Lauter große Koalitionen

Der rote Faden, meine Kolumne in der „tageszeitung“ vom 19, Oktober 2013

Irgendwann machte ich ein Interview mit Paul Krugman, und
wenige Monate später erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis. Robert Shiller habe
ich mehrmals interviewt und zu zwei Veranstaltungen nach Wien eingeflogen, und
jetzt erhielt auch er den Nobelpreis. Ich mache das vielleicht zu meinem neuen
Hobby: Nobelpreisträger sammeln. Es könnte ja womöglich meine Reputation im
Milieu der Spitzenökonomen heben, wenn sich einmal herumgesprochen hat, dass
ich Glück bringe.

Wobei die Auswahl der Nobel-Jury heuer schon richtig putzig
war. Es ist ohnehin ein bekanntes Apercu, dass die Wirtschaftswissenschaft jene
Disziplin ist, in der „jedes Jahr das Gegenteil dessen richtig ist, was
vergangenes Jahr richtig war“. Was bisher hieß: In der einen Epoche bekam
die eine Denkschule alle Preise, in der darauffolgenden die Denkschule, die
bewies, dass die vorangegangene Denkschule falsch gelegen ist, nur damit später
wieder die ursprüngliche Denkschule zum Zug kommt. Wirtschaftswissenschaft ist
eben nicht exakte Wissenschaft wie etwa die Physik, in der das Gesetz der
Schwerkraft, einmal entdeckt, auf eminente Weise richtig ist und bleibt.

Das Putzige an der diesjährigen Nobelpreisentscheidung ist,
dass die Jury das Apercu die zeitliche Sukzession gewissermaßen in den Moment,
ins Gegenwärtige verdichtete: Sie hat Ökonomen ausgezeichnet, die jeweils
bewiesen haben, dass das Gegenteil von dem richtig ist, was der ebenfalls
ausgezeichnete Kollege bewiesen hat. Eugene Fama, einer der drei diesjährigen Prämierten,
ist einer der Vertreter der Effizienzmarkthypothese, die, etwas grob zusammen
gefasst, schon von der Phantasie ausgeht, dass auch Finanzmärkte effizient und
rational funktionieren und, wenn man sie nur weitgehend in Frieden lasse, im
wesentlichen positive Effekte zeitigen. Robert Shiller, der Mann, der den
US-Immobilienkrach voraus sagte, versuchte mit seinen Forschungen gerade das
Gegenteil zu zeigen. Ökonomie ist Politik und falsche Theorien werden dann
gefährlich, wenn sie sich mit der falschen Politik verbünden. Oder wie Shiller
das sagt: „Eine wichtige Ursache für die Krise ist auch eine falsche
Theorie. Eine Theorie, die annimmt, dass Märkte immer effizient sind und Blasen
eigentlich gar nicht entstehen können, kann natürlich auch diese Risiken nicht
in den Blick bekommen. Und das hat auch mit der politischen Polarisierung zu
tun: Dass es eine politische Kraft gab und gibt, die behauptet, dass Märkte
perfekt funktionieren.“

Die schwedische Reichsbank, die den Wirtschaftsnobelpreis
stiftet, hat jetzt also diese politische Kraft ausgezeichnet – und gleich auch
ihr Gegenteil. Das ist echte Milde, ja, was sag ich: großkoalitionäre Ideologiefreiheit.
Da könnte sich der Seehofer noch eine Scheibe abschneiden, über den gerade im
Online-Portal des ORF-Fernsehens zu lesen ist: „Seehofer könnte
SPD-Mindestlohn akzeptieren.“ Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen,
dass ein bayrischer Amigo für 8,50.- die Stunde nur die kleine Zehe bewegt.

Der Zufall will es, dass ich in den Tiefen des Archivs
gerade wieder über den alten Satz von Gerhard Schröder aus den neunziger Jahren
gestolpert bin: „Es gibt nicht linke und rechte Wirtschaftspolitik,
sondern nur richtige und falsche.“ Nun ist dieser Satz natürlich wahr und
falsch zugleich. Es gibt selbstverständlich linke und rechte Wirtschaftspolitik
– die linke ist die richtige und dir rechte die falsche. Aber so hat das
Schröder damals ja nicht gemeint und deshalb gab es auch ein Aufjaulen in
seiner Partei. Der Satz hieß ja: Lasst die Ideologien hinter Euch, lasst uns
pragmatisch und sachlich sein, hören wir auf die unpolitischen Experten.

Irgendetwas ist an diesem Satz, mag er auch von der
Geschichte längst verweht sein, symptomatisch – auch für die Krise der
Demokratie und den Verdruss an der Politik. Und zwar, und das ist eben das Interessante,
auf doppelte, auf widersprüchliche, auf geradezu gegensätzlich Weise. Es gibt
den Verdruss an der Parteilichkeit, am Ideologischen der Politik, worauf der
Satz ja reagiert, indem er sagt: Raus aus den Schützengräben, lasst uns
sachlich sein. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Verdruss an der Entleerung
des Politischen durch Pragmatismus. Wenn Politik nicht mehr vom Konflikt um
klare Alternativen, um unterschiedliche Weltanschauungen und Politik-Pfade
handelt, wenn die Bürger und Bürgerinnen den Eindruck bekommen, es wäre ohnehin
alles gleich, und fundamentale Unterschiede gäbe es nicht, dann führt gerade
der Konsens zu einer Bedrohung der Demokratie. Oder, wie der amerikanische
Historiker Tony Judt einmal schrieb: „Eine Demokratie des permanenten
Konsens wird nicht länger eine Demokratie bleiben.“


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