American Diaries, Teil 5: Mit den jungen Rappern auf der Southside

Ist jetzt natürlich schon etwas überholt, aber vielleicht doch noch ein wenig interessant. Die letzten Stunden vor Schließung der Wahllokale habe ich mich auf der Southside von Chicago herumgetrieben und nachher in Hyde-Park, dem Heimatviertel von Barack Obama: 
Ich komme gerade von der South-Side von Chicago. Das ist eine doppelt interessante Gegend: Erstens ist es das, was man so einen sozialen Brennpunkt nennt – die unterprivilegierte Wohngegend von Chicago; und zweitens ist das der Heimatbezirk von Präsident Barack Obama, und er lebt immer noch hier, wenn er in der Stadt ist. Ich bin eher von der westliche Seite in diese Neighborhood hineingefahren, was zwar ein Irrtum, aber dann sehr spannend war. Das ist gewissermaßen das Armenviertel der Stadt. Hier ist man einfach der einzige Weiße im Bus. Ein paar Blocks weiter in den Osten der Southside, im Hyde-Park-Viertel, Richtung Lake Michigan hin, wo auch die University of Chicago liegt, ist es dann ein völlig anderes Bild. Statt der heruntergekommenen Wohnhäuser schöne kleine Einfamilienhäuser für die Mittelklasse. Ecke Woodlawn Avenue und Hyde Park Street hat Barack Obama sein Haus, da kommt man aber nur als Anrainer nahe: Wenn Obama daheim ist, wird mit Beton-Sicherungen die gesamte Gegend abgesperrt, näher als einen Block kommt man von keiner Seite ran. Und Obama war grad daheim. Der Policeofficer hat mir deutlich gesagt, dass ich hier nicht mehr weiter komme, aber ansonsten war er nett: „You are coming from Austria? It’s, where Schwarzenegger is from, right?“
Paar Ecken weiter standen dann drei afroamerikanische Jungs, kaum älter als sechzehn, siebzehn, die in den letzten Stunden noch auf „Wählerfang“ waren. „Schon gewählt?“, fragten sie jeden, der vorbeikam. Es stellte sich dann heraus, dass die drei Rapper sind und sich Mighty Movement nennen. Sie haben mir gleich eine selbst gebrannte CD verkauft. 
Sie versuchten wirklich, jeden ins Wahllokal zu bekommen, das ein paar Meter weiter war. „Es ist total wichtig. Es wäre eine Katastrophe, wenn Obama verliert.“
Die Stimmung hier ist ein schon ein wenig angespannt, oder sagen wir, zumindest sehr ernst, obwohl kaum jemand annimmt, dass Obama verliert. Sollte er verlieren, wäre das für die Leute hier wohl ein Schock. Es haben auch schon ein paar amerikanische Zeitungskommentatoren die Frage aufgeworfen, was es denn für die Afroamerikaner bedeuten würde, wenn Obama abgewählt würde. 
Sie machen Musik, sagten mir die Jungs, weil das wichtig ist, um den Problemen „here in the ‚Hood“, also, hier in der Nachbarschaft, Herr zu werden. Das war fast ein bisschen witzig, weil die jungen Rapper, die so auf cool taten, dabei wie Sozialarbeiter klangen, die erzählen, wie sie die Jungen von der Straße wegholen, damit sie nicht auf blöde Gedanken kommen. „Und es gibt voll viele Probleme hier im Viertel.“
Schräg vis-a-vis war übrigens der Laden von Zariff, dem Friseur von Barack Obama. Der wird tatsächlich jedes Monat nach Washington eingeflogen, weil sich Obama nur von ihm die Haare schneiden lässt. Jedenfalls erzählt man sich das so. Leider hatte er geschlossen. Ich hätte mir ansonsten glatt den berühmten „President-Cut“ machen lassen. Aber bei meiner Haarpracht hätte das wohl ohnehin doof ausgesehen. 
Obama hat hier übrigens als Community-Organizer angefangen, also als eine Art Sozialarbeiter. Aber Community-Organizing ist eine Art von Sozialarbeit, die die Betroffenen nicht nur betreut, sondern versucht, sie auf eigene Füße zu stellen, sie auch politisch aktivieren will, damit sie für ihre Interessen eintreten. Einen weiten Weg hat er zurückgelegt vom Graswurzelaktivisten zum Präsidenten. Bei seiner berühmte Rede auf der demokratischen Convention 2004, die in schlagartig weltbekannt machte, hatte er gesagt: „Neben unseres berühmten Individualismus gibt es noch eine andere Zutat zur großen amerikanischen Erzählung, den Glauben, dass wir alle als ein Volk miteinander verbunden sind. Wenn es da ein Kind gibt in der Southside of Chicago, das nicht lesen kann, dann betrifft mich das, auch wenn das nicht mein Kind ist. Und wenn es einen Rentner gibt, der seine Rezepte nicht bezahlen kann und der sich zwischen seiner Medizin und seiner Miete entscheiden muss, dann macht das auch mein Leben ärmer, auch wenn das nicht mein Opa ist.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.