Warum man heute für das demokratische Demonstrationsrecht demonstrieren sollte

Ich muss nicht am Heldenplatz demonstrieren. Aber wer es mir verbieten will, der kriegt es mit mir zu tun. 
Ich gestehe: Ich war, glaube ich jedenfalls, noch nie bei einer von diesen NoWKR-Demos. Kann sein, dass ich irgendwann gewissermaßen zum Beobachten vorbeigeschaut habe. Aber das ist irgendwie nicht mein Ding. 
Erstens find ich Rituale doof, die sich im wesentlichen darauf begründen zu sagen: Wir stehen heute hier, weil wir jedes Jahr hier stehen. Zweitens schaffen sie den Rechten eine Aufmerksamkeit, sie können sich dann als die Verfolgten darstellen. Ich gebe zu, es ist eine Gratwanderung: Natürlich muss man die Rechtsradikalen auch stellen, man kann sie nicht einfach ignorieren, man muss Grenzen ziehen, eine Gesellschaft muss klar sagen, „die stehen außerhalb des demokratischen Konsenses“. Dazu gehören vor allem öffentliche Diskurse, aber auch Demonstrationen können eine gewisse Rolle spielen. Aber die beste Versicherung gegen die Rechten ist eine gute linke Politik. Mich dafür einzusetzen, dafür nütze ich meine knappe Zeit lieber, als für das Anti-Zeug. Drittens halte ich gar nichts davon, Eier, Farbbeutel oder gar Steine auf Leute zu werfen, mögen sie auch die letzten Ärsche sein. Ich bin nicht grundsätzlich gegen politische Militanz und kein Pazifist, aber wenn, dann braucht es für Gewalt schon wirklich gute Gründe – etwa, wenn die Demokratie verteidigt werden muss. Das ist das Grundsätzliche. Und praktisch gesehen muss sie irgendeinen erkennbaren möglichen Nutzen haben. Nichts davon ist in dieser Causa der Fall. 
Kurzum, aus all diesen Gründen hätte ich bis heute in etwa so formuliert: Ich habe nichts gegen die NoWKR-Ball-Demos, ich sage niemandem, er oder sie soll nicht hingehen, aber sie sind einfach auch nicht mein Ding. 
Diesmal werde ich aber wohl hingehen. Denn diesmal ist eines grundlegend anders. Die halbe Innenstadt ist zu einer Sperrzone erklärt worden. Eine Kundgebung, zu der Holocaust-Überlebende gekommen wären, zu der die IKG und das Mauthausen-Komitee aufgerufen haben, darf nicht stattfinden. Die Rechtsextremen dürfen in der Hofburg tanzen, den Demokraten verbietet man die Straße. 
Praktisch in der gesamten Zone innerhalb des Gürtels dürfen keine Kleidungsstücke mitgeführt werden, die zur Vermummung verwendet werden können. Sogar Journalisten dürfen weite Teile des Ersten Bezirkes nicht einmal betreten. 
All das, also die Aushebelung eines grundlegendes demokratischen Rechtes, des Demonstrationsrechts und des Rechts auf unabhängige journalistische Berichterstattung wird damit begründet, dass gewalttätige Ausschreitungen möglich seien. Nun lässt sich natürlich über beinahe jede Demonstration sagen, dass gewalttätige Ausschreitungen einer kleinen Gruppe an Demonstranten möglich seien – und damit lässt sich jede Demonstration untersagen. Wenn man einmal so weit ist, dann gibt es zwar ein theoretisches Demonstrationsrecht, aber kein praktisches mehr. Dann gibt es theoretische Pressefreiheit, aber keine praktische mehr. Sagen wir es klar: Dann gibt es Demokratie a la Putin. 
Wo leben wir eigentlich? Was ist das für eine Polizeiführung, die auf solche Ideen kommt? Was geht in den Köpfen jener Verantwortlichen der Sicherheitsbehörden vor, dass sie offenbar instinktiv auf autoritäre Lösungen kommen, und nicht einmal etwas dabei finden? Ist das vielleicht schon ein Zug der Zeit? In Hamburg werden ganze Stadtteile quasi in Ausnahmezustand versetzt, die NSA horcht Bürger auf der ganzen Welt aus – und immer wird dazu gesagt, dabei gehe es ja nicht darum, die Demokratie auszuhebeln, es geht ja nur um Sicherheitserwägungen. Offenbar hat man das Bewusstsein darüber verloren, dass grundlegende demokratische Rechte auch durch Sicherheitserwägungen nicht einfach weggefegt werden können. Vielleicht ist unsere Polizei nur besonders dumm. Aber vielleicht hängt all das doch zusammen, vielleicht gibt es einen Zug ins Autoritäre, eine Zeittendenz. 
Aber wenn das so ist, dann geht es diesmal nicht nur um einen depperten Ball und nicht nur um ein leergelaufenes Protestritual. Dann geht es darum, zu sagen: Aber hallo, so geht es nicht! Der Kernbestand verfassungsmäßiger demokratischer Rechte, die Versammlungs- und die Pressefreiheit können nicht einfach auf administrativen Verordnungswege ausgehebelt werden, indem man eine halbe Stadt zum Notstandsgebiet erklärt. 
Oder, anders gesagt: Ich muss nicht am Heldenplatz demonstrieren. Aber wer mir verbieten will, am Heldenplatz zu demonstrieren, der kriegt es mit mir zu tun. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.