Der neue Obama

US-Präsident Barack Obama ist plötzlich wieder der Darling der Linken. Seine zweite Amtszeit wird zu einem Experiment, wie sehr sich eine progressive Regierung auf linke Basisbewegungen stützen kann. taz, 5. März 2013
Seit dem fulminanten Wahlsieg von Barack Obama im November, besonders aber seit der zweiten Amtseinführung im Jänner, ist auf einemmal von einem „neuen Obama“ die Rede. Schließlich hatte Obama, allen Unkenrufen zum Trotz, auch bei seiner Wiederwahl mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten – zwei absolute Mehrheiten hintereinander, das hat von den Demokraten zuletzt Franklin D. Roosevelt geschafft. Obama habe aber, darüber sind sich die Kommentatoren einig, auch seine Lektion aus der ersten Amtszeit gelernt, als der Enthusiasmus seiner Anhänger so schnell einem Katzenjammer gewichen war. Obama formuliert seine Reformagenda nun aggressiver. Die neuen Waffengesetze versucht er gegen Widerstände durchzuboxen. In seiner Inaugurationsrede hat er eine Agenda präsentiert, die mehr Gleichheit ins Zentrum stellte: Verteidigung des Sozialstaates, Gleichstellung von Lesben und Schwulen, Bürgerrechte, ein progressives Einwanderungsrecht, gerechte Chancen für alle. Und er formuliert all das im Kontext einer Vision eines gerechteren Landes, in dem der Staat wieder eine größere Rolle spielt – Obama will eine Spur hinterlassen, ein auch ideologisch verändertes Land. 

Der Blockadepolitik der Republikaner, die ihn in der ersten Amtszeit weitgehend ausgebremst hat (und der er mit vielen Zugeständnissen begegnete, die sich für ihn nur selten rechneten), will er jetzt mit der öffentlichen Meinung zusetzen, mit der Mobilisierung seiner Anhänger. Wenn er seine Gegner im Kongress weder zu etwas zwingen noch mit vernünftigen Kompromissangeboten ködern kann, so will er wenigstens mit Basisbewegungen Druck erzeugen. 
Ob das in der Praxis bessere Ergebnisse zeitigt, wird man schon bald sehen – dieser Tage steckte Obama, in den mittlerweile beinahe monatlichen Verhandlungen über automatische Ausgabenkürzungen fest, und spätestens im Mai, wenn das nächste Mal die verfassungsmäßige Schuldenobergrenze erreicht ist, wird er mit der republikanischen Erpressungspolitik konfrontiert sein. Seine Gegner sind zur Obstruktion entschlossen. Aber Obama will wenigstens auch nicht mehr als lahmer Warmduscher da stehen, der sich nicht einmal wehrt. 
Mindestens so erstaunlich wie diese Neuerfindung des Präsidenten selbst ist die Reaktion des linksliberalen und linken Amerikas. Obama ist plötzlich der Darling der Linken. Es ist fast ein kleines Wunder: Bis vor einem Jahr war der Präsident noch unten durch bei den Linken, die nur mehr im Deprisound über die „Enttäuschung“ Obama sprachen, sodass der seinerzeitige Präsidentensprecher Robert Gibbs in einem mittlerweile legendären Wutausbruch schimpfte, die Linken seien „Berufsnörgler“, „professionelle Querulanten“ (worauf Michael Moore meinte, das wäre das erste Mal, dass die Linken in irgendetwas „professionell“ wären). 
„Liberalism“ (was in amerikanischer Terminologie nur ein verschämtes Wort für die Linke ist), war dreißig Jahre lang derart in der Defensive, dass kaum mehr ein Politiker wagte, das „L-Wort“ auszusprechen, analyisert Hendrik Hertzberg im New Yorker, und diese Defensive „war nicht nur terminologisch, sondern auch ideologisch“. Aber nun sähe der Präsident die Chance, eine ebenso nachhaltige Tendenzwende hinzukriegen, wie Ronald Reagan vor dreißig Jahren – nur eben in die andere Richtung. „Obama will die Koalition, die ihn gewählt hat, in eine Bewegung verwandeln.“
Obama ist auf nichts anderes aus als auf „eine große, stille Transformation“, urteilt auch die New York Review of Books, und diese Transformation ist eigentlich schon vier Jahre im Gang – es sei bloß nicht aufgefallen, wie tief sie bereits geht. „Diese Transformation hat sich nur nicht historisch angefühlt, weil jeder kleine Sieg so schwer erkämpft war, und weil alle Erfolge von Kompromissen kompromittiert waren, sodass gar nicht immer erkennbar war, wie sehr der Kurs der Geschichte verändert wurde.“
Doch nicht nur in den intellektuellen Leibblättern der Linksliberalen hat Obama plötzlich eine gute Presse. Auch in den in eminenteren Sinne linken Publikationen kommt der Präsident plötzlich auf erstaunliche Weise gut weg. Im Magazin „The Nation“ wird Obama dafür gelobt, wie er seine „Presidential Power“ für progressive Reformen einsetzt, Redakteure und Leser haben gemeinsam eine Liste von Maßnahmen erstellt, die er noch durchpeitschen sollte – „progressive Ziele für die zweite Amtszeit“. Implizit wird der Präsident in den Augen der Linken also als „unser Präsident“ gesehen, den man politisch unterstützen, und auf den man gleichzeitig politischen Druck ausüben will. 
Bedenkt man die übliche Bereitschaft weiter Teile des linken Milieus, schon vorauseilend anzunehmen, von progressiven Regierungen würde man ohnehin nur enttäuscht – dann ist das bei weitem kleine Kleinigkeit. 
Und sie wirft Fragen auf über das Verhältnis linker Basisbewegungen zu moderat-progressiven Regierungen in unserer Zeit. Wer in Regierungsämtern sitzt, muss pragmatisch vorgehen, hat mit Widrigkeiten aller Art zu kämpfen und kann höchstens einen kleinen Teil von dem durchsetzen, was er durchsetzen wollen würde. Reformregierungen dieser Art neigen aber dann auch dazu, das Mögliche als das Ideale auszugeben (wer gibt schon gerne zu, dass er mehr eben nicht schaffen konnte?). Der linken Basis ist das immer zu wenig, oder schlimmer: Sie sieht das als im Grunde „praktisch nichts“ an und verfällt in Depression und entrüstete Keppelei. Den progressiven Regierungen kommt dann die politische Basis abhanden, worauf sie noch viel weniger durchsetzen können und ihre Akteure keppeln dann zurück und klagen über die „weltfremden Nörgler“. 
Bewegungsaktivsten brechen auch zu schnell den Stab über Partei- und Regierungsakteure, statt zu begreifen, dass es auch vom Grad ihres Enthusiasmus und Engagements abhängt, was erreichbar ist. 
Zu Beginn von Barack Obamas zweiter Amtszeit deutet sich zumindest an, dass der Präsident aus dieser Logik ausbrechen will. 
Es wird interessant sein, zu sehen, ob das gelingen kann. Und zwar nicht nur für die amerikanische Linke. 
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