Kritik des Luxus

Wir wollen mit den Dingen prunken – das ist sogar eine der Ursachen von Finanzkrisen. Eine kleine politische Ökonomie des Habens und Zeigens. Wiener Zeitung, 19. September 2014
Wenn Leute wie Oskar Lafontaine den Lebensstil der Superreichen frönen, wird ihnen meist vorgeworfen, sie würden „Wasser predigen und Wein trinken“, worauf sie ertappt herumdrucksen, gern jedoch auch in die Offensive gehen: „Aber wir predigen doch Wein!“ Soll heißen: Wir wollen den Luxus nicht abschaffen, sondern im Gegenteil, wir wollen, dass jeder etwas davon abbekommt. „Luxus für alle!“ Das Verhältnis der Gesellschaftskritiker und Weltverbesserer zum Luxus ist seit jeher kompliziert und ambivalent. Einerseits gibt es den Traditionsstrang eines asketischen Ideals, andererseits stellte man sich den Sozialismus schon auch immer gerne als Paradies vor, in dem die gebratenen Hühner den Leuten in den Mund fliegen. Also, so ähnlich wie die Toskana im Sommerurlaub. Zusätzliche Komplikation: Luxus, den alle haben können, ist für die allermeisten definitionsgemäß kein Luxus.
Es ist gegen Luxus auch überhaupt nichts einzuwenden, schon gar nicht vom persönlichen Standpunkt: Ich, beispielsweise, liebe coole weitläufige Appartements, schöne Hotels, super Essen, eine Standvilla mit Meerblick würde mir auch gut gefallen, und einem Morris-Cabrio könnte ich manches abgewinnen. Also, nur dass da kein falscher Eindruck entsteht: Ich finde Luxus prima und weiß auch die Waren, die mit ihm verbunden sind, durchaus zu schätzen. 

Wer Luxus verdammt, der kommt ohnehin schnell in den Geruch, ein freudloser Spaßverderber, oder schlimmer noch, vom Neid zerfressen zu sein. Luxus und privaten Reichtum selbstbewusst auszustellen, ist in den vergangenen Jahrzehnten gesellschaftlich keineswegs verpönt. Wie schon vor rund hundert Jahren, als der amerikanische Ökonom Thorstein Veblen in seiner berühmten „Theorie der feinen Leute“ die Bedeutung von Luxus analysierte, des „demonstrativen Konsums“, durch den Prestige und Statusüberlegenheit ausgedrückt wird. Bloß dazwischen, in den Nachkriegsjahren, in denen sich die westlichen Industrieländer als „Mittelstandsgesellschaft“ imaginierten, wollten Vermögende alles mögliche – nur nicht als Vermögende auffallen. „Wenn es überhaupt etwas gibt, was die deutschen Reichen gemeinsam fühlen, so ist es die Sorge, man könnte sie für reich halten“, schrieb der Spiegel in einer großen Serie über „Die Reichen in Deutschland“ im Jahr 1966. Ein millionenschwerer Industrieller rechtfertigte seine Mercedes-Lomousine mit dem Hinweis, er mache nun einmal Geschäfte mit Daimler-Benz und habe den Wagen praktisch gegen seinen Willen aufgedrängt bekommen. Kein Milliardär wollte zugeben, eine Putzfrau zu beschäftigen. Das war die Zeit, als in Österreich die „Luxussteuer“ eingeführt wurde, also ein eigener – gehobener – Mehrwertsteuersatz auf Produkte, die für’s Leben nicht nötig waren. 
Derweil hat eine Erfolgskultur Einzug gehalten, die nicht nur erlaubt, den eigenen Luxus auszustellen (und damit auch die eigene Überlegenheit, etwa in Geschmacksdingen, zu dokumentieren), nein, es wurde sogar unumgänglich, sich öffentlich mit den Attributen des Luxuriösen zu umgeben. Erfolg fliegt dem zu, der Erfolg glaubhaft verkörpert, und damit wurde aus der wirtschaftlichen Konkurrenz auf Wettbewerbsmärkten auch eine „Eindruckskonkurrenz“, wie es der Soziologe Sighard Neckel nennt. Und in der ist es wichtig, dass einem der Erfolg schon von weitem angesehen wird. 
Schlimm? Nicht unbedingt. Denn erstens ist es ja schön, wenn sich Menschen mit schönen Dingen umgeben und überdies sind die Attribute des Luxuriösen ja längst nicht mehr nur Privileg der gehobenen Stände. Der kleine Luxus ist ja für die große Masse in Reichweite – sei es die Kawasaki für des Angestellten, der Baliurlaub für den Mechaniker, der schnittige Flitzer für die Technikerin. Schon eine Bratpfanne von Manufaktum kann ja so einen feines, kleines Luxusteil sein und auch der Asylbewerber fühlt sich besser, wenn er mit RayBan-Brille posiert, die er irgendwo ergattert hat. Mit jedem kleinen Teil hat man es ein kleines Stück mehr geschafft.
Sogar Arbeiter, die ihren Job verlieren und arbeitslos werden, verzichten nicht immer sofort auf Luxusartikel – das neue Handy, das schicke Tablet, das muss schon sein, will man nicht vollends die Selbstachtung verlieren. Oft sparen sie am Essen eher, und schon der große Beobachter George Orwell wusste, dass das doch nur „natürlich (sei), wenn man es sich recht überlegt.“ Man hat vielleicht keinen Groschen in der Tasche und nur ein zugiges Zimmer, „aber man kann in seinen neuen Kleidern an der Straßenecke stehen und sich in einem privaten Tagtraum als Clark Gable oder Greta Garbo vorkommen, was einen für eine ganze Menge entschädigt“. Natürlich kann auch das Pathologien des Alltags begründen. Die Schuldnerberatungen können davon ein Lied singen.
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Die Kritik am Luxus und ostentativ demonstrierten Reichtum muss auf einer anderen Ebene ansetzen, an den negativen Nebeneffekten des Luxuriösen. Haben und Herzeigen etablieren eine Wettlaufsatmosphäre, die die Ungleichheitsforscher Richard Wilkinson und Kate Pickett „Luxusfieber“ nennen. Das etabliert Stress. „Jeder will mithalten.“ Unter den Bedingungen wachsender Ungleichheit führt das dazu, dass wir selbst mit den Dingen, die wir eigentlich lieben, nicht glücklich werden, ja, sogar unglücklich werden, weil sie nie dem Vergleich mit den Dingen der Anderen standhalten. Es ist das Pech der einfachen Leute, so Wilkinsonn/Pickett, „dass der Luxus der Reichen den anderen die Freude an dem, was sie haben, vergällt“.
Doch es kommt noch dicker: Das „Luxusfieber“ macht den Kapitalismus instabiler. Das haben unlängst eine Ökonomin und ein Ökonom von der University of Chicago herausgefunden. Die beiden Wissenschaftler haben nachgewiesen: Wächst die Ungleichheit, dann gibt es einen „Trickle-Down-Effekt“. Aber nicht auf die Weise, wie das bisher die neoklassische Ökonomie angenommen hat, dass die wachsenden Vermögen nach unten „durchsickern“ und auch den Wohlstand der Ärmeren heben. Sondern die Konsumgewohnheiten der Oberschicht werden von der Mittelschicht übernommen, weil die mithalten will – obwohl sie es sich nicht leisten kann. Trickle-Down-Consumption nennen das die Forscher. Bekannt ist das Phänomen unter der populären Bezeichnung „Keeping-Up-With-The-Jonses“-(„Wir müssen mit den Jones mithalten…“) Effekt. 
Die Ökonomie des Habens und Zeigens führt dazu, dass immer mehr Leute immer verschuldeter werden. Gibt es dann einen schwachen konjunkturellen Einbruch, kann das schon reichen, um eine Welle von Privat- und auch Firmenbankrotten nach sich zu ziehen, Bankenkrisen, daraus folgend eine Kreditklemme für Unternehmen, die eigentlich investieren wollen und so weiter. So führen Ungleichheit und der Wettlauf um den Luxus dazu, „dass es am Ende allen schlechter geht“, resümiert die „Washington Post“ die Forschungsergebnisse.
Luxus ist also nie etwas, was man nur „privat“ hat – jedes Luxusgut ist ein Positionsgut, und damit definitionsgemäß ein gesellschaftliches Verhältnis, das einen von anderen absetzt und diese oder wieder andere anstachelt, mitzuhalten. Und das Luxusfieber hat Externalitäten, die die gesamte Gesellschaft in Mitleidenschaft ziehen. So ähnlich wie das Autofahren, das die Umwelt verpestet. 

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