Was genau soll sich am österreichischen Bundesheer „bewährt“ haben?

Weshalb die allgemeine Wehrpflicht keineswegs ein Garant für Demokratie und Neutralität ist, wie die Befürworter behaupten. Von Gastautor Gerald Krieghofer
In der Wehrpflichtdebatte werden von Politikern und Aktivisten einige Begriffe verwechselt. Das sollte einen nicht wundern, da sogar Universitätsprofessoren, deren Geschäft es ist, in ihrer Disziplin für Klarheit zu sorgen, die Termini durcheinanderbringen. In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ hat zum Beispiel Universitätsprofessor Anton Pelinka von der Wehrpflicht als einer ursprünglich „demokratischen Institution“ gesprochen. Die Armee der französischen Revolution habe gegen „Söldnerheere“ gekämpft. – So kann nur reden, wer die relevante Fachliteratur der letzten drei Jahrzehnte ignoriert. Die französische Revolutionsarmee hat nicht gegen Söldnerheere gekämpft, sondern gegen Berufssoldatenheere, darunter gegen eine österreichische Armee. Alle Feinde Frankreichs hatten schon längst keine Söldnerheere mehr. Sie kamen in Europa Anfang des 18. Jahrhunderts aus der Mode und wurden durch ‚stehende‘ Berufssoldatenheere ersetzt. Und Formen der allgemeinen Wehrpflicht für Männer gab es bekanntermaßen schon Jahrhunderte vor der französischen Revolution, nicht nur in Preußen.
Im revolutionären Frankreich hatte man sich zunächst – nach parlamentarischen Debatten – auf das Recht jedes freien Bürgers, sein Land mit der Waffe zu verteidigen, geeinigt, aber die Pflicht dazu, den Zwang, ausdrücklich verneint. Erst 1793, als den freiwilligen Verteidigern Frankreichs eine militärische Niederlage drohte, konnte Graf Carnot, der spätere Kriegsminister Napoleons, mit obligatem Pathos, die allgemeine Wehrpflicht für ledige Männer zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr durchsetzen. Die Einführung der Wehrpflicht im revolutionären Frankreich war also eine militärische Notwendigkeit, keine demokratische, die den Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geschuldet gewesen wäre.
Naturgemäß wurde die Einführung der Zwangsrekrutierung aller junger Männer mit Phrasen vernebelt. Girondisten verstiegen sich zu der Behauptung, die Zwangsrekrutierten wären nach Grenzübertritt „Missionare der Vernunft“, und General Napoleon versicherte den Nachbarn, die er eroberte, es ginge gegen die Tyrannei und er bringe dem Volk die Freiheit. Seinen eigenen Soldaten versprach er ewigen Ruhm und fette Beute. Das Unheilvollste der allgemeinen Wehrpflicht für die nächsten Jahrhunderte war die Tatsache, dass der Preis für die Rekruten sich exorbitant verbilligte. Seit der Einführung der Wehrpflicht konnten Generäle mit einem fast unerschöpflichen Reservoir von Soldaten rechnen. Ihr Leben war – im Unterschied zu den kostspieligen Waffen – nur mehr einen Dreck wert. Das wussten die Generäle und belogen später die Familien, ihre Gefallenen seien einen Heldentod gestorben. Die entsetzlichen Massenkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren eine direkte Folge der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.
Die Wehrpflicht gab es unabhängig von der gesellschaftlichen Organisation, auch wenn liberale Demokratien sie nur in Zeiten der Not einführten. Sie war in totalitären Staaten, die sie mit Phrasen feierten, die heute noch nachwirken, ebenso beheimatet wie in der vorbildlichen Schweizer Demokratie. Die allgemeine Wehrpflicht kann weder ein Garant für die Demokratie sein, noch sind die Generäle einer Wehrpflichtarmee Garanten für die Neutralität. Das Berufsleid von Generälen eines neutralen Staates ist das Glück der Mehrheit der Bevölkerung. Generäle eines neutralen Staates dürfen normalerweise niemals zeigen, was sie wirklich können. Garanten für den Mehrheitswunsch der Österreicher nach militärischer Neutralität können keine Generäle einer Wehrpflichtarmee sein, sondern höchstens ihr Oberbefehlshaber. 
Bundespräsident Fischer ist meiner Meinung nach ein glaubwürdiger Garant. Er hat meines Wissens nie von der Wehrpflicht als „demokratischer Institution“ gesprochen. Der Bundespräsident meinte, das Bundesheer habe sich bei UN-Friedensmissionen und beim Katastrophenschutz bewährt; damit hat er natürlich recht. 
Aber auch Franz Vranitzky und Hubertus Trauttenberg haben recht: Vieles hat sich gar nicht bewährt. Zum Beispiel machen sich manche 18-Jährige falsche Vorstellungen vom Militär. Sie melden sich zum Heer und halten dann den Drill und den würdelosen Umgangston nicht aus. Sie werden nach kurzer Zeit psychotisch oder laufen davon. Ich halte es für eine Schande einer liberalen Gesellschaft, dass diesen Männern PsychiatriWe oder Gefängnis droht. Gäbe es ein Berufsheer, könnten sie einfach wieder kündigen. 
Die Einführung des Zivildienstes durch die Regierung Kreisky und das spätere Verschwinden der Gewissenprüfungskommission waren ein erfreulicher zivilisatorischer Fortschritt. Es gibt im 21. Jahrhundert in Europa  kein militärisches oder demokratiepolitisches Argument, das es rechtfertigt, junge Männer zu Diensten zu zwingen. Das Freiwilligenheer wäre ein weiterer zivilisatorischer Fortschritt, auf den die Österreicher in zwanzig Jahren wahrscheinlich wieder stolz sein werden. 
Gerald Krieghofer ist Literaturwissenschaftler und Philosoph. Zum selben Thema schrieb er vor einigen Wochen im Standard den Essay „Die Wehrpflicht ist eine Tochter der Sklaverei“.


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