Toleranz, das ist doch was für Luschen!

Eine Ehrenrettung für die „bloße“ Toleranz. Der rote Faden, meine taz-Kolumne vom Dezember
Der Papst hat also jetzt im Europaparlament gesprochen. Der ist ja ein netter Kerl und allgemein angesehen, auch weil er seinem verstaubten Verein den Muff von zweitausend Jahren wegpusten will. Sogar bei Linken ist der Herr Papst sehr beliebt, wenngleich manche Abgeordnete beinahe den Saal verlassen wollten, weil er „gegen das Töten eines Kindes vor der Geburt“ – vulgo Schwangerschaftsabbruch – wetterte. Nun ist es schlimm, wenn Kirchen Macht besitzen und versuchen, mit Hilfe dieser Macht demokratische Entscheidungen zu beeinflussen, also, wenn Kirchen versuchen, etwa durch Gesetze das Recht auf Schwangerschaftsabbruch abzuschaffen. 
Gleichzeitig kann man ebensogut sagen, dass ein Papst durchaus auch die Meinung vertreten darf, dass er Schwangerschaftsabbrüche falsch findet. Es ist ja schließlich seine Meinung, und warum soll er die nicht vertreten dürfen? Man kann gewiss flugs einwenden, dass es sich bei einer Papstrede nie nur um die Meinungsäußerung einer Person handelt, sondern dass aus ihm immer auch die Institution spricht, also Macht, möge diese Macht auch in unseren Breiten relativ erodiert sein. Wie auch immer: Es ist jedenfalls eine tricky Sache und natürlich dürfen auch Päpste Meinungen haben, die meinereins für doof hält, die ich aber doch auch tolerieren muss. 
So, jetzt habe ich es auch einfach so hingeschrieben, das Unwort: Toleranz! Die ARD machte ja eben eine ganze Themenwoche zur Toleranz, und dem Thema entsprechend wurden auch einige Intolerante wie Matthias Matusek und andere eingeladen, die wir ja schließlich auch tolerieren sollen. Aber schon mit der Themenwahl haben sich die Programmmacher in die Nesseln gesetzt, weil Toleranz ja heute einen ganz üblen Hautgout hat. Toleranz, man wagt das Wort ja gar nicht mehr auszusprechen! Toleranz, diese Weicheier-Idee!
Ganz Linke und ganz Rechte, beispielsweise, sind sich ja nicht in sehr vielen Dingen einig, aber in einem sind sie sich sehr einig: Toleranz ist Mist. Die Rechten, weil sie gar nichts tolerieren wollen, keine Ausländer, keine Muslime, keine Lesben, niemanden, der irgendwie anders ist als der von ihnen imaginierte Einzelne der homogenisierten Volksgemeinschaft. Wo die harte Rechte in die Mainstream-Rechte übergeht, da wird dann gerne von der „falschen Toleranz“ geredet. Die Linken wiederum finden Toleranz doof, weil in dem Wort eine Herablassung drinsteckt, eine nur mäßig kaschierte Verachtung: Was man bloß toleriert, das achtet man ja nicht. Wenn man Schwule oder Lesben nur toleriert, dann versagt man ihnen letztlich auch Respekt und Anerkennung. Also, nicht Toleranz ist ein erstrebenswertes Ziel, sondern Respekt. 
Slavoj Zizek hat sogar ein kleines Büchlein geschrieben, auf dessen Titelseite prangte: „Ein Plädoyer für die Intoleranz.“ Toleranz sei die weichgespülte Ideologie des westlichen Konsumkapitalismus, in dem kein Platz mehr ist für echte, ernste Überzeugungen und Entscheidungen. Alles wird toleriert, weshalb auch nichts mehr geschieht. Schon Pier Paolo Pasolini war der Meinung, dass die „Ideologie hedonistischer ‚Toleranz‘ die schlimmste aller Repressionen der Menschheitsgeschichte ist.“
Kurzum, man hat den Eindruck, aus den verschiedensten Gründen will niemand mehr die Toleranz tolerieren. 
Ich, hingegen, finde Toleranz gar nicht so schlecht und bin damit genauso altmodisch wie mein Kollege Armin Thurnher, der unlängst schrieb, die „Toleranz ist das Fundament unserer Gesellschaftsordnung“. Ich muss nicht alles, was anders ist, gleich respektieren und toll finden. Denn erstens darf ich auch ignorant vor mich hin leben und meine, zugegebenermaßen doofen, Scheuklappen haben. Ich muss also nicht einmal alles, was Respekt verdient hat, respektieren, aber ich sollte es zumindest tolerieren. Es ist nicht die schlechteste Seite zeitgenössischer Gesellschaften, dass wir oft desinteressiert nebeneinander her leben. Toleranz verlangt nicht mehr als ein wenig Gelassenheit, Respekt braucht ein gewisses Interesse, das ich nicht immer aufbringen kann. Zugegeben, in diesem Fall liegt das Defizit, das die Toleranz vom Respekt trennt, ja eher auf meiner Seite. Es gibt aber auch genügend Unsinn in der Welt, den ich überhaupt nicht respektieren will: Chemtrail-Irre; Leute, die glauben, die Evolutionstheorie sei eine Erfindung des Teufels; Leute, die meinen, der Sinn des Lebens bestünde darin, gemäß den Worten Allahs zu leben; Wähler der FPÖ; aufgeblasene Wichtigtuer in Vorstandsetagen, die wirklich meinen, dass es gerecht sei, wenn sie Millionen bekommen und die anderen nur Krümel. Es gibt tausenderlei Unsinn, den zu tolerieren ich gut beraten bin, den ich aber nie und nimmer respektieren werde, sofern respektieren mehr heißt als achselzuckend hinzunehmen, dass eben auch Unfug seine Existenzberechtigung hat. 

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