Oh Gott, der Papst!

Benedikt XVI: Nett? Kautzig? Unwichtig? Unbelehrbar? Gefährlich? Ein Mann, der den Rückwärtsgang in die Vormoderne einlegen will? Sechs unaufgeregte Thesen zu einem Besuch, den keiner will. Der Freitag, 22. September 2011
Jetzt ist er da, der Papst. Und anders als bei vorangegangenen Besuchen, etwa dem Kölner Weltjugendtreffen, will selbst bei gläubigen Katholiken keine allzu große Euphorie aufkommen. Im Gegenteil, gerade unter Kirchenanhängern sehen viele in Pontifex Ratzinger den verstockten Alten, der sich Reformen verweigert und die Aufklärung von Skandalen verschleppt, die gerade ihnen das Leben schwer machen. Und den anderen, die mit dieser katholischen Kirche ohnehin nichts am Hut haben? Denen ist der Papst reichlich wurscht. Die allgemeine Stimmung lässt sich salopp also so beschreiben: Ein Besuch, den keiner will. Nichts wäre da leichter als in das Lamento über „den Unbelehrbaren“ (so das Spiegel-Cover von dieser Woche) einzustimmen. Deshalb hier ein paar, wenn schon nicht wohlwollende, so doch auch ein bisschen gerechte Überlegungen in Thesenform. 

Erstens: Lasst dem Kerl seine Meinung sagen! Ist ja nur eine unter vielen.
Wenn Papst Benedikt XVI. im Berliner Bundestag sprechen wird, werden einige dutzend Abgeordnete den Saal verlassen. Weil sie finden, dass das zuviel des Privilegs ist; weil sie finden, dass ein Mann, der altmodische Ansichten zur Rolle der Frau hat, hier nicht reden soll; dass ein Kirchenfürst, der in seinem Reich eine absolute Herrschaft führt, in einem demokratischen Parlament nichts verloren hat. Und diese Kritiker haben natürlich mit vielen Kritikpunkten recht. Allein, dass Benedikt nur deshalb im Parlament reden darf, weil er protokollarisch als „Staatsoberhaupt“ (des Vatikan nämlich) durchgeht, hat etwas Schlüpfrig-Hintertürmäßiges. Denn faktisch redet er als Chef einer Weltglaubensgemeinschaft. Und doch begibt er sich auch in eine Position, die er eigentlich nicht einnehmen will: Er formuliert Haltungen zu gesellschaftlichen Fragen, die mit anderen Haltungen in Konkurrenz treten. Insofern muss selbst der Papst längst den Pluralismus von Werthaltungen akzeptieren. In der Demokratie mit schwachen religiösen Banden und dem Nebeneinander von Gläubigen verschiedener Glaubenrichtungen und auch von Ungläubigen und religiös Ungebundenen, ist auch die katholische Kirche nicht mehr das, was sie eigentlich sein will: zentrale Instanz in Fragen der Lebensführung. De fakto formuliert auch sie – und auch ihr Oberhaupt – nur eine unter vielen möglichen Positionen, die sich dem Meinungsstreit aussetzen muss. Und das ist ja dann wieder okay. Der Papst darf seine Meinung schon haben. Sie ist nur um nichts erhabener als die Meinung anderer. Und wenn er diese Meinung als Gast im Bundestag vorträgt, dann kann man natürlich sagen: Nicht jeder darf seine Meinung im Bundestag vortragen. Stimmt schon. Deshalb hebt es mich vor Zorn aber auch nicht aus den Schuhen. 
Zweitens: Böser Werterelativismus? So ein Blödsinn!
Wenn der Papst in einer Demokratie seine Meinung sagen darf, dann darf man natürlich auch sagen, dass man seine Meinung für Schrott hält. Besonders seine Meinung in Hinblick auf jene Frage, die ihm am Wichtigsten ist: Dem Kampf gegen den „Werterelativismus“. Damit hat Ratzinger ja zunächst auch bei nichtgläubigen Menschen einen Punkt gemacht. Denn viele finden ja, dass eine Kultur der Beliebigkeit eingezogen ist in unsere westlichen Gesellschaften, dass sich alles nur mehr um Geld oder Fun dreht. Und dann kam der Papst und sagte der „Diktatur des Relativismus“ den Kampf an, „der nichts als endgültig anerkenne und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt“. Dabei meint aber Benedikt nicht einmal, dass unsere Gesellschaften „unmoralischer“ geworden sind, sondern dass die Moral gewissermaßen im Plural auftritt. Dass verschiedene Werthaltungen nebeneinander bestehen, es aber keine zentrale Instanz mehr gibt, die zwischen verschiedenen Ethiken entscheiden kann. Kampf gegen Werterelativismus, so wie der Papst das versteht, heißt im Grunde: Unsere Moral ist moralisch, die der anderen ist gefährlich relativ; dass die einen die Moral gepachtet haben, während die anderen im Lager des Relativismus stehen – und damit mit einem Bein in der Hölle. Und das ist natürlich Quatsch: Der Werterelativismus ist, wie der italienische Philosoph Paulo Flores d’Arcais formulierte, „die Basis für einen ethischen Pluralismus, ohne den demokratische Gesellschaften nicht existieren können“. Aber im Kampf gegen den Werterelativismus offenbart sich die ganze „Unmöglichkeit“ der Ratzingerschen Position: Einerseits will seine Kirche Stimme in der pluralistischen Gesellschaft sein, andererseits dementiert sie immer diesen Pluralismus, indem sie sich als Stimme mit privilegierten Zugang zur Wahrheit darstellt – wir moralisch, die anderen relativ. 
Drittens: Er soll nicht glauben, dass er seine Moralvorstellungen anderen aufzwingen kann.
Benedikt und seine Kirche formulieren Moralvorstellungen in Hinblick auf Sexualleben, Ehe oder Homosexuelle. Die dürfen sie schon haben. Aber sie wollen diese Moralvorstellungen auch anderen aufzwingen. Letztendlich würden sie, wenn sie könnten, diese Moralvorstellungen in Gesetze zwingen, die für alle gelten. Und das ist schon weniger in Ordnung. Wenngleich man auch hier einschränken muss: Es ist prinzipiell nichts dagegen zu sagen, wenn man versucht, andere von seinen Moralvorstellungen zu überzeugen, und der Meinung ist, dass eine Gesellschaft besser funktionieren würde, wenn die eigenen Moralvorstellungen von anderen übernommen werden. Denn es trifft doch nicht nur für die Kirche zu, sondern letztendlich für alle Menschen, die eine bestimmte Ethik der Lebensführung haben – dass sie ja nicht nur der Meinung sind, dass diese Ethik für sie gut ist, sondern auch für andere Menschen gut wäre, wenn sie sie teilen würden. Niemand würde formulieren: Ich finde es schlecht, Kinder zu schlagen, aber im Rahmen einen Pluralismus der Lebensführungen ist es okay, wenn ein anderer seine Kinder schlägt. Und zwar nicht nur, weil die Kinder die Leidtragenden sind. Man würde diese Meinung auch vertreten, wenn nur der, der sein Leben auf falsche Weise führt, der alleinige Leidtragende wäre. Aber eben nur bis zu einem gewissen Grad, der heute selbst Teil der pluralistischen Moral einer Gesellschaft geworden ist, der lautet: Leben und leben lassen. Unterschiedliche Lebensentwürfe werden heute längst instinktiv geachtet, wenn der, der sie lebt, damit glücklich ist und niemanden anderen damit in Mitleidenschaft zieht. Auch das wäre für Herrn Ratzinger Relativismus. 

Viertens: Wie die Kirche intern funktioniert ist ihre eigene Sache
Vieles was dem Papst an Kritik entgegenschlägt bezieht sich aber heute auf das interne Regime der Kirche: Das Zölibat. Die Rolle der Frau – beziehungsweise die „Nicht-Rolle“ der Frau in der katholischen Kirchenhierarchie. Die Folgen, die das für die Kirche selbst hat: Abwendung der Gläubigen, Kirchenaustritt, die verkrüppelte Sexualität von Priestern und Ordensangehörigen, die Mißbrauchsskandale. Der Priestermangel. Sehr viele Katholiken regen sich über all das auf, aber auch viele Nicht-Katholiken regen sich darüber auf, die Zeitungen sind voll mit all dem. Dabei geht das, sofern es sich nicht um Verbrechen handelt – wie etwa den Missbrauch – eigentlich nur die Katholiken etwas an. Ich, beispielsweise, als Atheist und Nichtmitglied irgendeiner Glaubensgemeinschaft, habe nie verstanden, warum ich mich über das Zölibat und die untergeordnete Rolle der Frau in der Kirche erregen soll. Das ist das Problem der Kirche und ihrer Angehörigen. Aber doch nicht meines. Wem das nicht passt, der kann diese Kirche ja verlassen. Wem es nicht passt, sie aber nicht verlassen will, der kann ja innerhalb der Kirche dafür kämpfen, dass das geändert wird. Aber im Grunde geht mich das nichts an. Ich finde es eher anstrengend, dass wir Nichtkatholiken dauernd mit Berichten über die internen Probleme dieses Ladens belästigt werden, die für uns doch eigentlich vollkommen uninteressant sind. 

Fünftens: Die Rede vom „christlichen Europa“ ist zu einem Kampfbegriff geworden
Der Papst spricht gerne vom „christlichen Europa“, und betont dabei die Bedeutung des Christentums und der griechischen Philosophie für die Geschichte des Kontinents. Fortschrittlichere Katholiken würden vielleicht stärker die „judeo-christlichen“ Grundlagen Europas betonen, um mehr Gewicht auf die rebellischen Traditionen der jüdischen Propheten zu legen, die gegen die Obrigkeit wetterten. Egal, es ist jedenfalls modern geworden, von der christlichen Grundierung unseres Kontinents zu sprechen. Was aber nicht übersehen werden darf: Wer in den achtziger oder neunziger Jahren so gesprochen hat, der hat vielleicht nur eine nüchterne-ideengeschichtliche Analyse vorgetragen, um die ph
ilosophischen Prozesse zu beschreiben, die dann auch in Aufklärung, Kirchenkritik und Moderne gemündet sind. Aber heute ist die Rede vom christlichen Europa zu einem Kampfbegriff geworden. Weil angesichts von ethnischer Vielfalt in Europa selbst, aber auch Aufgrund der Globalisierung religiöse Identitäten wieder bedeutender werden (oder weil es den Anschein hat, sie würden bedeutender), zieht neue Aggressivität ein. Motto: Wir Christen gegen „die Moslems“. Mal sieht man sich bedroht vom Islam, mal ist man auch beeindruckt von der anscheinenden Glaubensstärke frommer Moslems. Von der Art: Schön, wenn unsere Leute auch so wären. Und dann sieht man das christliche Europa als Bollwerk gegen den Islam. Aber das verkompliziert die Konflikte nur, die mit religiöser und ethnischer Vielfalt einher gehen. 
Sechstens: Gott schütze uns vor der Rückkehr der Religionen!
Noch vor wenigen Jahren erschien ausgemacht, dass die Säkularisierung unaufhaltsam sei. So prophezeite Peter Berger, der führende zeitgenössische Religionssoziologe des Westens, Anfang der siebziger Jahre. „Im 21. Jahrhundert werden sich religiöse Gläubige wahrscheinlich nur noch in kleinen Sekten finden, aneinandergekuschelt, um einer weltweiten säkularen Kultur zu widerstehen“. Nun, es kam ein bisschen anders. Nicht, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften aus allen Nähten platzen, aber verschwunden ist religiöses Bewusstsein nicht und es sieht sich subjektiv jedenfalls so sehr im Aufschwung, dass schon die „Renaissance der Religionen“ ausgerufen wird. Jedenfalls: Los werden wir die religiösen Gemeinschaften nicht, und dass sie so bald wegen Säkularisierung und Moderne an innerer Auszehrung dahinscheiden, ist unwahrscheinlich. Freikirchen und Sekten haben Zulauf, weil die Menschen sich auf Sinnsuche machen. Aber ist das gut in ethnisch und religiös vielfältigen Gesellschaften, wenn die Religionen wieder in den Vordergrund drängen? Nein, dann brauchen wir eher mehr Säkularisierung als weniger. Wenn wir katholischen, protestantischen, jüdischen, moslemischen, buddhistischen, hinduistischen Kirchenfunk einführen würden, würden uns die Ohren klingen von all dem religiösen Hintergrundrauschen. Gerade weil die Privilegierung einzelner Religionen unter den Bedingungen religiöser Vielfalt nicht mehr begründet werden kann, kann die Leitlinie nur mehr heißen: Jeder darf glauben, privat, wozu er lustig ist, aber er soll bitte andere nicht damit belästigen. 
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