Dieses Gefühl der Unsicherheit

Wirtschaftskrise. Wie ein Gift frisst sich das
Unsicherheitsgefühl in unsere Gesellschaften. Jetzt sehen wir:
Sicherheitsgefühl macht nicht antriebslos. Im Gegenteil: Angst lähmt.
Falter, 11. Juli 2012

Wie wir zur „Sicherheit“ stehen, das hängt verdammt davon
ab, wie man fragt. Würden Sie das „Risiko“ der „Sicherheit“ vorziehen? Eher
nicht. Aber dafür die „Freiheit“ der „Sicherheit“? Womöglich schon. Wir haben
die Phrasen im Ohr, mit denen in den vergangenen Jahrzehnten von „Wirtschaftsvertretern“
gegen die „Vollkaskomentalität“ polemisiert wurde, gegen das Bedürfnis der
Bürger, in einen langweiligen Wattebauschen aus „Sicherheit“ gehüllt zu werden.
Aber das Sicherheitsbedürfnis des Spießbürgers wurde auch von den Punks verlacht
– Motto: „No Risk, no Fun“ -, wahrlich seltsame Allierte der Neoliberalen.

Nur: Über das Sicherheitsgefühl kann man herrlich spotten,
solange es in ausreichendem Maße vorhanden ist.

Aber seit dem Absturz in die Wirtschafts- und Finanzkrise
haben wir nicht nur ökonomische Probleme, das Gefühl der Unsicherheit frisst sich
in die Gesellschaften hinein. Ja, so ein eigentümliches Unsicherheitsgefühl,
das sich ausbreitet, in jeden Einzelnen hinein. Es wirkt wie eine tägliche
kleine Dosis Gift, sodass wir mit einem mal dauernd Leuten begegnen, die Angst
haben. Und wir lernen plötzlich wieder, dass Unsicherheitsgefühle Auswirkungen
auf das Verhalten von Menschen haben und damit wiederum ökonomische
Auswirkungen – dass das Gefühl von Unsicherheit sogar noch mehr Unsicherheit
produzieren kann.

„Das Wichtigste wäre jetzt, den Menschen wieder das Gefühl von Sicherheit zu geben“, sagt der US-Ökonom James K. Galbraith, und fügt den, für einen Keynesianer erstaunlichen, Satz hinzu: „Im Augenblick würden Konjunkturprogramme verpuffen. Die Leute würden auf dem Geld sitzen bleiben.“ 

Wieso das? Konjunkturprogramme wirken, weil der Staat Nachfrage generiert und damit Geld in die Wirtschaft pumpt. Unternehmen haben dann Einnahmen, ihre Beschäftigten haben dann Einnahmen. Die Unternehmen investieren, die Beschäftigten konsumieren, so kommt der Wirtschaftskreislauf wieder in Schwung. In der Theorie. Was aber, wenn die Unternehmer nicht investieren, weil sie vom grassierenden Unsicherheitsgefühl angesteckt sind, und sich das mit ein paar Finanzspritzen und Notfall-Handwerkereien nicht verscheuchen lässt? Und die Beschäftigten das Geld sparen, weil sie nicht wissen, was das nächste Jahr bringt? Weil sie sich denken, dass sie besser ihr Geld beisammen halten, um sich die Ausbildung ihrer Kinder leisten zu können. Dann scheitert staatliche Politik an einem Gefühl am grassierenden Gefühl der Unsicherheit. „Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst“, das ist deshalb wohl der legendärste Satz des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, gesprochen am Höhepunkt der Großen Depression der 30er Jahre, also in einer sehr ähnlichen Situation wie der unseren.

Gefühle sind ökonomisch nicht neutral, die Furcht kann vielmehr das Befürchtete erst herbeiführen, wie die Kollegen vom „Herdentrieb“-Wirtschaftsblog der deutschen „Zeit“ jüngst zeigten. Sie stellten sich die Frage, was es mit dem Argument auf sich hat, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den Euro schon retten werde, aber das gewissermaßen nicht offen sagen darf, damit sie den „Reformdruck“ auf Länder wie Griechenland oder Spanien nicht verringere: „Indem wir erstens Italien, Spanien und all die anderen im Unsicheren lassen, erhöhen wir zwar den Reformdruck. Zugleich aber treiben wir die Länder damit dem Ruin entgegen, weil es genau diese Unsicherheit ist, die das Kapital vertreibt und die Investitionsbereitschaft lähmt. Griechenland ist ein Paradebeispiel. Die Krise ist dort auch deshalb so gravierend, weil niemand in einem Land investiert, wenn er nicht weiß, ob es nicht die Deutschen nächste Woche aus der Währungsunion werfen.“

 „Die Unsicherheit ist enorm hoch“, klagte, nur so ein Exempel, Charles Dallara, Chef der internationalen Banker-Lobby IIF vergangene Woche. „In dieser Situation die privaten Geldgeber zu verschrecken, wäre fatal.“ Leute wie Dallara setzen die Unsicherheit auch strategisch ein, aber sie haben sie natürlich nicht erfunden.

Unsicherheit produziert fatale ökonomische Kosten. Zwar ist die Marktwirtschaft auf Unsicherheit begründet (da Unternehmer nie mit Sicherheit im Voraus wissen, ob ihr Investment rentiert), aber das Unsicherheitsgefühl ist Pest für sie: Ohne den Optimismus, der aus dem Sicherheitsgefühl resultiert, kann sie nicht brummen. John Maynard Keynes, der als erster gezeigt hat, dass deshalb einer Volkswirtschaft langfristig unter ihren Möglichkeiten bleiben kann, wurde deshalb nicht zufällig der „Ökonom der Unsicherheit“ genannt.  Wenn man das erst einmal begriffen hat, dann ist das durchaus keine Kleinigkeit. Denn die konservative Wirtschaftsideologie hat „Sicherheit“ jahrelang mit Lahmheit, Faulheit, Antriebslosigkeit gleichgesetzt. Aber das Gegenteil ist der Fall: Unsicherheit führt zu Antriebslosigkeit, dagegen kann Sicherheit Energien freisetzen. Und das stimmt für die makroökonomische Ebene einer ganzen Volkswirtschaft genauso wie für jeden einzelnen Wirtschaftsakteur.

 Gewiss schadet ein bisschen Risikogeist nicht, wenn man seine individuellen Talente entwickeln will. Wer aber von chronischer Unsicherheit regelrecht befallen ist, der wird sich eher gar nicht mehr bewegen – und damit möglicherweise überhaupt nichts aus sich machen. Das Bedürfnis nach Autonomie kann mit dem nach Sicherheit gewiss gelegentlich kollidieren, vor allem aber ist Sicherheit jener – „sichere“ – Grund, auf dem sich Autonomie erst entfalten kann. Das war seit jeher das Paradoxon des Sozialstaats: Die Sicherheiten, die er garantierte, wurden zu mächtigen Kräften des Individualismus. Und umgekehrt, behindert Unsicherheit Individualität, wie der französische Sozialforscher Robert Castel formuliert: „Kann ein Arbeiter, von dem man Flexibilität erwartet, vielseitige Einsatzbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Eigeninitiative und die Fähigkeit, sich ständig an Veränderungen anzupassen, all dies ohne ein Mindestmaß an Absicherung überhaupt leisten?

Das klang total altlinks, solange nur die kleinen Leute vom Unsicherheitgefühl befallen waren. Jetzt, wo auch das Kapital – scheu und ängstlich, wie es ist – von leiser Panik erfasst ist, ist Sicherheit plötzlich gar nicht mehr so out. 

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