Das Zeitalter der Wirrköpfigkeit

Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz, Dezember 2014

Nun gut, das mit dem „ernst nehmen“ haben wir abgehakt: Natürlich soll man die Sorgen von Rassisten, Faschisten und Irren nicht ernst nehmen, wenn mit „ernst nehmen“ nicht bloß gemeint ist, dass man die gefährlichen Ressentiments in Rechnung stellt, weil sie existieren, sondern ihnen irgendeine Berechtigung zubilligt. Wer immer unter der Pegida-Flagge demonstriert, ist ein mieses, kleines xenophobes Arschloch, das am liebsten auf Schwächere tritt. Übrigens: Das wird man doch noch sagen dürfen!!!

Okay – darauf haben wir uns jetzt geeinigt. Aber dieser Pegida-Rassismus wäre kaum halb so gefährlich, würde er sich nicht mit teilweise berechtigtem Frust („keiner hört uns zu“), vor allem aber mit einer überall sprießenden Wirrköpfigkeit vermischen. Und diese Wirrköpfigkeit ist fast das Verstörendste an all dem. Ja, klar, man weiß, dass sie existiert, man kennt die Denkfiguren (wäre der Begriff „denken“ nicht so unangemessen), die in den Köpfen derer herumspuken, die von ihnen befallen sind. Wir wissen auch – oder ist es nur ein fälschlicher Eindruck? – dass sie sich heute so rasant ausbreitetet wie die spanische Grippe. Und die Pegida-Blase ist ja nur ein Teil davon: Die Wahnmacher von der Friedenswinter-Bewegung gehören ebenso dazu wie Verschwörungstheorie-Freaks aller Coleur oder die ganz normalen Irren aus den Postingcommunities. Man trifft das in Reinkultur an, aber auch in allen Mischformen, teilweise mit letzten Einsprengseln an Vernünftigkeit und so weiter.

Leute, die, wie Jan Fleischhauer schrieb, „ihre Informationen nur mehr aus obskuren Ecken im Netz“ beziehen; die von Ressentiments zerfressen sind, und den größten Unfug glauben, der ihre Ressentiments bestätigt, und jedes Argument, das dem Ressentiment widerspricht, einer verdammenswürdigen „Lügenpresse“ zuschreiben; mit denen zu diskutieren ohnehin sinnlos ist, weil sie durch Einwände nicht beeindruckbar sind; Leute aber auch, die stets bereit sind, sich zu erregen, und zwar, weil sie täglich bombardiert werden mit anscheinend Empörenswertem, sodass sie am Ende in einem Zustand der Dauererregung sind. Die Konfusion, die sich in ihren Kopf breit macht, ist von daher nicht einmal erstaunlich.

Eine meiner Facebook-Bekanntschaften, ein Mann übrigens, der selbst nicht immer unempfänglich ist für die beschriebene Erregungsreize, hat vor ein paar Tagen folgende kluge Gedankengänge geschrieben: „Das Internet ist die Autobahn, die in den neuen Autoritarismus führt. Nicht, weil das Internet böse wäre, sondern weil jene Menschen, die schon das gedruckte Boulevardgetöse von „Bild“ und „Krone“ nicht als Pseudojournalismus durchschauen können, durch das 24-Stunden Bombardement mit Horrornachrichten überfordert werden. Weil das Netz die Welt kleiner macht, was an sich ja erfreulich wäre, entsteht bei vielen der Eindruck, dass alles irgendwie dasselbe sei, egal ob ein Massaker in Pakistan oder ein Wohnungseinbruch in der Nachbarschaft, und dass alles miteinander verbunden sei, womit dann zum Beispiel der muslimische Kebap-Griller aus der Nebenstraße unter Verdacht gerät, er sei gefährlich, weil er nicht täglich „scheiß Taliban“ brüllt. Die reale Erfahrung wird verdrängt durch das virtuelle Zaungast-Sein bei den Schrecken dieser Welt und jeder ist mittlerweile sein eigener kleiner „Bild“-Redakteur und verbreitet im Rahmen seiner Social-Media-Möglichkeiten Panik.“

Das heißt aber dann, dass Pegida nur das bizarrste Symptom eines viel allgemeineren Problems ist: Die Welt ist aus den Fugen. Chaos und Konflikte überall, und medial wird all das noch einmal verstärkt. Information, Desinformation, Denunziation, der tägliche Rufmord – sie schießen wie Interkontinentalraketen von einem Eck zum anderen des Erdballs. Eine Welle, die sich in jedem Moment aufs Neue hochschaukelt. Selbst die Vernünftigen sind mit dem überfordert. Der stetige Erregungspegel geht mit einem Aggressionspegel einher, und jeder Spinner wird von seinesgleichen bestärkt, was der Verschärfung seiner Sonderlichkeit gewiss nicht abträglich ist. Gemeinsam schraubt es sich leichter hinein in auftrumpfende Besserwisserei. Ob die Demokratie das Internet überleben kann, ist keineswegs sicher.

Der Pegida-Irrsinn wird wieder verschwinden, aber wie soll man die amorphe, wabernde Wirrköpfigkeit wieder aus der Welt kriegen, die aus elementarer geistiger Obdachlosigkeit entspringt, kombiniert mit einem neuen Leitmedium, dessen seiner Funktionsweise genau das bestärkt? Von Goya gibt es eine berühmte Grafik, die vor allem ihres Titels wegen legendär geworden ist: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.“ Dabei gab es 1799 noch gar kein Internet.

Ein Gedanke zu „Das Zeitalter der Wirrköpfigkeit“

  1. Der wichtigste Schritt weg von der allgemeinen Wirrköpfigkeit wären m. E. glaubwürdige Medien, deren Berichterstattung nicht aus dem Mietmaul stinkt. Man muss doch wirklich debil sein, um die manpulativen Absichten hinter dem häufigen Unisono unserer Qualitätsmedien nicht zu bemerken. Von einer kritisch distanzierten Berichterstattung ist weit und breit nichts zu sehen.

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