Warum Freihandel gut, das TTIP-Abkommen aber dennoch fragwürdig ist.

Oder: Fishing for Shitstorms – und angrührt sein, wenn einer kommt.
Also, ich bin ja grundsätzlich durchaus bereit, jede meiner schriftlichen Äußerungen für bedeutend zu halten (Einschub, sicherheitshalber: Achtung, Ironie!), dass aber jetzt schon launig hingefetzte Kommentare in irgendwelchen Facebook-Threads von mir zum Gegenstand medialer Berichterstattung werden, ist zwar vielleicht ehrend, aber womöglich doch ein wenig übertrieben. 
Jedenfalls werde ich im kommenden „profil“ in einem Kommentar meines alten Freundes Georg Hoffmann-Ostenhof zum Kronzeugen der „Gegner eines transatlantischen Freihandelsabkommen“, der auch noch dem „profil“ „Originalitätshascherei“ vorwerfen würde. (hier gehts zu dem Kommentar). 
Was war also geschehen? 
Das „profil“ hat in seiner vergangenen Ausgabe einen Artikel (hier der Link) veröffentlicht, der die Debatte über die gerade so umstrittenen TTIP-Verhandlungen zwischen die USA und der Europäischen Union zum Thema hat. Dieses Stück erklärt bereits im Titel, dass „die Panik vor dem Freihandelsabkommen unbegründet ist“. 
Der Artikel ist von einer Art, für den der Begriff „oberflächlich“ eine freundliche Hilfsvokabel ist. Er operiert mit einer Reihe von Griffen. Erstens, der Behauptung, das Kritisierte würde zwar eintreffen, wäre aber gar nicht so schlimm, sondern sogar gut. Dass Konzerne Staaten verklagen können, wenn die etwa ihre Steuersätze oder Umweltschutzrichtlinien ändern, sei ja nichts Kritikwürdiges: Stichwort Investitionssicherheit. Das sei ja gut und richtig so: Schließlich muss sich ein investierendes Unternehmen doch darauf verlassen können, dass ein Staat nicht hinterher die Regeln ändert. 

Aber muss es das wirklich? Natürlich, wenn ich in einem Staat investiere, der Unternehmensteuern bei nahe Null hält und eine neue Regierung dann auf die Idee kommt, ein Sozialstaat wäre nicht schlecht, und dann Steuersätze erhöht, dann ist das keine Freude für mich als investierender Konzern, weil das meine zukünftigen Erträge schmälert. Aber sollen deshalb Konzerne wirklich das Recht haben, die „künftig entgangenen Erträge“ einzuklagen, wie das Konzernlobbyisten in dem Vertragswerk festgeschrieben haben wollen? Und das gilt natürlich für alle möglichen Gesetzesänderungen, mögen sie Umweltstandards oder Konsumentenrechte betreffen. 
Der gleichen Logik folgt das Argument, dass die geplanten internationalen Schiedsgerichte doch nicht schlecht, sondern gut seien. Wenn man sich auf internationale gemeinsame Regeln einigt, dann sollen nicht nationale Gerichte, sondern transnationale Schlichtungsinstanzen entscheiden. Soweit, so nachvollziehbar. Die reale Gefahr, dass diese Schiedsgerichte – wie geplant – mit Juristen global agierender Anwaltskanzleien besetzt werden (die im Hauptberuf gute Geschäfte mit den Konzernen machen), wird unterschlagen, nicht einmal erwähnt. Klar, eine Erwähnung dieses Sachverhaltes hätte ja die schöne These zerstört. 
Der zweite argumentative Griff ist, dass die Kritik der Kritiker hysterisch sei, da man doch gar nicht wisse, was in dem Vertragswerk drinstehen wird – die Verhandlungen werden ja schließlich streng geheim hinter verschlossenen Türen geführt. Das ist schon richtig, und dieser Umstand mag auch Tür und Tor für übertriebene Spekulationen öffnen, aber Preisfrage: Wenn alles ohnehin so wunderbar, demokratisch, sozial ausgewogen und nur im Interesse der Konsumenten, niemals (aber ganz sicher nicht!) im Interesse von Konzernlobbys abläuft wie von den Autoren ganz fest geglaubt wird, warum ist die Geheimhaltung dann überhaupt notwendig? (btw, ist es schon erstaunlich, dass Journalisten strikte Geheimhaltung nicht an sich als fragwürdig ansehen, sondern das Geheimgehaltene mit den bizarren Argument verteidigen, dass es doch eben noch geheim sei). 
Der putzigste Argumentationsmodus ist freilich der dritte: Da das Abkommen doch am Ende von der Mehrheit des EU-Rates und von der Mehrheit des EU-Parlamentes abgesegnet werden muss, kann es doch gar nicht schlecht, vor allem aber nicht undemokratisch sein. Nun gut, in der wirklichen Welt ist es freilich so, dass EU-Parlamentarier tagein, tagaus irgendwelche Richtlinien durchwinken, die von irgendwelchen Lobbyisten angeschoben worden sind. (Strafbar ist das nur, wie wir Österreicher wissen, wenn sich der Abgeordnete dafür bezahlen lässt, oder nein, schlimmer: es ist nicht einmal dann strafbar, wie der OGH unlängst feststelle – es muss sogar exakt festgestellt werden können, für welches Gesetz genau der Abgeordnete seine Kohle erhält). Oft sind diese Thematiken unterhalb der Wahrnehmungsschwelle und sehr oft auch so komplex, dass ein einzelner Parlamentarier gar nicht exakt weiß, wofür er stimmt. Stichwort Bankenregulierung: rund 600 Lobbyisten der Finanzindustrie stehen einem halben Dutzend Lobbyisten von Verbraucherschützern und Arbeitnehmerorganisationen gegenüber. Der zuständige Ausschuss des Parlamentes selbst hat vor einigen Jahren in einem spektakulären Aufschrei dieses Demokratie-Problem angeprangert. Nun denke ich gar nicht, dass das beim TTIP-Abkommen noch der Fall sein wird. Diese Materie steht mittlerweile derart im Brennpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, dass ein einfaches Durchwinken gar nicht mehr möglich sein wird. Und zwar, bingo, wegen der, wie die „profil“-Kollegen das wohl nennen würden, „Panikmache“ der Kritiker. 
Der fünfte Argumentationsmodus ist dann nur mehr der Trostloseste: Kritiker des Abkommens seien „Gegner des Freihandels“ und des Fortschritts. Wer für Freihandel ist, müsse für das Abkommen sein. 
Nun ja, so einfach kann man sich die Welt natürlich zurechtlegen, wenn man denkfaul ist. Dann braucht über einem Vertragswerk nur „Pro Freihandel“ draufstehen, und man ist schon dafür, ohne sich mit Details auseinandersetzen zu müssen. In der wirklichen Welt sind die Dinge freilich komplizierter: Man kann durchaus der starken Überzeugung sein, dass Freihandel grosso modo für alle zusammen nützlich ist, aber Details eines „Freihandelsabkommens“, in denen es gar nicht um Freihandel, sondern nur um die Privilegierung mächtiger Wirtschaftsakteure zum Nachteil anderer Wirtschaftsakteure geht, ablehnen. 
Denn die eigentliche Pointe ist ja: Um Freihandel geht es bei all diesen Fragen ohnehin kaum. 
Ich habe das in meinem FS-Misik 315 zu dem Thema schon auf folgende Weise ausgeführt: 
Nur, da mögen Sie sich jetzt fragen: Was gibt es da denn noch für Handelhindernisse zwischen Europa und den USA? Kapitalverkehrskontrollen? Zölle? Schutzzölle gar? Protektionismus? Gibts ja gar nicht mehr. 

Ja, haben Sie eh recht, gibt es praktisch kaum mehr. 

In dem neuen Abkommen, das da gerade ausbaldowert wird, geht es daher auch um anderes: 

Handelshindernisse in „nicht handelspolitischen“ Bereichen sollen geschliffen werden. 

Ja, was mag das denn sein? 

Naja, etwa, wenn ein Land beschließt, bestimmte Umweltnormen einzuführen. Oder wenn das die EU als ganzes beschließt. Oder Mindestlöhne. Oder andere Sozialstandards. Oder Verbraucherschutznormen. 

Dass Sie als Konsument wissen, was in Lebensmittel drin ist. Oder dass Sie ein Gewährleistungsrecht haben, wenn sich das, was sie kaufen, als Schrott herausstellt. 

All diese Regeln, die, wenn sie in einem Land höher sind als in einem anderen, sind „nicht handelspolitische“ Handelshindernisse, und sollen deshalb geschliffen werden. 
Kurzum: Mangels Beschränkungen des Freihandels geht es in dem Abkommen ja gar nicht mehr um Freihandelsfragen, sondern um „Investitionsschutz“. Und damit ist nicht gemeint, dass ein Unternehmen vor willkürlicher Enteignung geschützt sein soll (denn auch das ist ja längst außer Frage gestellt), sondern es will die Versicherung, dass sich ein Investment in jedem Fall auf die durch das Unternehmen prognostizierte Weise rechnet. Das ist der Punkt. Deshalb sollen „nicht handelspolitische Handelhindernisse“ weggeräumt werden. Aber das hat, mit Verlaub, mit Freihandel nichts zu tun. 
Über all das findet sich in dem Artikel kein Wort. Die Wendung „nicht handelspolitische Handelshindernisse“ kommt im „profil“-Artikel nicht einmal vor, obwohl es der Kern dessen ist, worum es in den Verhandlungen eigentlich geht. 
Das ist auch nicht weiter tragisch – es werden jeden Tag blöde Artikel veröffentlicht, und an manchen Tagen auch saublöde. Ich hatte nicht einmal vor, mich speziell dazu zu äußern. Aber wenn man jetzt schon in einem „profil“-Kommentar auf meine „Kritik“ reagiert, die ich nicht einmal ausgeführt geäußert habe, dann liefere ich sie eben nach. 
Mit einem Wort: Ich bin weder gegen die Globalisierung, noch gegen die Europäische Union, ich war nicht einmal gegen die Einführung des „Euro“ (was, nachträglich betrachtet, vielleicht keine gute Idee war), ich bin schon gar nicht gegen den Fortschritt. Und ich bin auch nicht gegen Freihandel. Ich bin sogar für Freihandel. Ich wäre sogar in der Lage, ökonomisch zu argumentieren, we
lche Vorteile Freihandel allen beteiligten Handelspartnern und Wirtschaftsakteuren bringt. Ich fürchte, sagen zu müssen: im Unterschied zu den Autoren-Kollegen. Ich bin sogar für dieses Abkommen – vorausgesetzt es steht kein Müll drin. Got it? 
Ich weiß ja gar nicht, ob eine solche Medienposse überhaupt für irgendjemanden interessant ist außerhalb der Medienblase, und doch gibt es bei all dem ein paar witzige Aspekte: Der erste ist sicher, wie dünnhäutig und beleidigt die „profil“-Autoren darauf reagierten, dass es halt ein bisschen Netz-Kritik an einem misslungenen Artikel gibt (um nicht zu sagen: an einem gewollt-provokanten, was ja nichts anders heißt: Fishing for Shitstorms, und dann angrührt sein, wenn er kommt). Das ist nicht ganz unulkig: Es gehört zum Berufsbild des Journalisten, zu urteilen. Jede Woche wird bei irgend einem anderen Politiker das Daumen-rauf-, Daumen-runter-Spiel gespielt. Besondere Gnädigkeit beim Urteil ist da meist nicht verbreitet. Ist man aber plötzlich selber ein bisserl im Shit-Lüfterl, dann wirft man gleich hyperventilierend die Nerven weg. Lässt sich häufiger beobachten, ist immer wieder interessant und aufs Neue erstaunlich. 
Der zweite bemerkenswerte Aspekt ist, und das war eigentlich die Pointe meines Facebook-Posts: bei all dem geht es meiner Meinung nach nicht einmal um die Sache. Die „profil“-Autoren „mussten“ für TTIP sein, wenn sie überhaupt noch etwas darüber schreiben wollten. Nachdem in den letzten drei Monaten gefühlte 237 Artikel erschienen sind, die sich kritisch mit dem Abkommen auseinander gesetzt haben, wäre der 238ste einfach fad gewesen und viel zu spät gekommen. Niemand hätte das mehr gelesen. Keiner hätte das mehr angeklickt. Um noch die Aufmerksamkeitsschwelle zu überschreiten, musste man eben eine maximal originelle Position vertreten. Und die bestand in der These, dass TTIP ur super ist. Da darf man sich dann natürlich auch nicht erwarten, dass Fakten recherchiert und Argumente abgewogen werden. Denn die Fakten könnten dann ja die schöne These ruinieren. Und das wäre ja ganz unerfreulich für die schöne These. Das war der Kern meiner Kritik. 
Ich hab das gar nicht mit diesem Wort beschrieben, aber mein Freund Hoffmann-Ostenhof beklagt nun, ich würde „profil“ „Originaltitätshascherei“ vorwerfen. Wie gesagt, hab ich nicht so formuliert. 
Aber er hat recht. Genau das ist es. „Originaltitätshascherei“. Das trifft es ziemlich genau. 
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