Der große Plan

Was Verschwörungstheorien so attraktiv macht

Dass heute überall Verschwörungstheorien grassieren, ist eine hinreichend bekannte Tatsache. Neu ist das ja nicht: In der Geschichte kannten wir dumme und unappetitliche Verschwörungstheorien wie das Märchen von den „Weisen von Zion“, um den JFK-Mord rankten sich genauso viele Verschwörungstheorien wie später dann um 9/11. Und seit jeher glauben manche Leute gerne daran, dass Zirkel von Mächtigen sich verschwören oder sonst irgendwie zusammentun, um die Welt zu regieren oder zumindest zu manipulieren, wie etwa die Mythen von den „Bilderbergern“. Es ist immer schön, mitanzusehen, welche Phantasien manche Leute von solchen Zirkeln haben, wenn man gelegentlich mit anderen Leuten redet, jenen nämlich, die an solchen Treffen teilnehmen. Die jammern dann nämlich meist: „Mein Gott, ich hab mich fürchterlich gelangweilt.“ Da wird nämlich meist sinnlos und endlos palavert.

An die Macht solcher Zirkel glauben nur ihre Kritiker, und die Organisatoren solcher Zusammenkünfte, meist wichtigtuerische Angeber, sind glücklich, dass man ihnen so viel Macht zuschreibt – dass sie wenigstens irgendjemand für wichtig hält. 

Über all diese Verschwörungstheorien und ihre kindliche Sehnsucht zur Vereinfachung der Welt kann man viel sagen und es wurde schon viel darüber gesagt. 

Mir scheint aber eines an ihnen interessant zu sein, was gerne übersehen wird: Es ist die Vorstellung, dass irgendwer doch regieren müsse. Dahinter steht eine Vorstellung vom „Regieren“, die einfach nicht wahrhaben will, dass in einem solch eminenten Sinn überhaupt niemand regiert. Die Idee dahinter: Irgendjemand hat einen Plan und setzt den auch um. In der Wirklichkeit ist es aber meist so: Fast überhaupt niemand hat einen Plan. Und wer einen hat, hat meist nicht die Macht, ihn umzusetzen. 

Es ist immer gut, so 40 Jahre später irgendwelche Politikerbiographien zu lesen – dann kriegt man mit, dass das meiste, von dem man sich einst fragte, „was steckt dahinter?“, nichts als ein zufälliges Gestolper von Tag zu Tag war, hinter dem gar nichts steckte. Und das die meisten, von denen man dachte, sie würden handeln, selbst nicht wussten, wie ihnen geschieht. 

Regierende reagieren viel häufiger auf aktuelle Probleme, ohne einen großen Plan zu haben; sie sind Beratern und Lobbyisten ausgesetzt, die sie mal in die eine, mal in die andere Richtung zerren; sie müssen sich mit anderen Regierungskollegen auf etwas einigen, und mal setzt der eine ein paar Sachen durch, mal der andere ein paar andere. Nichts ist wahrscheinlich so planlos, so erratisch, so sehr auch von Zufällen abhängig wie modernes Regierungshandeln. 

Man spürt das instinktiv. Und will es nicht wahrhaben. Und imaginiert hinter der völlig offensichtlichen Planlosigkeit dann irgendwelche finsteren Pläne, die in der Phantasie umso reibungsloser funktionieren, je weniger von ihnen bemerkbar ist. Der unsichtbare Plan ist in dieser Phantasie der perfekte Plan. Verschwörungstheorien sind also vor allem Symptom jener narzistischen Kränkung, die darin besteht, dass etwas so Komplexes wie unsere Welt offenbar derart planlos dahinschreddert.


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