Schwierigkeiten mit der Religionskritik

Meine Kolumne aus der SPEX vom März

Für Marx war die Religion ja bekanntlich „das Opium des Volkes“. Womit gemeint war: Das Betäubungsmittel, das ruhig stellt, das den Unterdrückten die Unterdrückung hinnehmen lässt. Die Religion „sagt“, so sah das Marx: Füge Dich, Sklave, in die weltliche Versklavung, das Himmelreich kommt dann hinterher.

Aber die Religion ist natürlich nicht immer nur sedierendes Opiat. Oft auch Aufputschmittel: Menschen dazu aufzustacheln, Böses zu tun, fällt leichter, wenn man ihnen einredet, dass ihr Gott das von ihnen verlangt.

Wie kompliziert die Welt freilich sein kann, ersieht man darin, dass auch vorgebliche „Religionskritik“ so wirken kann. Die Islamkritik, schrieb unlängst ein Freund, ist das Koks der linksliberalen Wohlfühlzone, in der man zwar noch nie einem leibhaftigen Muslim begegnet ist, aber sich gerade deshalb umso ausgiebiger aggressiv fürchtet.

Was ist also eigentlich „Religionskritik“? Zunächst mal eines ganz sicher nicht: Die Kritik an einer Religion alleine. Wenn Herr Hitler die jüdische Religion kritisiert hat, hätte niemand, der bei Sinnen ist, das als Religionskritik bezeichnet – das war antisemitische Hetze. Wenn dagegen der säkulare Jude Woody Allen seinen Spott über Rabbiner-Abrakadabra loslässt, dann ist das „Religionskritik“.

Religionskritik ist zuvorderst eine Kritik am religiösen Bewusstsein als solchen.

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Sie hat der Kritik unterzogen, was der Glaube als solcher mit Menschen macht: dass er verhindert, dass sie die Welt mit klarem Kopf sehen, dass er sie neurotisiert, weil sie von der Vorstellung stetiger Sündhaftigkeit besessen sind, dass er sie infantilisiert, weil sie sich unter der Beobachtung eines allmächtigen Gottes wähnen, den man sich nur auf Knien nähern darf.

Jetzt erschienen: Mein Buch "Kaputtalismus - Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen?" im Aufbau-Verlag.
Jetzt erschienen: Mein Buch „Kaputtalismus – Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja, würde uns das glücklich machen?“ im Aufbau-Verlag.

Aber natürlich hat sie sich in der Realität nicht darin erschöpft. Sie hat sich auch die rückwärtsgewandten Praktiken vorgeknöpft, die durch das Zusammenspiel von Religion und Tradition entstehen, patriarchale Praktiken, die Fesseln, die die „praktische Religion“ in Familie, im Dorf, in der Gemeinde den Einzelnen anlegt und zudem die Vermachtung der Religion, das Bündnis von weltlicher Herrschaft und Klerus.

Ein beliebtes Argument, das in unterschiedlichen Spielarten von rechten Schaumschlägern genauso benutzt wird wie von einigen klugen Linken, ist, dass die Linke ihre aufklärerische Religionskritik verraten hat, weil sie „den Islam“ nicht kritisiert oder mit Glacehandschuhen anfasst und sich sogar um eine Kritik am radikalen Islam herumdruckst. Selbst der große Michael Walzer hat vor einiger Zeit in einem Essay mit dem Titel „Islamism and the Left“ in diese Richtung argumentiert. Nun ist in einer globalisierten, diversen Welt tatsächlich alles komplizierter. Muslime im Westen gehören in ihrer erheblichen Mehrzahl einer generell unterprivilegierten Minderheit an. Wie kritisiert man als ideengeschichtliche Strömung, die sich für die Unterprivilegierten einsetzt, aber Unterprivilegierte?

Oder anders gesagt: Wie steht man ihnen gegen rassistische und xenophobe Stimmungsmache bei, ohne sich mit religiösem Hokuspokus gemein zu machen?

Wir leben in einer Welt, die tägliche Gratwanderungen verlangt. Die allermeisten links- und rechtsliberalen Islamkritiker, die vorgeben oder beabsichtigen, Anmaßungen einer hergebrachten Religiosität zu bekämpfen, schaffen diese Gratwanderung nicht, und tappen sofort in die Falle der Stimmungsmache, der Verbreitung von Stereotypen, der hysterischen Angstmache. Aber auch antirassistische Linke sind vor den Abgründigkeiten des Gratwanderns nicht gefeit, etwa, wenn sie gegenüber Frömmlerei kuschen, wenn die von Marginalisierten betrieben wird.

Hinzu kommt aber auch: Breite Strömungen aller Religionen – ob Christen, Juden, Muslime -, setzen sich heute auch ihrer religiösen Motivation wegen für Dinge ein wie soziale Gerechtigkeit, für Flüchtlinge, für eine gerechte Weltordnung, für ein solidarisches Gemeinwesen. Für diese – nennen wir sie die „sanften, moderaten Religiösen“ – ist die Religion also gerade nicht mehr Opium, das sie weltliches Elend zu akzeptieren lehrt. Diese Leute sind in der Praxis Mitstreiter einer Linken, sie sind auch weitgehend vernünftige Leute, in deren Ecke ihres Seins aber irgendein Obskurantismus hockt. Den muss ich nicht teilen, aber ich muss ihnen auch nicht mit Respektlosigkeit begegnen. Aber ich muss auch nicht meinen Säkularismus verleugnen, um ihre zarten Seelen nicht zu verletzen.

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