Umverteilen? Ja, und bitte kräftig!

Vor fünf Jahren galt die Forderung nach Reichensteuern als Schnapsidee irrer Linker. Das zumindest hat sich geändert. Und das ist ja immerhin etwas. Der Freitag, 9. August
Ein Bündnis von Gewerkschaften, Sozialverbänden, Attac und anderen NGOs fordert nun (wohlwollend unterstützt von SPD, Grünen und Linkspartei) Reichensteuern und hat einen ganzen Strauß von Vorschlägen parat: Höhere Spitzenssteuersätze, eine Reform der Erbschaftssteuer, höhere Kapitalertragssteuern. Dass diese Forderung von diesen Protagonisten erhoben wird, ist daran das wohl am wenigsten Bemerkenswerte. Das Bemerkenswerteste daran ist, dass diese Forderung langsam drauf und dran ist, zum Mainstream zu werden. Man sieht das daran, wie defensiv heute die üblichen Anwälte der Top-Vermögenden auf diese Forderung reagieren: Wäre das Ansinnen vor fünf Jahren noch als Schnapsidee irrer Linksradikaler abgetan worden, so wird heute eingeräumt, dass es natürlich grobe Vermögensungleichheiten gibt, die jedem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, dass ein wenig mehr Umverteilung von Oben nach Unten „natürlich“ notwendig sei, aber bitte „mit Maß und Verstand“ (so beispielsweise die Süddeutsche vom vergangenen Montag). Also, bitte, nur in kleinen Schritten und in homöopathischen Dosen. 
Nach vier Jahren Finanzkrise ist die neoliberale Ego-Ideologie nicht besiegt, und auf die Politik hat sie nach wie vor dominanten Einfluss, aber im gesellschaftlichen Ringen um Meinungs-Hegemonie steht sie heute so schlecht da, dass sie zunehmend Rückzugsgefechte führt. Längst hat sie es aufgegeben, uns zu erklären, dass gesellschaftliche Ungleichheiten in Kauf genommen werden müssen, wenn man eine brummende Wirtschaft will, und dass das doch schön ist, wenn die Talentierten reich sind und in schönen Villen wohnen. 

Tatsächlich sind heute ein paar Dinge klar. Erstens, die Einkommens- und Vermögensungleichheiten haben in den vergangenen zwanzig Jahren dramatisch zugenommen und das hat der Wirtschaft geschadet. Heute verfügen in praktisch allen westlichen Industriestaaten die reichsten 10 Prozent über rund zwei Drittel aller Vermögen und die übrigen 90 Prozent dürfen sich den verbleibenden Rest teilen. Die Schere geht immer weiter auf. 
Zweitens: Mag man das schon als unfair genug ansehen, so kam mit der Finanzkrise noch eine weitere Dimension dazu. Indem das Finanzsystem gerettet wurde, wurden auch die Vermögen der Vermögenden gerettet. Die Reichen haben überproportional profitiert von den Rettungsaktionen der Regierungen, aber bezahlt werden diese Rettungsaktion von allen Steuerzahlern gemeinsam. Schlimmer noch: Die Reichen lassen sich die Rettung ihrer Vermögen auch noch bezahlen, da sie den verschuldeten Staaten Geld leihen und dafür Zinsen kassieren – während von den Budgetkürzungen vor allem die normalen Leute betroffen sind. Das Gefühl, dass es nicht mehr gerecht zugeht, ist deshalb in den vergangenen Jahren dramatisch angewachsen. 
Drittens: Das Wachstum der Ungleichheiten ist selbst eine wichtige Ursache der Finanzkrise gewesen. Denn dem Wachstum der Vermögen steht auf der anderen Seite ein Wachstum der Schulden gegenüber – was immer jemand an Aktiva hat, muss jemand anderer an Passiva haben. Vermögenswachstum heißt Schuldenwachstum und macht eine Ökonomie instabiler und störungsanfälliger. Aus diesem und noch ein paar anderen Gründen ist grobe Vermögensungleichheit Gift für die Wirtschaft, sogar unter den Bedingungen einer kapitalistischen Marktwirtschaft. 
Und viertens wissen wir heute aus einer Vielzahl an Studien, dass Gesellschaften schlechter funktionieren, ja gröber die Ungleichheit ist. Andersrum gesagt: Je gleicher eine Gesellschaft, umso besser funktioniert sie, umso glücklicher sind die Bürger. 
Nur mehr lernresistente Phantasten können heute noch behaupten, dass wachsende Ungleichheiten irgendwelche positiven Auswirkungen auf ein Gemeinwesen haben. Bloß: Ungleichheiten, die einmal realisiert sind, lassen sich nicht so leicht wieder reduzieren. Wer in Reichtum geboren wird, hat bessere Startchancen ins Leben, er wird eine bessere Ausbildung haben, von gesellschaftlichen Beziehungen profitieren, ein höheres Einkommen haben und später auch noch Millionen erben. Wer hat, dem wird gegeben. 
Um dieses Rad wieder zurückzudrehen helfen keine homöopathischen Arzneien. Da braucht es dann schon durchaus kräftige Steuersätze für Erbschaften über einer bestimmten Freigrenze. Und schmerzhafte Spitzensteuersätze für absurd hohe Einkommen. 
Die Besitzstandswahrer in den Top-Etagen unserer Gesellschaft werden sich ohnehin mit Zähnen und Klauen wehren, so dass jede einzelne dieser Maßnahmen, sollten sie überhaupt je umgesetzt werden, das lange Bohren dicker Bretter voraussetzen wird und viele Kompromisse nötig sein werden. 
Aber die Beweislast, wenn man das so nennen mag, hat sich gedreht: Heute sind es die Propagandisten der verschiedenen Reichenverteidigungsligas, die erklären müssen, warum sie gegen Vorschläge sind, die von den meisten Bürgern als gerecht angesehen werden, die vernünftig sind und ökonomisch sinnvoll. Und sie müssen auch noch eines erklären: Wieso spielen sie sich eigentlich bei anderen Gelegenheiten dauernd als Champions „fiskalischer Disziplin“ auf, wie können sie fordern, dass der Staat seine Budgets in Ordnung bringt – und gleichzeitig höhere Beiträge jener, die es sich leisten können, ablehnen? 
Wer am einen Tag dafür ist, die Staatsschulden abzubauen und am anderen dem Staat Einnahmen entziehen will, der ist doch eigentlich nicht recht ernst zu nehmen. Er sollte einfach die Klappe halten. 
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