener Leute, die so ähnlich sind wie wir. Der Roboter von amazon weiß besser, was mir gefällt, als ich selber. Die Medienlandschaft differenziert sich aus, immer mehr in Special-Interest-Portale. Meinungsportale, wo eher, sagen wir, zugespitzte Meinungen vertreten werden, haben aufgrund der Aufmerksamkeitsökonomie starken Zulauf, weil, im Ozean der Daten hat der am meisten Aufmerksamkeit, wo es am lautesten kracht, und der Zulauf kommt aus dem Kreis derer, die sich mit diesen Meinungen identifizieren. In den Postingforen bestimmen oft diejenige den Diskurs, die am wüstesten sind und am aggressivsten sind, und was im normalen Umgang die Aggression zähmen und die Suche nach gemeinsamen Grundlagen begünstigen würde – seien es Gebote der Höflichkeit, oder der Gestus des Dialogischen -, das ist in diesen Foren weitgehend sistiert. Ganz grundsätzlich begünstigt das Internet jedenfalls nicht einen gemeinsam erlebten Raum heterogener Menschen, sondern es führt allzu oft zur Selbst-Segregation und einer neuen Art von Tribalismus, und zu Polarisierung, es führt also, wie jemand einmal so schön schrieb, zu vielen kleinen Republiken von Menschen, die jeweils ähnlich denken, sich mit ihresgleichen zusammenschließen, sich wechselseitig bestätigen, manchmal auch hochschaukeln und eine fruchtbare, dialogische, wechselseitiges Verständnis und Achtung fördernde Begegnung scheuen. 
Geteilte Kommunikationserfahrungen, die Menschen über Differenzen hinweg verbinden können, sehen jedenfalls anders auch.
Hier möchte ich meine Ausführungen, die, wie gesagt, durchaus unsortiert waren, schließen.  Netz für alle, das ist heute eine Bedingung für mehr Partizipation, aber auch dass Menschen ihre Talente entwickeln können und aus ihrem Leben etwas machen können. Netz für alle, das ist bedroht von neuen Machtknoten in diesem Netz, aber ich habe den Eindruck, dass diese Bedrohung oft ein wenig übertrieben wird. Netz für alle, macht aber unsere Demokratie nicht notwendigerweise demokratischer, weil zur Demokratie nicht nur gehört, dass jeder sich äußern kann, wie er mag, und sein Ding machen kann, wozu er oder sie gerade lustig ist, sondern Demokratie braucht neben der Heterogenität auch gemeinsame Räume, und die zentrifugalen Tendenzen, die allgemein in unseren Gesellschaften zunehmen, werden von der Kultur, die im Netz gedeiht, nicht gerade gebremst. 
Kurzum: Das Internet ist gut für die Demokratie, aber es ist keine Wunderapparatur, die aus Scheiße Gold macht. Ich bin mir sicher, das haben Sie schon geahnt. 
Ich danke Ihnen.

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